Die Herrin und ihr Knecht 20
Dies war die Unterhaltung der teuren Freunde, in deren Kreis der
Rittmeister Sassin seine deutschen Gäste, leuchtend vor Unbefangenheit und
Frohsinn, einführte. Wirklich, die Fremden mußten den Eindruck empfangen,
daß der ganzen Gesellschaft durch ihr Erscheinen eine offenkundige,
unbestrittene Ehre widerführe, die sich in heitersten Mienen und jener
fast übertriebenen slawischen Freundlichkeit äußerte. Noch immer
schien das Übergewicht der Germanen dieser Völkerschaft gegenüber
unerschüttert und von allen willig anerkannt.
»Sehen Sie, sehen Sie,« rief Sassin nach der Vorstellung laut durch das
Zimmer, »die wunderschönen Damen von Maritzken. Aber ist es nicht wahr
-- ist es nicht wahr,« wiederholte er beseligt, »welch ein wundervolles
Beispiel die drei Damen und mein bester Freund Rudolf Bark uns allen
in dieser Stunde geben? Sie verachten das widerliche und blödsinnige
Geschwätz, das nur in den Köpfen von ein paar Narren entstanden ist.
Sie leisten damit etwas sehr Wichtiges. Ist es nicht so, Exzellenz?«
erkundigte er sich eindringlich bei der Giraffe, die mit weit vorgeneigtem
Hals die drei deutschen Mädchen betrachtete.
Und seltsam, es war, als ob in diesen Zimmern, die vor Neuheit und mit
ihrer eben erworbenen Einrichtung wie poliert glänzten, niemals Wut und
Neid und die Freude am Zerstampfen mit lechzenden Wolfszungen geheult
hätten. Äußerst zufrieden blickte sich Herr Bobscheff um. Kaum jemals
zuvor war es der Giraffe so stark wie heute in das Bewußtsein gedrungen,
wie meisterhaft seine Landsleute die Verstellungskunst zu üben wußten
und welchen hohen Grad der allgemeinen Schauspielerei diese Rasse erreicht
hatte. Da stand seine dicke Tatiana -- zum Henker, sie wurde immer
faßähnlicher; wenn man sich vorher an den bestrickenden Linien der
brünetten Deutschen erlabt hatte, da verdarb einem diese unwahrscheinliche
Anhäufung des Fettes jegliche gehobene Stimmung -- da stand die Kugel
neben dem zierlichen deutschen Rotkopf, streichelte dem schmiegsamen
Mädchen unaufhörlich die Wangen und sprudelte aus den Plusterbacken
Lobeserhebungen und Hymnen über die schmalen Füßchen der Kleinen, die
in so allerliebsten weißen Halbschuhen steckten. »Unsere Schuhfabrikation
ist besser und reeller als der Schund da drüben,« dachte der Gouverneur.
»Aber das Reizvolle, das Scharmante steht auf jener Seite. Obwohl auch bei
uns -- ach ja, es gibt schon Frauen -- --,« seufzte er kopfschüttelnd
in sich hinein, und er blickte wie zur Bestätigung auf die schlanke
Gestalt von Maria Geschowa, die, verdeckt durch das Fensterstore, eine
ihrer angeregten und sprudelnden Unterhaltungen mit dem fremden Kaufmann zu
führen schien; »sieh einmal, diese berechnete Intriguantin,« dachte die
Giraffe trauervoll und drückte den Daumen der Linken schmerzhaft in die
rechte Handfläche. »Sie zeigt ihm dort draußen auf der Straße einen
vorübergehenden Kosaken. Zum Teufel, die Kerle sollen doch in ihren
Kasernen bleiben! Aber wozu muß sie sich dabei so eng an seine Schulter
lehnen? Der verwünschte Schmarotzer hält beinahe seinen Arm um ihre
Hüfte geschlungen. Die Vorurteilslosigkeit dieser schönen Frau ist
jedenfalls nicht zu billigen.«
Die Deutschen bildeten bald den Mittelpunkt der Gesellschaft. Es war,
als ob alle anderen nur eingeladen wären, um den Gästen das Bild eines
harmlos sich vergnügenden Kreises einzuprägen, der weit davon entfernt
war, an eine Unterbrechung seiner gewohnten Zerstreuungen zu glauben.
Überall flogen leichte Scherzworte auf, die Fähigkeit der Slawen,
geschätzte Personen zu ehren und zu bedienen, äußerte sich in jeder
Handreichung.
Marianne lag in einem Schaukelstuhl und wiegte sich leise auf und nieder.
Um sie herum bewegte sich ein ganzer Troß von Offizieren, die sich den
Wünschen des verführerischen Weibes dienstbar zu machen strebten. Der
eine hielt ihr ein Aschenschälchen, denn sie sog mit Genuß an einer der
ihr angebotenen aromatischen Zigaretten; ein zweiter hütete den silbernen
Untersatz des Teeglases, an dem sie nippte; zwei weitere hielten den Stuhl
in seiner schaukelnden Bewegung, und vor ihr stand der Rittmeister Sassin,
den das Schweben und Gleiten der Brünetten bereits bis zur Tollheit
begeistert hatte. Seine blauen Knabenaugen schwammen vor Erregung, und er
fand es direkt sündhaft, weil sich auch seine Kameraden an den Huldigungen
für das berückende Geschöpf beteiligen durften. Wahrhaftig, dazu hatte
er doch nicht die Kosten dieser so ungewohnt vornehmen Teestunde auf sich
genommen. Ob man es wagen konnte, der Schwarzen einen erläuternden Gang
durch das gesamte Hauswesen anzubieten? Hm, der teure Freund Rudolf Bark,
dem er doch eine so überaus ablenkende Gesellschaft zugewiesen, der
verfluchte Krämer mit den ernsten Augen, er behielt immer noch Zeit,
die Gruppe um den Schaukelstuhl aufmerksam zu verfolgen. Dazu schoß Leo
Konstantinowitsch plötzlich eine ganz widerspruchsvolle Eifersucht durch
den Kopf. Blitzartig fiel ihm ein, wie er bei seinem letzten Besuche in
der deutschen Stadt von allerlei Beziehungen hatte flüstern hören, die
Marianne an einen Offizier der dortigen Garnison knüpften. Sie hatte ein
Verhältnis. Das machte sie nur noch begehrenswerter. Zum Teufel, wie hieß
doch der Dummkopf? Und in diesem Augenblick fiel der Aufgeregte aus der
Rolle und beging eine Torheit.
»Gnädigste,« sagte er mit seinem lauten Organ, das er um keinen Preis
dämpfen konnte, »ich hatte die Freude, Sie neulich auf den Wallgängen
der Stadt mit dem ganz ausgezeichneten Fritz Harder promenieren zu sehen.
Darf ich mir die Frage erlauben, ob dieser Bevorzugte das Glück besitzt,
Ihre Freundschaft zu genießen?«
»Gott,« warf Marianne hin, die inmitten so vieler Anbeter die Nähe ihrer
Schwestern vergaß, und sie errötete weder, noch gab sie das angenehme
Wiegen auf, »ein guter Bekannter von mir, wie viele andere. Was bezwecken
Sie übrigens mit der Frage, Herr Rittmeister?« setzte sie gleichgültig
hinzu, schlug die Füße leicht übereinander und blies eine feine
Dampfwolke von sich.
»Oh,« rief Leo Konstantinowitsch strahlend und mit der ihm angeborenen
Begabung für schlaue Galanterie, »das schafft mir die einzige Feindschaft
vom Halse, die ich einem deutschen Offizier etwa entgegentragen könnte.
=Merci=, mein Fräulein.«
»Leo Konstantinowitsch ist ein Schlaukopf,« fing Konsul Bark dicht neben
sich das geheimnisvolle Raunen zweier Unterleutnants des Dragonerregiments
auf, um deren weiche Knabengesichter noch kaum der Flaum zu sprossen
begann, »hörst du, Alexei, wie er das schwarze Pferdchen zu einem Gang
durch die Villa antreibt? Ich wette, sie wird sich erbitten lassen?«
»Wahrscheinlich,« pflichtete der angeredete Fahnenjunker bei und über
sein kränklich blasses Antlitz, das er unausgesetzt dem Schaukelstuhl
zugewendet hielt, flog ein frühreifer, übersättigter Schein, »du hast
recht, da erhebt sie sich.« Aber gleichzeitig zuckten die Lippen in dem
fahlen Gesicht, und unwillig kehrte sich die zarte Jünglingsfigur ab.
»Merkwürdig, wie Leo Konstantinowitsch gerade heute Lust und Neigung
für so etwas aufzubringen vermag,« stieß er noch ungehalten zwischen den
Zähnen hervor.
»=Mon Dieu=, Alexei, was soll man tun?«
»Ich habe heut vormittag mein Testament aufgesetzt,« erklärte der
kränkliche Fahnenjunker ganz still. »Man kann nie wissen. Ich schrieb
darin meinem Vater, dem Polizeioberst in Kiew, vieles, was ich bei uns im
Hause, aber auch draußen anders wünschte. Er hätte es sonst nie von mir
hingenommen, denn wir mußten immer schweigen. Freilich, für ein solches
Schriftstück kann man später nicht mehr zur Verantwortung gezogen
werden.«
»Ja, du machtest dir immer viele Gedanken, Alexei, anstatt dem Leben, wie
wir anderen, ein Paar vergnügte Stunden abzugewinnen. Aber st! -- --,
lieber Bruder, dort unter dem Fenster spitzt man die Ohren. Komm, laß uns
in das Billardzimmer gehen und hören, was Fürst Fergussow aus Petersburg
zu erzählen weiß. Die Entscheidung kann ja nicht mehr lange währen.«
Damit strichen die beiden Knaben ihre Waffenröcke zurecht und schlenderten
auf den eleganten Lackstiefeln fast unhörbar in den Nebenraum.
Also doch -- also doch!
Der Konsul fühlte, wie ihm etwas durch die Stirn schnitt. Es war, wie
wenn man einen klirrenden Pfeil durch sein Gehirn geschossen hätte. Eine
Sekunde lang konnte er sich durchaus nicht mit der Lage vertraut machen,
in der er sich befand. Auch dafür, daß draußen die Welt und alles, was
bisher als feststehend galt, binnen kurzem wie ein mürber Teig in einer
Riesenschüssel von Gigantenfäusten durcheinander gerührt werden konnte,
auch dafür fehlte ihm plötzlich jede Vorstellung. So lähmend war die
Mattigkeit, die seine sonst so geschmeidigen Glieder befiel, daß er
immer noch mit demselben vieldeutigen Lächeln den Fragen Maria Geschowas
lauschen konnte, die zu ihrer Freude in ihm einen Kenner des Theaters
entdeckt hatte.
»Also Sie kennen die kleine Schwarz?« sagte die Tatarin und schlug die
dunklen Augen, die nie ihren auffordernden Ausdruck verloren, langsam gegen
ihn empor. »Ich sah sie neulich in einem Ihrer modernen Stücke spielen.
Ich vermag die Zustände bei Ihnen natürlich nicht zu beurteilen, aber in
der Darstellung der schönen Person fiel mir die Wichtigkeit auf, die
sie ihrer Bedeutung als Frau, ja darüber hinaus der ganzen weiblichen
Liebeshuld beizumessen schien. Ich glaube, das alles wird in Ihrem
Vaterland sehr überschätzt.«
»Oh,« entgegnete der Konsul gewohnheitsmäßig, obwohl er sich mit aller
Kraft an dem Messingknopf des Fensters festhalten mußte, »es gibt doch
einzelne Frauen, denen gegenüber die Schätzung nie hoch genug gegriffen
werden kann.«
Es sollte einschmeichelnd klingen, aber Maria Geschowa mit ihrem feinen
Ohr hörte deutlich heraus, wie weit der Geist des hübschen Mannes von ihr
entfernt weilte.
»Lassen wir das,« sagte sie hochmütig und wiegte sich ablehnend in den
Hüften, »wir Slawen beschäftigen uns in der Kunst mehr mit sozialen
Verhältnissen. Diese Dinge erfüllen unsere ganze Phantasie. Aber was
haben Sie, lieber Freund?« unterbrach sie sich eifrig, denn sie sah,
wie der Kaufmann starr auf die Straße hinausblickte, wo drei Soldaten in
Kosakentracht singend und brüllend vorüberliefen.
Jetzt vermochte der Konsul nicht mehr das nervöse Zucken der Mundwinkel
noch den kurzen Atem, der ihm durch den Schrecken eingegeben war, zu
verbergen. Da draußen die drei langröckigen, halbbarbarischen Gesellen,
die unter ihren Pelzmützen dahintaumelten, wie kamen sie hierher? Er
wußte doch, daß in der Grenzstadt kein Kosakenregiment lag. Und diese
hier -- er glaubte es an den sauberen Uniformen und den blitzenden
Silberverschnürungen zu erkennen -- sie gehörten sicher der Petersburger
Garde an. Immer ängstlicher und aufgescheuchter tobten seine Gedanken
gegeneinander. Die Selbstbeherrschung und feste Sammlung, die trotz
seiner leichten Manieren sein ganzes Wesen ausmachten, stoben in diesem
Augenblick, wo er das Rollen eines Völkergewitters schon über seinem
Haupte poltern hörte, von ihm ab. Obwohl der Herr des Goldenen Bechers
genau wußte, daß es töricht sei, die Maske des Vertrauens und der
sicheren Überlegenheit gerade vor der klugen Tatarin, neben der er weilte,
zu lüften, die Spannung, die in ihm zerrte, zerriß jedes Bedenken. Nein,
er mußte hören, wie eine Vollblutrussin den schweren Verdacht, der ihn
überwältigte, entkräften würde. Was diese reizende Person jetzt wohl
zusammenlügen wird? dachte er halb neugierig.
Und da sprach sie bereits. Sie legte ihm die Spitze des Zeigefingers fest
auf die Brust und fragte mit ihrer warmen, immer leise vibrierenden Stimme:
»Wie heißen Sie, lieber Freund?«
»Ich? -- Ich heiße Rudolf Bark.«
»Nun, Rudolf Bark,« lächelte die Tatarin, indem sie sich geschmeidig
mit dem Rücken gegen das Fenster schob, so daß er jetzt gezwungen in ihr
dunkles Antlitz blicken mußte, »sind Ihnen die drei Kosaken dort auf
der Straße wirklich interessanter, als ich, die ich mir doch soviel Mühe
gebe, Ihnen zu gefallen?«
Der Angeredete, der so unvorbereitet seine Gedanken erraten sah, erschrak.
Zum Teufel, wie klug doch diese Russin war, viel gescheiter und gebildeter
als die Männer ringsumher. Zu jeder anderen Zeit hätte er das Geplänkel
fortgesetzt, um zu ergründen, wie weit das eigenartige Geschöpf durch
ihre Koketterie geführt werden könnte; allein jetzt -- jetzt -- alle
diese Nichtigkeiten erschienen ihm im Moment widerwärtig und abscheulich.
Er begriff gar nicht, daß er ihnen jemals Bedeutung beigelegt.
»Es überrascht mich,« entrang es sich ihm ohne jede Vorsicht, die er
doch unter allen Umständen einzuhalten gewillt war, »wie die drei Kosaken
hierher gelangt sind. Nach meiner Kenntnis gab es bis vor kurzem keine
derartigen Truppen hier. Es ist ja nur eine Kleinigkeit, Gnädigste,«
setzte er rasch hinzu, als er den langen, weichen, fast betrübten Blick
der jungen Frau empfand, »aber sehen Sie, wir Deutschen besitzen nun
einmal die unangenehme Eigenart, alles Militärische besonders stark auf
uns wirken zu lassen.«
Wie hübsch der elegante schlanke Mann sprach und wie rot sich seine Wangen
vor innerer Aufregung gefärbt hatten. Maria Geschowa schämte sich, daß
sie an dem albernen Komplott, das ja bereits von dem erfahrenen Kaufmann
durchschaut wurde, mitwirken sollte. Daneben aber glühte in ihr die
echt weibliche Begierde auf, einen Mann in den Maschen eines Netzes zu
verstricken, dessen Verschnürungen man selbst fest in der Hand hielt. Im
Grunde war es doch eigentlich ein wohliges Gefühl, zu wissen, daß man
unbeschränkte Macht besäße über das Schicksal so freier und aufrechter Menschen. Darin lag ein eigenartiger Kitzel, ein ganz neuer Genuß. Und fortgerissen und lebhaft fand sie sich in die Rolle und zuckte deshalb ein wenig verächtlich die weichen Schultern:
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