2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 27

Die Herrin und ihr Knecht 27



Ja, dort Finsternis und hier Licht, nichts als Schimmer und goldspinnende
Helligkeit.
 
Wahrlich, eine große, eine tolle Zeit.
 
Beglückt, heiß, erglühend stützte sich die Fortgerissene nochmals auf
das Marmortischchen des Goldspiegels und starrte sich an, als wenn sie
imstande wäre, sich die Zukunft auf hoch erhobenen Armen entgegenzutragen.
 
Ja, das Vaterland befand sich in Gefahr, aber sie selbst war schön,
einfangend schön.
 
* * * * *
 
Ruhig schritt Fritz Harder seines Weges. Rechts und links von ihm zogen
die Bürger mit ihren Frauen und Kindern dahin, und er mußte manchmal
zur Seite treten, um die Drängenden vorüberzulassen. Dabei fing er immer
wiederkehrende Worte auf: »Der Kaiser -- der Zar -- Frankreich.« Und er
wunderte sich, daß er dies so klar vernahm, daß nichts anderes, nichts
Tieferes in seinem Ohr mitsummen wollte. In der schmalen Rosenkranzgasse
schimmerte aus allen Fenstern noch Licht, und die Einwohner der Häuser
standen vor den Türen und tauschten über die geringe Breite der Straße
hinweg ihre Ansichten miteinander aus. Und wieder schüttelte der in sich
gekehrte Wanderer erstaunt das Haupt, denn er begriff nicht, warum seine
Augen dies alles so scharf, so untrüglich in sich aufnahmen. Einmal blieb
er stehen und sah durch den schmalen Spalt der Gasse zu dem mächtigen
Nachthimmel empor. Nein, er konnte keinen Unterschied entdecken. Dort oben
waltete dieselbe schweigende, ungekünstelte Ruhe, wie hier unten und wie
in seiner eigenen Brust. Eine wundersame, schwere, auf alles vorbereitete
Fassung, die ihre spähende Aufmerksamkeit nur auf das Nächste richtete
und entschlossen war, sich selbst zu vergessen.
 
Merkwürdig, er wollte sich zwingen, das formvollendete, das
schönheitgesättigte Bild der Geliebten vor sich erstehen zu lassen, die
ihn aus schneidendem Eigennutz verworfen hatte, aber er vermochte bei aller
Anstrengung das lockende Geschöpf sich nicht mehr als Ganzes vorzustellen.
Aus der trüb durchbrochenen Nacht tauchten wohl ihre Umrisse vor ihm
auf, allein jeder Kopf eines gleichgültigen Bürgers schob sich vor seine
arbeitende Einbildungskraft und überschattete sie. Ja, als die
Ablösung einer Militärwache an ihm vorüberzog, die ihm mit klappenden
Paradetritten die Ehrenbezeugung erwies, da war jedes Gedenken an sein
eigenes Erlebnis von ihm entwichen und, wie alle anderen, so mußte auch er
den funkelnden Helmen nachschauen, während ihm innerlich das Herz bis in
den Hals zu klopfen begann.
 
»Prima, Herr Leutnant,« krächzte plötzlich eine gallige Stimme hinter
ihm, und als sich der seinen Träumen Entrissene umwandte, da entdeckte
er hinter sich den schlottrigen und knickbeinigen Uhrmachergesellen seines
Hauswirts, den ewig mit der Welt hadernden Leiser Bienchen, der tief den
zerbeulten Filzhut mit der herabhängenden Krempe vor ihm lüftete, um
dann krampfhaft in die Tasche seiner Beinkleider zu greifen, weil ihm diese
stets herabzufallen versuchten, »prima, Herr Leutnant,« krächzte die
gallige und stets unzufriedene Scherbenstimme, »unsere Soldaten! Ich mag
zwar das verfluchte Pflasterzerreißen nicht leiden, und wenn sie so mit
den Kommißstiefeln aufdonnern, möchte man Kopfschmerzen kriegen. Aber was
tut das, Herr Leutnant? Jetzt sind sie einem ein Trost, ein ganz großer
Trost, der einem die Nachtruhe wiedergibt.«
 
Und sich noch näher an den jungen Offizier drängend, umklammerte er mit
der Rechten ängstlich das faltenreiche Kinn, als wolle er verhindern, daß
ihm seine bewegliche Karpfenschnauze, die ihm statt eines Mundes
verliehen war, aus den wild durcheinander fahrenden Runzeln davonliefe.
So fassungslos und erschüttert hatte Fritz Harder den Uhrmacher noch nie
gesehen.
 
»Was meinen Sie, was hier geschehen ist, Herr Leutnant?« tuschelte der
kleine Jude seinem vornehmen Hausgenossen unter ewigem Kopfschütteln von
neuem zu.
 
»Doch nichts Schlimmes, lieber Bienchen?«
 
»Was heißt schlimm?« wehrte sich der andere, die Achseln ganz hoch in
die Höhe ziehend, als wolle er den Himmel für seine traurigen Schicksale
zum Zeugen anrufen. »Unter uns, es kann geben eine fürchterliche
Zerstörung. Aber soll man es ihm übelnehmen, wenn er an einem solchen Tag
mit dem Kopf ins Dunkel fährt? Ich sag' Ihnen ins dunkelste Dunkel, Herr
Leutnant.«
 
Fritz Harder mußte lächeln. Er wußte, daß der Gefolgsmann des alten
Adameit mit dem unbestimmten und geheimnisvollen »er« stets seinen Chef
zu bezeichnen pflegte. Und so forschte er denn vorsichtig weiter:
 
»Haben Sie wieder Grund zur Unzufriedenheit mit ihm, lieber Bienchen?«
 
»Ich habe nicht gesagt unzufrieden,« zuckte der Geselle ärgerlich
zurück und sein Mundgeschirr klappte unendlich oft gegeneinander, »der
unausstehliche Kerl ist ja trotz allem ein Genie. Aber als ich ihm heute
in meiner Aufregung unten in dem Keller, wo wir wir immer sitzen, -- Sie
wissen schon, Herr Leutnant -- die Nachricht überbrachte, können Sie
sich denken, was er getan hat? Dieser zahnlose Unmensch ist plötzlich
aufgestanden, hat die Kapsel an dem Stahlzylinder geschlossen, obwohl die
Sicherung noch immer nicht ganz fertig ist, und hat in seiner vermoderten
Sprache, die nur ich ordentlich versteh', gesagt: Dann schließe ich mit
dem heutigen Tage meine Arbeit ab. Unter der Erde hat sie so lange gelegen
und unter der Erde wird sie auch bleiben. Aber sie wird unserer lieben
Scholle eine Kraft und eine Wut verleihen, wie -- wie -- Ich glaube, er hat
gesagt, wie einer Jungfrau, die sich gegen die Schande wehrt. Und nachdem
er das gesagt hat, hat er mir die Hand gedrückt, was noch nie da war, ist
in die Ecke gegangen, hat sich den Schmutz abgewaschen und schließlich
seinen Bratenrock angezogen. Herr Leutnant, da hab' ich's nicht mehr
länger ausgehalten. Mir ist so feierlich geworden, daß mir die Knie zu
zittern anfingen, und ich mußte aus dem Keller raus und an die frische
Luft. Und was aus ihm geworden ist, das weiß ich nicht. Ich hab' bloß
seine Stimme aus Ihrem Zimmer gehört, Herr Leutnant, wo er bei dem fremden
Herrn sitzt.«
 
»Bei einem fremden Herrn?«
 
»Wie ich Ihnen sage, Herr Leutnant. Wenn Sie wollen, können Sie auch sein
Zischen und Pusten und Fauchen hören, denn Ihr Fenster steht offen, und
Ihr Bursche hat die Lampe bereits angesteckt.«
 
Da riß sich der junge Offizier hastig los, und zu gleicher Zeit
schüttelte er energisch die Traumgespinste ab, die aus dem dämmernden
Keller des alten Adameit geheimnisvoll bis zu ihm emporgekrochen waren.
Ungeduldig drückte er sich in den engen Schlitz hinein, der in dem blauen
und rosigen Pfefferkuchenhäuschen die Haustür vorstellte. Aber der
Uhrmacher hinkte ihm nach, so rasch es seine schlecht befestigten
Beinkleider erlaubten, und hauchte dem Voranstürmenden in seinem heiseren
Krähenton nach:
 
»Ein großes Tier, Herr Leutnant, Ihr Besuch, mit roten Streifen an den
Beinen und ein Verwandter dazu. Er hat es ausdrücklich angegeben. Nu,
sehen Sie, habe ich gelogen? Da tritt Herr Nikolaus Adameit gerade aus
Ihrem Zimmer. Gewaschen, gekämmt und in dem schwarzen Bratenrock. Hier
oben kennt er mich nicht. Er kennt mich bloß unten im Keller. Aber es gibt
mir doch ein Gefühl von Hochachtung, weil ich mitgeholfen hab'. Man ist
doch nicht bloß wie Öl in der Kanne gewesen oder wie ein totes Rädchen.
Nu, gute Nacht, Herr Leutnant, und wenn Sie Bedienung benötigen, Sie
brauchen bloß zu klingeln. Ich pass' auf.«
 
* * * * *
 
Heftig riß Fritz Harder die Tür seines Zimmers auf. Und richtig, im
Schein der kleinen weißen Porzellanlampe, die vor ihm auf dem ovalen Tisch
brannte, saß der Erwartete, Geahnte auf dem grünen Plüschsofa. Spähend
schob sich bei dem Geräusch der Tür das bartlose glatt rasierte Haupt
zur Seite, und unter einem Büschel gänzlich unpreußischer grauer Locken
nahmen ein paar versonnener blauer Augen plötzlich den Glanz einer warmen
Freude an.
 
»Gottlob, daß ich dich noch treffe, mein lieber Junge,« sagte eine
freundliche Stimme, während die hohe, breitschultrige und mannbare Figur
sich langsam erhob; und dabei streckten sich dem Eintretenden feine weiße
Gelehrtenhände entgegen. »Ich fürchtete, du könntest bei dem Trubel
schon Gott weiß wohin abkommandiert sein. Deshalb ist es ein rechtes
Glück, daß ich dich noch erreiche. Komm, Fritz, laß dich einmal
anschauen.«
 
Die hohe Gestalt mit dem gütigen Gelehrtenhaupt stand jetzt dicht neben
dem jungen Mann und begrüßte ihn durch einen leichten Schlag auf die
Schulter.
 
»Onkel Siebel,« wollte Fritz erregt ausbrechen, denn eine unnennbare
Erleichterung überkam ihn, als er unvermutet in dieser Wirrnis ein
verwandtes Herz neben sich wußte, »Onkel Siebel, daß du gerade heute
kommst! Du ahnst gar nicht, was -- --«
 
»Doch,« unterbrach der alte Militär, die Augen ein wenig zukneifend,
»doch, mein Junge. Du siehst nicht so aus, wie ich dich erwartete. Was
ist das für eine kränkliche Blässe? Und wohin hast du dein frisches
Jungenlächeln versteckt? Erinnerst du dich, deine liebe Mutter behauptete
ja, du wärest immer anzusehen, als wenn du gerade etwas geschenkt erhalten
hättest? Also was gibt's? Beklemmung vor der großen Weltkatastrophe?«
 
»Nein, Onkel.«
 
»Ärgernis, Zurücksetzung im Dienst?«
 
»Auch das nicht, obwohl --«
 
»Na ja, ich weiß schon. So ein junger Leutnant darf dienstlich überhaupt
nicht zufrieden sein, -- wäre ganz reglementswidrig. Aber nun sage mal,
Fritz, bist du krank?«
 
Eine leichte Pause entstand. Unschlüssig, mit sich kämpfend, sandte
der Jüngere seinen Blick gegen das Lämpchen, das seine dämmrigen
Friedensstrahlen unverwandt ihm entgegenschickte. Der alte Herr jedoch
wurde ungeduldig, und knöpfte an seinem ziemlich salopp herabhängenden
Waffenrock herum.
 
»Na also, offen, offen, mein Kerlchen,« drängte er überredend, »ich
habe nämlich deinen Eltern so eine kleine Inquisition versprochen, sonst
würde ich mich ja nicht so beharrlich in derartige Geheimnisse mischen.
Wir haben, weiß Gott, jetzt anderes zu denken, nicht wahr, Fritz? Aber in
euren kleinen dumpfen Garnisonen wachsen manchmal wunderliche Geschichten
auf. Und da findet solch alter, kalter Bücherwurm wie ich vielleicht doch besser durch, als so ein feuriges Temperament mit dem bewußten Napoleon-Gesicht. Also Junge, ich bitte um Vertrauen.

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