2015년 11월 30일 월요일

Die Herrin und ihr Knecht 35

Die Herrin und ihr Knecht 35


Der Fürst blinzelte ein wenig und maß die Gutsherrin, die ihm in ihrer
Sorge weiblicher als bisher erschien, von den Blondhaaren bis zu den
Füßen.
 
»Sie sehen mich so an,« stotterte Johanna immer verwirrter, und eine
Ahnung stieg ihr auf, in ihrer Frage könnte für den Russen etwas
Verdächtiges enthalten sein. »Sehen Sie,« suchte sie sich zu entlasten,
»es handelt sich um ein ganz junges, unerfahrenes Ding. Ich vertrete
Mutterstelle bei ihr.«
 
Der Fürst wiegte noch immer bedenklich das Haupt, und seine Augen gruben
sich unausgesetzt und prüfend in die des großen Mädchens. Endlich sagte
er vorsichtig:
 
»Ich bin in der Tat in der Lage, Ihnen, auch ohne Erkundigung, eine Angabe
über den Verbleib des Fräuleins zu machen, denn ich habe die junge Dame
selbst gesehen.«
 
»Sie? Um Gottes willen, Durchlaucht, wo? Ist sie gesund? Ihr ist doch
nichts Schlimmes widerfahren?«
 
Jetzt schien der schlanke Offizier mit sich einig zu sein. Er bettete die
Hände leicht auf den Rücken und schritt hinter dem Tisch auf und ab.
Leise klirrend begleiteten die Sporen seinen federnden Gang.
 
»Verehrtes Fräulein,« meinte er, -- aber Johanna war es doch, als ob er
jedes seiner Worte besonders prüfe und wäge -- »Sie brauchen sich
über die Lage Ihrer Jüngsten, soweit ich es beurteilen kann, keinen
Befürchtungen hinzugeben. Die junge Dame befindet sich in der Stadt, im
Hause eines befreundeten Herrn -- --«
 
»Konsul Bark,« fiel hier Johanna atemlos ein.
 
Der Russe nickte und warf ihr einen verständnisinnigen Blick zu. »Ganz
recht, und ich hoffe, daß der Ausfall der kriegsgerichtlichen Untersuchung
es dem Fräulein ermöglichen wird, recht bald in Ihre schützenden Arme
zurückzukehren.«
 
»Untersuchung?«
 
In Johannas Wesen verwandelte sich etwas. Wo blieb die gemessene frostige
Zurückhaltung, die den eleganten Offizier bisher stets in der Meinung
befestigt, es hier mit etwas ganz Unpersönlichem, Abgestorbenem zu tun zu
haben? Alle Wetter! Dimitri Fergussow wurzelte fest und vergaß im Moment
seine eigene Ermüdung und das zuckende Tanzen seiner Nerven, die das
Fest des Blutes noch immer nicht überwunden hatten. Alle Wetter, wie die
Glieder der Nemza sich dehnten, wie die Fäuste sich ballten und die Arme
schwollen, als wollten sie die enge, blau und weiß gepunktete Hülle
sprengen. Dazu das dunkle Blitzen der Augen, das feine Rosenrot, das über
die weiße Haut jagte, -- der Fürst stand still, atmete tief und verwandte
keinen Blick mehr von der aufgeregten Germanentochter. Ein seltsames
Geschöpf, schoß es ihm durch den Sinn.
 
»Fürst Fergussow,« fiel es endlich von den herrischen Lippen Johannas,
und es erregte die Bewunderung des fremden Offiziers, wie die doch von
Leidenschaft Durchbebte ihr Organ in der Gewalt hatte; es klang sicher,
bestimmt und ein wenig befehlshaberisch, wie immer; »Sie werden einsehen,
daß Sie mir jetzt eine weitere Aufklärung nicht mehr verweigern
dürfen.«
 
Fürst Dimitri regte fast unmerklich die Hand. Es war eine jener
formvollendeten Bewegungen, die bei diesem äußerlich so gefälligen
Menschen eine deutlich vernehmbare Sprache redeten. Und Johanna begriff sie
sofort.
 
»Sie schlagen mir diese natürliche Bitte ab?« fuhr sie auf.
 
Der Russe sah ihr starr in das reine Antlitz, dessen Züge ihm immer mehr
wie die einer belebten Marmorstatue erschienen.
 
»Es fällt mir sehr schwer,« suchte er sich ihr beinahe schmerzlich
zu entziehen, »Ihnen gegenüber bei meiner Pflicht zu bleiben,
indessen -- -- --« und wieder folgte die Drehung der fein geformten
Hand.
 
»Wenn ich Sie nun aber bitte,« stieß Johanna hervor, und sich vergessend
verließ sie zum erstenmal ihren Platz, schritt an den Obersten heran und
streckte den Arm gegen ihn aus, so daß Dimitri Fergussow gar nicht anders
konnte, als diese weißen Finger zu ergreifen; sie waren kalt wie Stein.
»Wenn ich Sie nun aber inständigst bitte?« jagte die große Blonde
weiter. »Nicht wahr, dann werden Sie einsehen, daß ich nichts Unrechtes
verlange? Hier handelt es sich ja gar nicht um die Feindschaft unserer
Länder, um Russen und Deutsche, hier geht es ja lediglich um eine arme
versprengte Familie. Um meine Ruhe, begreifen Sie das?«
 
Der Fürst hielt die weißen Finger in seiner Hand, beugte sich und
wollte, einem raschen Trieb nachgebend, seine Lippen auf die festen
Gelenke drücken. Allein mitten in der Bewegung befiel ihn ein Zaudern und
Schwanken. Zu ernst und flammend sprühten die dunklen Augen auf ihn herab,
die sein Vorhaben verständnislos begleiteten. Er wollte scherzen, er
gedachte allerlei flatterhafte Bedingungen zu stellen, doch vor diesem
großen und wahrhaften Geschöpf fiel ihm durchaus nichts Leichtes und
Gewandtes ein. Sehr fatal -- fast schmerzlich verzog er den Mund, als er
sich so von einem fremden Wesen, von einer anderen ihm rätselhaften Kultur
gefangen und verpflichtet sah. Und nur mühsam preßte er zwischen den
Zähnen hervor:
 
»Sie dürfen es wirklich als ein Zeichen meiner Achtung nehmen, wenn ich
mich von Ihnen so leicht zu Konfidenzen verleiten lasse, die der Dienst
sonst streng verwehrt. Also kurz: Ihr Fräulein Schwester ist leider Zeuge
gewesen, wie sich Herr Konsul Bark in einem Moment des Zornes oder des
Leichtsinns zu einer unüberlegten Handlung gegen einen unserer Offiziere
hinreißen ließ.«
 
»Gegen Rittmeister Sassin,« warf Johanna schwer atmend dazwischen.
 
Jetzt zuckte der Oberst ablehnend die Achsel. »Sie müssen sich mit meinen
Andeutungen begnügen. Aber ich füge noch hinzu, da das kleine Fräulein
nach meiner Meinung wahrscheinlich nur die Ursache des Streites war, so
dürfte man sie nach dem Verhör ungekränkt entlassen.«
 
»Herr Oberst,« forderte Johanna klar und rasch, die aus ihrem
geschäftlichen Wirken gewöhnt war, alle Vorteile sofort wahrzunehmen,
»würden Sie sich in dieser Richtung selbst für Isa verwenden?«
 
»Ich? Nun bei der heiligen Mutter von Kasan --«
 
Der schlanke Mann, der sich unmittelbar nach seinem ersten Waffengang
selbst in einem so sprühenden Rausch befand, er stand dicht vor der
Bittenden, und in seinem sprechenden Antlitz, das er im Moment nicht
beherrschte, zuckten die widerstrebendsten Neigungen durcheinander. Die
Sucht, sich nicht zu einer so auffälligen Bevorzugung mißbrauchen zu
lassen, das Mißfallen an der so plump und klar vorgetragenen Bitte,
und daneben doch die heimliche Begierde, diese Vertraulichkeit gegen die
majestätische Göttin auszunützen. Allein plötzlich brach er in ein
helles jugendliches Lachen aus. Gesund klang es, frisch und überzeugt,
hervorgerufen durch den seltsamen Gegensatz, er, der hohe Aristokrat,
der gewesene Adjutant des Zaren, solle für den pikanten Rotkopf an hoher
Stelle ein erlösendes Wort einlegen! Wie man das dort wohl auffassen
würde? Sehr eindeutig. Fraglos. Und er gab sich von neuem seiner
liebenswürdigen Heiterkeit hin, ließ sich in den Stuhl hinter dem Tisch
fallen, und indem er Papier und Feder ergriff, rief er zu der über den
plötzlichen Wechsel Fassungslosen herüber:
 
»Ja, was vermag ich gegen die gestrenge Quartiermacht auszurichten? =Rien
du tout!= Es geschieht also auf Ihre Gefahr, mein verehrtes Fräulein! Ich
werde mein eigenes Zeugnis für die Unschuld der jungen Dame anbieten, und
wir wollen hoffen, daß ich für einen unverfänglichen Beobachter gehalten
werde.«
 
Seine Feder flog hurtig über das Papier, und von Zeit zu Zeit warf er
von der Seite einen schalkhaften Blick der blonden Nemza zu. Wie warm und
ehrlich sie sprechen konnte, als sie jetzt mit mühsam erkämpfter Fassung
hervorbrachte:
 
»Das kann ich Ihnen niemals vergelten, Durchlaucht!«
 
»Oh doch, doch, Sie müssen es nur versuchen. Ich wäre zum Beispiel für
einen kleinen Imbiß jetzt ganz besonders dankbar. Und wenn ich hoffen
dürfte, daß die beiden Damen später beim Diner meine etwas« -- er
zeigte auf seine toll übereinander geworfenen Monturstücke -- »meine
etwas wirre Tafel zieren möchten, so würde ich darüber ein ungemessenes
Vergnügen empfinden. Natürlich,« setzte er hinzu und verbeugte sich
höflich, »soll dies nur geschehen, sobald es sich ohne Überwindung
bewerkstelligen läßt. So, meine Gnädigste, jetzt bitte ich noch um etwas
Siegellack. Das von Ihnen mit soviel liebenswürdiger Energie verlangte
Dokument ist fertig. =Voilà!=«
 
* * * * *
 
Das Dokument aber lautete:
 
»Mein lieber Oberst Geschow!
 
Ich beglückwünsche Sie zu dem kecken Handstreich, der die erste
Stadt unserer Gegner -- zu dem Worte Feindevermag ich mich
aus Geschmacksrücksichten immer noch nicht aufzuschwingen -- so
überraschend in Ihre Hand spielte. Alle Kriegsgötter schützen Sie
ferner! Auch wir haben hier ein kleineres Detachement Preußen eiligst
still gemacht. Tapfere Leute, von einer wunderbar ausgebildeten
Disziplin, die für mich, offen gesagt, etwas Unheimliches und
Störendes besitzt. Eine fleischgewordene Idee, ein wild gewordener
Schulmeister kämpft gegen uns. Das Einmaleins schlägt gegen den
Analphabeten. Für mich eine sehr lästige Vorstellung. Aber Sie wissen
ja, ich bin auch als Soldat nur Dilettant und schließe mich gern
dem allgemeinen Glauben an, daß die Heuschreckenschwärme auch das
bestbestellteste Feld zu fressen vermögen.
 
Und nun, bester Fedor Juliewitsch, lächeln Sie über mich, tadeln Sie
mich, aber bedenken Sie, es ist mein gutes Herz, das mich antreibt,
mitten im männermordenden Streite eine Bitte für eine Dame
auszusprechen. Es handelt sich um das rothaarige Fräulein, das
man, wie auch Ihnen wohl bekannt ist, im Hause des Herrn Konsul
Bark festnahm. Ich kann mir nicht denken, daß die rote Hexe etwas
Ernsthaftes gegen die Sicherheit und das Glück des Zaren ersann.
Und da ich im Hause ihrer Schwester, einer überlebensgroßen blonden
Walküre, hier draußen im Quartier liege, so würde es für mein
Wohlbefinden und meine Verpflegung, die Ihnen als einem Organisator des
Sieges sicherlich auch nicht unwichtig erscheinen, von großem Werte
sein, wenn man das schmale Frauenzimmerchen recht bald wieder laufen
ließe. Könnten Sie zu diesem Zwecke irgend etwas beitragen, so würde
dies meine freundschaftliche Bewunderung für Sie, wenn es möglich
ist, noch erhöhen. Wenn nicht, -- =mon dieu=, dann werde ich der
verminderten Beköstigung seitens der marmornen Landsmännin Richard
Wagners unsere durch alle Welt so berühmte slawische Genügsamkeit
entgegensetzen.
 
Herr Oberst, ich bin Ihr Ihnen in unauslöschlicher Freundschaft
verbundener
 
Dimitri Sergewitsch Fergussow.«
 
* * * * *
 
Es gab Johanna einen Stich ins Herz, als sie zuerst den prachtvoll
gedeckten Tisch wahrnahm, für dessen Ausschmückung Marianne zu sorgen
übernommen hatte. Da funkelte das alte schwere Familiensilber, das von der
Ältesten nach dem Zusammenbruch Stück für Stück zurückgekauft war,
um nun von ihr wie ein Heiligtum gehütet zu werden. In schneeiger Weiße
leuchtete das glänzende feine Leinen auf der Tafel. Und als die Blonde
gar noch die schlanken Flaschen des seit Jahren abgelagerten Rheinweins
ins Auge faßte, als sie das Klingen der dünnwandig-geschliffenen Gläser
auffing, da tat es ihr in ihrem grübelnden Sinnen weh, weil sie selbst
an jenem Tisch Platz genommen, der für heute sicherlich nicht ihr eigener war. Reue und Beschämung befielen sie, weil sie geduldet, daß ihre sorglose Schwester ein festliches weißes Gewand angelegt, als ob es sich um eine strahlende Siegesfeier handele.

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