2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 30

Die Herrin und ihr Knecht 30


Jetzt -- aber mein Gott, was war das? Was bedeutete es, daß die Augen des
toten Prinzen dort oben auf dem Bilde einen immer sprechenderen Ausdruck
annahmen? Ein matter Zug von Sattheit und doch unterdrückter Lebensgier
spielte dabei um die fein geschwungenen Lippen, und es lag etwas
Spöttisches, Wegwerfendes in der Art, wie das Bild ihr auf Schulter und
Nacken herabschaute.
 
Minute auf Minute verstrich. Von draußen summte der matte Schlag
der Dorfuhr herein, und dazwischen hämmerten schwere Tropfen, jetzt
ununterbrochen, gegen die Fensterscheiben. Ein unablässiges Spritzen und
Rinnen. Sie wandte sich und sah, wie der weiße Vorhang des Fensters in der
Zugluft, die durch die undichten Fugen schlüpfte, leise hin und her bewegt
wurde. Um das Lämpchen auf dem Waschtisch schwirrte und gaukelte ein
winziger Nachtfalter. Von Zeit zu Zeit vernahm sie das Anschlagen seiner
Flügel.
 
Jedoch allmählich vermischten und verwirrten sich die Geräusche. Das
Frösteln über ihrer Brust zwang sie, sich tiefer zu verhüllen, sie griff
in den weißen Bettüberzug, lehnte sich weiter zurück, und noch einmal
war es der Versinkenden, als vermöge ihr drohender und abweisender Blick
das merkwürdige Lächeln von dem Bilde dort oben zu verscheuchen.
 
Draußen regnete es heftiger, aber in der kleinen Schlafstube wurde es
still.
 
War es das klirrende Summen des Nachtfalters oder wurden in der Tat vor
den Ohren der Dahingesunkenen weiche Saitenklänge laut? Aber wie fern und
fremdartig! »Es ist ein tatarisches Bauernlied,« sagte eine schmeichelnde
Stimme, vor der sich Johanna wie in Schmerzen hin und her wand, »gestatten
Sie, Gnädigste, daß ich Ihnen den Text übersetze:
 
»Ich küsse dich, Anuschka.
Ich küsse dich, Iwan.
Was wird sein, wenn wieder der Wein blüht?«
 
Gegen die Fenster flog ein Regenguß, dann zitterten die Scheiben, und die
Tür des kleinen Zimmers brach auf.
 
»Es bereitet mir aufrichtige Betrübnis, meine Gnädigste, Sie um diese
Zeit wecken zu müssen,« fuhr die wohllautende Stimme fort, und ein Hauch
von Kälte und Feuchtigkeit strömte über das Lager.
 
Entsetzen!
 
Johanna flog empor. Das Kissen unter ihrem Haupt fiel zu Boden, und ihre
Rechte rieb wild über ihre Augenlider, als sei es nur so möglich, dieses
wahnsinnige Traumbild zu vertreiben. Allein es blieb. Es stand vor ihr in
einem faltenreichen grauen Mantel, von dem der Regen triefte, und sobald
es sich bewegte, klirrten Sporen und Säbel. Die Augen des Phantoms jedoch,
diese halb traurigen, halb begehrlichen Augen, ruhten ohne Erbarmen auf der
von Schrecken und Entsetzen Niedergeworfenen.
 
Ungläubig, wild, vor den Ohren ein strömendes Rauschen, so lag sie
kraftlos in ihren Kissen, unfähig, durch die matteste Bewegung ihre
Blöße zu decken, und während ihre gebannte Zunge den Versuch machte,
einen verständlichen Laut hervorzustoßen, da saugten sich ihre
herumirrenden Augen, die noch immer nicht zu unterscheiden vermochten,
an dem matten, schwarzen Lauf eines Revolvers fest, den der Eindringling
gestreckt vor sich hielt, obwohl die Waffe von dem herabwallenden Mantel
halb verborgen wurde.
 
Ein paar eilige Sekunden regte sich in dem kleinen Zimmer nichts mehr,
in dumpfem Anschlag hörte man den Falter gegen den glühenden Zylinder
taumeln, die Menschen jedoch schienen an das unerhörte Begebnis wie
festgeschmiedet. Erst als die Atemzüge der Liegenden immer vernehmlicher
röchelten, als ob ein Sterbender von allem Gewohnten Abschied nimmt, da
schüttelte der verhüllte Offizier seine eigene Beklemmung ab und legte
begütigend die Hand auf das Kissen, ohne darauf zu achten, wie die Waffe
sich mit über das weiße Linnen schob.
 
»Meine Gnädige,« begann die reine einfangende Stimme von neuem, die das
Deutsche in einem so wunderlich reizvollen Tonfall vortrug, »bitte nehmen
Sie die Situation, wie sie in unserem Falle genommen werden muß. Ich habe
allerdings den Befehl, Ihr Gehöft zu besetzen, aber schon der Umstand,
daß ich den großen Vorzug Ihrer Bekanntschaft genieße, muß Sie von dem
Mangel jeder persönlichen Gefahr überzeugen.«
 
Noch redete der Fürst, als die Gutsherrin plötzlich etwas Kaltes, feucht
Durchfröstelndes an ihrem Arm spürte, und mit der Berührung schoß
ihr ihre Lage, ihre rettungslose Auslieferung an eine fremde Gewalt mit
schmerzhafter Klarheit ins Bewußtsein. Zuvorkommend lächelnd sah
der durchnäßte Offizier mit an, wie das blonde Haupt sich mit einer
gewaltsamen Anstrengung erhob, ja, er fühlte eine Art von Bewunderung für
die furchtlose Ruhe, die so unvermutet in den eben noch verstörten Zügen
lebendig wurde. Nur ungemein blaß blieben die Wangen des großen Weibes,
das so hoheitsvoll und unnahbar vor ihm gelegen hatte, und er konnte nicht
umhin, seine zudringlichen Augen niederzuschlagen, als er bemerkte, wie sie
mit rastlosen Händen ihren leinenen Mantel um ihre Schultern zusammenzog.
 
»Ist Krieg ausgebrochen?« war das erste, was sich rauh ihrer Kehle
entwand, während sie mit einer raschen Bewegung aus dem Bett glitt. Ganz
nah stand sie dem Manne jetzt gegenüber, von dem sie sich blitzartig
entsann, daß er Dimitri heiße, ihre Hände hielt sie unter dem Hals
zusammengefaltet, und ihre langen hellen Haare fielen ihr über die
Schulter.
 
Auch der Russe stand ohne sich zu rühren, nur die Nasenflügel bebten ein
wenig, und in seinen Blick drang etwas Unsicheres, das zu seiner gewohnten
vornehmen Überlegenheit nicht völlig paßte.
 
»Ist Krieg ausgebrochen?« stieß Johanna noch einmal hervor, und ihre in
der matten Beleuchtung fast dunklen Augen umspannten aufmerksam die nahe
Tür, als begänne sie bereits jetzt zu berechnen, wie man den Ausgang
gewinnen könne. »Uns ist von einer Erklärung nichts bekannt,« setzte
sie schon etwas anklagender hinzu, denn ihr Gerechtigkeitssinn klammerte
sich selbst in diesem Weltuntergang an Ordnung und Herkommen.
 
Der Offizier jedoch zuckte verbindlich die Achseln und riß sich mit einem
entschuldigenden Murmeln die durchnäßte grüngraue Mütze von seinem
Lockenhaupt, denn jetzt, da die große blonde Nemza so kühl und frostig,
wie er sie im Gedächtnis bewahrte, vor ihm aufragte, da erinnerte sich
sein anerzogener Takt daran, daß er immerhin vor einer Dame stände und
zwar in ihrem Schlafgemach.
 
»Gnädigste,« sagte er rasch, indem er die kleine Schußwaffe in
die Manteltasche gleiten ließ, um sein Gegenüber nicht unnötig zu
ängstigen, »ich bedaure es außerordentlich, daß ich für Sie der erste
Bote der bereits seit gestern begonnenen Streitigkeiten sein muß. Ob diese
Differenzen vorher angekündigt wurden oder nicht, bin ich leider nicht
in der Lage zu übersehen. Jedenfalls bringt der rasche Einbruch für uns
Vorteile, die ich wahrzunehmen gezwungen bin.«
 
In dem Bestreben, die Gutsherrin zu beruhigen, wollte der Dragoner
augenscheinlich noch etwas anfügen, als sich hinter ihm ein Poltern und
Schreien erhob. Ein paar völlig mit Kot bespritzte, vom Regen beinahe
durchweichte Soldaten waren die Treppe heraufgestürmt. Sie hielten
eine brennende Stallaterne vor sich und starrten neugierig in das offene
Stübchen, mit einem heimlichen Schmunzeln, das Johanna, obwohl sie jetzt
erst den vollen Ernst ihrer Bedrängnis erkannte, innerlich empörte.
 
»Durchlaucht,« wandte sie sich ohne noch eine Spur von Beängstigung
zu verraten, an den Offizier, und ihre Stimme klang streng und ernst
wie immer, »bitte schicken Sie Ihre Leute fort, denn ich bin nicht so
bekleidet, um mich vor Fremden zeigen zu können. Das gilt auch für
Sie. Und dann bitte sagen Sie mir, was Sie von mir wünschen und welches
Schicksal mich und die Bewohner von Maritzken erwartet.«
 
Der Russe wandte sich erst zur Tür, warf die Hand gebieterisch vor und
rief ein einziges fremdartiges Wort. Aber seine Weise, Befehle zu erteilen,
schien von der Gewöhnung diktiert, Gehorsam zu erzwingen. Sofort krümmten
sich die durchnäßten struppigen Gestalten auf dem dunklen Flur zusammen
und tappten lautlos die Treppe herunter. Nur ein starker Mann, der wohl die
Charge eines Wachtmeisters einnahm, raffte den Säbel militärisch an sich
und erstattete eine kurze Meldung. Daraufhin flog ein Schatten über die
Züge des Fürsten, er wandte sich ein paarmal unentschlossen hin und her,
um dann von neuem auf die Besitzerin des Hauses zuzutreten. Diesmal jedoch
klang seine Anrede nicht mehr so devot und rücksichtsvoll, sondern sie
war beherrscht von dem Willen eines Machthabers, der für seine Wünsche
Beachtung zu finden gesonnen ist.
 
»Meine Gnädige,« begann er, »ich hätte es sicherlich vorgezogen, Ihnen
erst morgen meine Aufwartung zu machen, wenn ein Unfall uns nicht zwänge,
Ihre tätige Mitwirkung zu erbitten. Ich brauche ein gut eingerichtetes
Zimmer für einen Verwundeten,« fuhr er knapp und berechnend fort.
»Drinnen in der Stadt ist einem meiner Offiziere von einer bekannten
Persönlichkeit ein Empfang bereitet worden, wie wir ihn von einem uns
freundschaftlich nahestehenden Herrn nicht erwarten durften.«
 
»Um Gottes willen, von wem reden Sie?« rief Johanna von einer Ahnung
durchschlagen.
 
Der Offizier jedoch schüttelte diesmal abweisend das Haupt. »Ich bedaure,
darüber keine Auskunft erteilen zu können,« lehnte er mit einer leichten
Verbeugung ab. »Dagegen muß ich Sie noch einmal ersuchen, für meinen
verwundeten Kameraden die umfassendste Sorge tragen zu wollen. Er glaubte,
hier eine unserer Sanitätskolonnen erreichen zu können, aber dieses
Vorhaben ist uns leider mißgeglückt. Bitte wollen Sie deshalb, mein
Fräulein, sofort ein geräumiges Zimmer aufschließen lassen und uns
sodann die etwa vorhandenen Leinen- und Verbandstoffe anvertrauen.«
 
»Darf ich mich erst umkleiden?« drängte die Älteste von Maritzken
gepreßt.
 
Der Offizier bewegte bedauernd die Hand.
 
»Ich vermag Ihren Unwillen vollkommen zu begreifen,« wandte er immer noch
mit seiner konzilianten Haltung ein, »allein wie ich schon betonte, unser
Fall verlangt die größte Eile. Bitte, wollen Sie vorantreten,« forderte
er dann noch zielbewußter, »und seien Sie überzeugt, Ihnen wird nicht
nur von mir, sondern auch von allen meinen Untergebenen jeder Respekt
entgegengebracht werden!«
 
Damit ergriff der Russe ohne weitere Erlaubnis die kleine Petroleumlampe,
trat an die Schwelle der Tür und hob die Leuchte hoch in die Höhe.
Johanna aber durchdrang, während sie schweigend an ihm vorüberschritt,
zum erstenmal das peinigende Gefühl des Unterworfenseins. Es war ja
eigentlich eine ganz lächerliche Veranlassung, aber als der fremde Mann,
der sie doch mit ausgesuchter Höflichkeit behandelte, den Porzellangriff
des Lämpchens umklammerte, mit einer Selbstverständlichkeit, als
hätte von nun an alles, was zu diesem Hause gehörte, unbedingt und ohne
Widerrede seinen Wünschen zu dienen, da schnitt dem Landfräulein etwas
ins Herz. Etwas, das nie wieder heilen sollte und wodurch in ihr Denken
ein Verlangen hineingetragen wurde, das sie sich vorläufig noch nicht
zu deuten vermochte, vor dessen Gewalt aber ihr ruhiges Gleichmaß
schließlich in die Knie brach. Eilfertig, wie ihr geheißen war, stieg sie
die Treppe herunter, ihre Hände zogen noch immer instinktiv die leinene
Hülle fest unter ihrem Halse zusammen, aber während sie bereits kühl
und folgerichtig überlegte, welche Anordnungen nun zunächst zu treffen
wären, und ob nicht etwa Knechten und Mägden bereits ein Unheil
widerfahren sein könnte, da spürte sie in den Tiefen ihres Wesens
ein unheimliches wildes Klopfen und Drängen, ein Fluten, das wie ein
unstillbares Fieber von nun an ihren Leib umhüllte, auch wenn ihr Mund
lächelte. Mit leichten Tritten war ihr Fürst Fergussow gefolgt.

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