2015년 11월 30일 월요일

Die Herrin und ihr Knecht 33

Die Herrin und ihr Knecht 33


Dicht vor ihm, tief in einen mattblauen Samtsessel zurückgelehnt, schlug
Marianne ihre Füße gefällig übereinander und schien eben aus einer
jener leichten Plaudereien aufgestört, die sie so heiter und zugleich
so inhaltslos zu führen wußte. Hinter dem Kopfende des Sofas jedoch
verharrten, wie in wachem Schlaf und mit halb geschlossenen Augen die Frau
des Verwalters Baumgartner sowie ihr halbwüchsiges Töchterchen, obwohl
sie sich vor Mühe, Angst und Anstrengung kaum noch auf den Füßen zu
halten vermochten. Wahrlich, für die Hereintretende lag ein empörender
Unterschied in dem völligen Zerfall dieser beiden arbeitenden und
geplagten Geschöpfe und der unbekümmerten Behaglichkeit ihrer eigenen
Schwester. Jedoch die Verletzte bezwang sich und hob, nachdem sie »guten
Morgen« geboten, nun in ihrer kurzen und sehr verständlichen Weise an:
 
»Wie kommt es, daß du heut schon so früh zu sehen bist, Marianne?«
 
Die Schwarze lächelte trotzig. Jetzt, da eine andere, eine fremde Gewalt
hier im Hause herrschte, da schien es ihr Vergnügen zu bereiten, sich
dem Willen der älteren Schwester immer mehr zu entziehen. Und in ihrer
spöttischen und selbstbewußten Art versuchte sie, es der Großen, die ihr
so wenig Freiheit ließ, deutlich zu zeigen. Ohne ihre lässige Stellung
aufzugeben, warf sie gleichgültig hin:
 
»Oh, ich sitze schon etwa eine Stunde hier. Ich hörte unseren Gast ein
paarmal laut rufen, und da meinte ich -- --«
 
Doch die Ältere ließ sie nicht zu Ende gelangen.
 
»Unseren Gast?« unterbrach sie scharf und richtete ihre strengen Augen
wenig erfreut auf das blutleere Antlitz des Mannes, der ihr schönes blaues
Samtsofa so unbarmherzig zerdrückte.
 
Von dem harten Ton getroffen schlug auch der Rittmeister erstaunt und
weltenfremd seine blauen Augen auf, die er für einen Moment kraftlos
geschlossen. Unwillkürlich stützte er sich mit der Rechten krampfhaft auf
das Polster der Seitenlehne, während er sich bemühte, selbst in
seiner jetzigen traurigen Verfassung eine seiner gewohnten Verneigungen
auszuführen. Allein er brachte es nur bis zu einem ruckartigen Vorstrecken
des zerzausten Hauptes, um gleich darauf in ein nur schwer verhehltes
Stöhnen auszubrechen.
 
»=Bon jour=, Gnädigste,« rasselte er in dumpfen Tönen, »hoffe,
daß nicht gestört worden sind. Ich selbst vortrefflich geruht, ganz
vortrefflich,« und er schlug sich mit der flachen Hand auf die nackte
Brust, so daß es ein merkwürdiges fleischiges Geräusch verursachte.
»Pompöses Quartier,« fuhr er fort, wobei er müde und ausdruckslos
seinen Blick über die Samtmöbel fortgleiten ließ, bis er an der
prachtvollen Gestalt von Marianne haften blieb. »Damen bemühen sich um
unbedeutende Unpäßlichkeit gar zu aufopfernd. Darf ich fragen,« hauchte
er und dehnte sich von Schmerzen zerrissen hin und her, »ob Arzt --
Arzt schon benachrichtigt wurde? Handelt sich zwar nur um Kleinigkeit
-- versichere Sie, um absolute Bagatelle -- aber man möchte sich doch
möglichst bald wieder an lustigem Herumstreifen beteiligen.«
 
Jetzt gab Marianne ihre ruhende Stellung auf, und während sie sich über
ihr welliges Haar strich, da äußerte sie recht warm und bedauernd, als ob
ihr das Leiden des fremden Reiters besonders nahe ging:
 
»Herr Rittmeister, vor einer halben Stunde hat Ihr Wachtmeister bereits
gemeldet, daß Herr Doktor Küster, unser Landarzt, leider nicht mehr
aufzufinden wäre.« Und unbekümmert und ohne auf die schreckensstarre
Schwester zu achten, setzte sie noch hinzu: »Das Haus des Doktors soll
vollständig herabgebrannt sein.«
 
»Herabgebrannt?!« stieß Johanna, die ihren Platz an der Tür noch immer
nicht aufgegeben hatte, sich vergessend hervor, und ihre Fäuste ballten
sich. »Herr Rittmeister, haben Sie gehört? Wie wollen Sie eine solche
Schandtat verantworten?«
 
Inzwischen hatte sich Leo Konstantinowitsch mühsam in die Höhe gerichtet,
und sein Bewußtsein gelangte allmählich zu größerer Klarheit. Bedauernd
zuckte er die Achseln.
 
»Sicherlich nur Zufall, Gnädigste,« beschwichtigte er. »Unter meiner
Führung wäre gewiß nicht geschehen. Aber Fürst Fergussow, der hier
kommandiert,« fuhr er berechnend und immer mehr aufwachend fort, und
ein heimtückischer Zug verbreitete sich um seine groben Lippen, »Fürst
Fergussow von Petersburger Garde steht viel zu hoch und -- wie sage ich
-- denkt viel zu liberal, als daß er gemeinen Soldaten ein so harmloses
Pläsier verwehren sollte.«
 
»Aber das ist ja nicht möglich,« schnitt Johanna verächtlich ab. »Wie
können Sie einem Aristokraten Ihres Landes Freude oder gar Duldung für
ganz gewöhnliche Brandstifterei, für Raub und Diebstahl nachreden?«
 
Der Russe verbeugte sich wieder und schlug mit der Hand abwehrend durch die
Luft.
 
»Pah, unsere Aristokraten,« zischte er, und seine unerträglichen
Schmerzen rissen das letzte Bedenken nieder, über dasjenige herzufallen,
was ihm in besseren Zeiten so oft den Weg versperrt hatte. Auch zwang ihn
fressender Neid, jenen schönen Kameraden, von dem er immer argwöhnte,
daß er sich ohne Mühe alle Weiber dienstbar zu machen wisse, gerade vor
diesen beiden prangenden Geschöpfen herunterzureißen und zu besudeln.
»Setzen sich, schöne Damen, -- setzen sich Gnädigste.« Er schob mit dem
freien Fuß krachend und ohne Verständnis für die Unschicklichkeit, der
Ältesten von Maritzken einen Samtsessel hin. »Setzen sich,« schrie er
ungeduldig, als er sie zögern sah.
 
Und erst, als Johanna, um den Kranken nicht zu heftigerem Toben zu
reizen, seinen Wunsch befolgt hatte, da sprach der Leidende in gieriger
Verkleinerungssucht weiter. Aus jedem seiner Worte tröpfelte bitterer
Haß. Der Bauernsohn, der todgezeichnete, schlug mit der Faust gegen das
goldene Schild des hoch Gefürsteten, von dem er wußte, daß er selbst
für ihn immer nur ein freigelassener Leibeigener geblieben sei.
 
»Oh, Damen kennen nicht,« fiel es giftig und neidisch von seinen Lippen,
und vernehmlich redete sein brennendes Fieber mit: »wie wenig reiche
Hofherren sich um ihre Untergebenen kümmern. Wir existieren gar nicht
für sie. Wir sind nur Namen, Namen, die man in Listen schreibt oder wieder
wegstreicht. Und besonders Dimitri Fergussow. Glauben mir, ich sage Ihnen,
um Sie vor dieser glatten Maske zu warnen. Denn ist ja möglich, daß mich
lächerlicher Ritz dorthin befördert, wohin wir gestern schon eine Anzahl
von uns versteckt haben. Eingeschaufelt, verstehen Sie? Ich bitte um
Vergebung, ist sehr häßlicher Gedanke, aber Teufel hält uns alle am
Halskragen. Ja, besonders dieser Fergussow trägt Stein in der Brust. Wie
könnte er sonst leben, wie könnte er ruhig schlafen? Ist ein Mörder,
glauben Sie mir, ein Frauenschlächter, natürlich nicht mit Messer. Aber
an seinen Händen klebt mehr heißes Blut, als hier an Säbel, den ich
gestern noch munter hin und her tanzen ließ.«
 
Da reckte sich Johanna und machte Miene sich zu erheben.
 
»Das interessiert mich nicht,« lehnte sie frostig ab. »Mich gehen die
Schicksale Ihres Vorgesetzten nichts an.«
 
»Doch, doch,« widersprach Sassin eifrig, als ob er fürchte, der heimlich
gehaßte Kamerad könnte ihm auch jetzt wieder entwischen, »Sie wissen
nicht. Aber ist schändlich, schreit zum Himmel. Ganz Petersburg beklagt
noch heute kleine Kroniatowska.«
 
»Lassen Sie das,« befahl Johanna halblaut, und doch rührte sie sich
nicht, ja sie wandte gegen ihren Willen das blonde Haupt dem Liegenden zu,
als Marianne neugierig näher rückte.
 
»Wer ist die kleine Kroniatowska?« warf die Schwarze gespannt dazwischen,
und ihr dunkles Antlitz belebte sich. In diesem Augenblick waren die
letzten Reste der Erinnerung an die Not und das Grauen, die sich über
Nacht auf das Land herabgesenkt hatten, von der Leichtsinnigen vergessen.
»Ich erinnere mich, es wurde auch während unseres Besuches bei Ihnen von
der Dame gesprochen. Es muß ein sehr junges Mädchen gewesen sein.«
 
»Sehr jung? Sagen Sie Kind?« stieß Leo Konstantinowitsch hervor, und die
Sucht, seinen Gefährten in einem möglichst ungünstigen Lichte erscheinen
zu lassen, verlieh ihm eine vorüberblitzende Spannkraft. »Vollkommenes
Kind, meine Damen,« rief er mit kräftigerem Ton als bisher,
»fünfzehnjährig. Wie man sagt, zweifelhafter Nachkömmling von großer
Katharina.«
 
»Bitte, das wünschen wir nicht zu hören,« verwies hier Johanna
ernstlich entrüstet und machte Miene aufzustehen.
 
Allein der Kranke faltete beinahe flehend die Hände und stammelte
inbrünstig:
 
»Bleiben Sie, bleiben Sie, vergesse mich nicht wieder. Wollte Ihnen nur
erzählen, wie durch betrügerischen Halunken von Mönch guter Dimitri mit
kleiner ahnungslosen Prinzessin bekannt wurde. Eifer von Herrn Adjutanten
soll damals in Glaubenssachen so überwältigend und überzeugend gewesen
sein, daß armes Ding in dem demütigen und zerknirschten Bekenner einen
Erweckten, -- haha -- einen Erleuchteten sah. Ist nicht hübsch? Einem
solchen Heiligen gegenüber durfte man natürlich keinen eigenen Willen
besitzen.«
 
»Hören Sie auf,« befahl Johanna von Grauen geschüttelt und starrte ihn
an.
 
»Soll brausende Glut zwischen Beiden gewütet haben. Natürlich nur
himmlische. Was weiß ich? Einige Monate später freilich lag Kleine
aufgebahrt zwischen Wald von weißen Lilien. -- Vergiftet. -- Seine
Durchlaucht aber weinte und schluchzte, klagte sich des gräßlichsten
Verbrechens an, und Kammerdiener soll ihm zweimal Revolver entwunden
haben. Ja, ist gutmütige und mitfühlende Seele, und beruht gewiß auf
Verleumdung, wenn Klubgenossen einige Wochen darauf behaupteten, Fürst
Dimitri hätte jeden Zusammenhang mit der fatalen Affäre schroff
abgelehnt, ja achselzuckend geäußert, man könne doch nicht verlangen,
daß zu seinen übrigen Hofämtern noch Charge von Kinderbonne übernehme.
Witzig, meine Damen, nicht wahr? Treffend! Kavalier, dem alle Herzen
zufliegen. Leo Konstantinowitsch Sassin kann sich natürlich nicht
messen, ist nur armer Bauernsohn. Aber Teufel hole all diese wahnsinnigen
Unterschiede! Man bekommt sie satt, wenn man so da liegt, wie ich.«
 
Der Rittmeister schwieg und sank zurück. Die übermäßige Anstrengung
brachte ihn um den Genuß, den Erfolg seiner Boudoir-Geschichte beobachten
zu können. Und doch wäre er vielleicht mit der Wirkung, die er bei
den beiden Mädchen erzielt hatte, zufrieden gewesen. Denn Marianne
unterdrückte kaum ihr vielbedeutendes üppiges Lächeln, und ihr Geist,
der nur bei derartigen Intrigen eine Teilnahme verriet, wo es auf den Kampf
zwischen Mann und Weib ankam, er schien durch das Geheimnisvolle dieser
sündigen Affäre angenehm erregt. Auch Johanna lächelte. Aber es war
die kalte Befriedigung eines Menschen, der sich wohl fühlt, weil seine
Abneigung und sein Haß endlich einen gesicherten Grund gefunden. Ein
müdes, schlaffes Schweigen breitete sich in dem kleinen Gemache aus. Man
hörte nur noch das Plätschern des Wassers, so oft das schlaftrunkene Weib
des Verwalters dem Verwundeten eine neue Kühlung auf die Brust legte.
Und eine ganze Weile saß die Älteste von Maritzken, die sonst für jede
Minute des Tages eine besondere Beschäftigung wußte, teilnahmlos und
stumm, gemartert von der unbeschreiblichen Leere der Zwecklosigkeit, da ihr
Wirken und Schaffen von einer brutalen Gewalt unterbunden war.
 
Plötzlich fuhr sie auf. Wie lange sie so vor sich hingesonnen, wußte sie
nicht mehr. Jetzt sah sie, wie Marianne eilfertig das Fenster aufriß, und
zu gleicher Zeit klang ein Trompetensignal über den Hof. Das Getrappel
vieler Rosse, sowie das laute Gewirr sich verschlingender Stimmen erfüllte
die Morgenluft.
 
»Fürst Fergussow kommt eben durch das Tor,« meldete Marianne, als ob
es sich um einen längst ersehnten Befreier handle, »welch einen schönen
Schimmel er reitet.«
 
»Arabische Zucht,« murmelte von seinem Sofa Leo Konstantinowitsch, obwohl
er sich seinem Dämmerzustand nicht mehr entwinden konnte. »Zarengeschenk
-- verwünschte Bande!«
 
»Komm, Johanna,« drängte Marianne noch einmal und winkte lebhaft mit dem
Finger, »denke nur, Durchlaucht hat mich schon bemerkt und ist schon vom
Pferde herunter. Jetzt wirft er die Zügel einem anderen zu und nähert
sich direkt unserem Fenster. Willst du ihn nicht begrüßen?«Von der Lagerstatt des Kranken drang ein Schnauben herüber. Die Blonde aber regte sich nicht, sie sank nur noch tiefer in ihren Stuhl zurück, als könnte sie sich auf diese Weise vor den Blicken des jungen Mannes verbergen, der sich soeben mit einem höflichen Gruß in die Fensterhöhlung hineinbeugte.

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