2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 23

Die Herrin und ihr Knecht 23


Johanna griff fest in die Seitenlehne des Klubsofas. Ihr heller Verstand
verriet ihr auf der Stelle, dort auf dem Vorhof spiele sich nichts
Gleichgültiges ab, nein, daß der Bote vielmehr eine Entscheidung
brächte. In das Dunkel, das sie alle umgab, wurde sicherlich in diesem
Augenblick eine Fackel geschleudert, in der nächsten Minute konnte bereits
ein wütender Brand auflodern, wilde Glut mußte Weg und Zukunft erhellen.
Nicht um einen Schlag pochte das Herz der Landtochter schneller. Die
Gewißheit war stets ihre treueste Bundesgenossin. Und nur ein einziger
Gedanke riß klar und blendend durch ihr Bewußtsein.
 
Fort!
 
Gab es für sie und die Schwestern, die in ihrer Hut standen, noch einen
Rückweg? Das unerschütterliche Vertrauen auf die Standhaftigkeit des
weißen Friedenstempels, unter dessen glattem Marmordach ihr ganzes Leben
verflossen, es war eine Torheit gewesen. Ihre Augen starrten unausgesetzt
auf den offenen Durchgang. Nicht der kleinste Zug in den aufgeregten Mienen
der Männer dort draußen entging ihr. Ihr war es, als verstände sie
plötzlich jede Silbe der fremden Worte, die da so rasch und kurz wie
Flintenkugeln durcheinanderflogen.
 
Kein Zweifel, das Fürchterliche war da!
 
Und alles, was nun geschah, wirrte wie Schattenbilder um sie her. Fast
lautlos und unhörbar vorübergleitend.
 
Stürzte nicht der Bergbaustudent Alexander Diamantow auf den Flur hinaus,
um die schmale Tür sofort hinter sich zu schließen? Eine plötzliche
Stille trat ein. Auch in das Nebenzimmer mußte bereits die geheimnisvolle
Kunde gedrungen sein, denn auch dort war jeder Laut erstorben. Man hörte
nur das leise Klirren der Teetasse, die in der Hand der Gouverneurin
zitterte. Gleich verwunschenen Traumfiguren, leblos, keiner Bewegung
mächtig, verharrten die Männer in Johannas Umgebung.
 
Und dann -- die Tür flog auf, -- weiß wie ein Blatt Papier überreichte
der Bergbaustudent dem Obersten Geschow ein geschlossenes Formular. Johanna
sah, wie sich die breite Brust des untersetzten Obersten gewaltsam hob. Die
gutmütigen grauen Augen des Mannes schlossen sich für eine Sekunde, und
seine fleischige Rechte strich schwerfällig über die kurz
geschorenen weißen Haare. Im nächsten Moment freilich stieß er einen
unverständlichen Ruf aus, brach zitternd vor Aufregung das Schreiben
auseinander, und während er sich damit vorgebeugten Hauptes gegen das
Fenster wandte, wehrte er es den anderen nicht, ihm in atemloser Spannung
über die Schultern zu blicken. Ein starkes Atmen ging durch den Raum.
 
Gleich darauf kehrte sich der Oberst zurück. Mit einer straffen Bewegung
steckte er sich das Formular in den Ärmelaufschlag, nickte kurz und
warf ein einziges Wort hin. Es pfiff wie ein Säbelhieb. In den Augen des
Kommandeurs aber funkelte ein seltsames Leuchten.
 
Da -- vom Hof schallte ein hundertstimmiger Schrei herein. Taumel, Ekstase,
Rachegier oder ein allgemeines begeisterungstrunkenes Gelöbnis mischte
sich in dem langen, die Brust befreienden Aufbrüllen. Oberst Geschow
jedoch, der fast schon unter dem Vorhang weilte, warf energisch die Rechte
zurück, als erteile er den gemessenen Befehl, daß seine Untergebenen
derartige Kundgebungen sofort zu unterdrücken hätten, und ohne Verzug
eilte die Mehrzahl der Offiziere auf den Hof hinaus. Der Rest folgte seinem
Kommandeur in das Gesellschaftszimmer, und bald befand sich die Fremde, die
man vergessen hatte, allein.
 
Nein, nicht allein.
 
Langsam kehrte das Leben in die Glieder des Fürsten Fergussow zurück. Er
war es, der einzig von allen anderen noch immer neben der Fremden weilte,
und sie sah nun wie der junge Mann aus seinem tiefen Nachdenken zu erwachen
schien. Keine Muskel regte sich in dem reinen kalten Antlitz, als er jetzt
ernst seine sanften braunen Augen auf die Deutsche richtete. Dann verneigte
er sich vor ihr ganz in der Art eines großen Herrn.
 
»Meine Gnädigste,« sagte er zuvorkommend, »Oberst Geschow hat
zweifellos im Drang seiner Geschäfte Ihnen gegenüber eine Pflicht
verabsäumt. Es kann ihm nur angenehm sein, wenn ich sie an seiner Statt
erfülle.«
 
Noch hatte der Fürst nicht ganz geendet, als hinter dem Vorhang die
laute Stimme des Hausherrn, des Rittmeisters Sassin, in ihr gewöhnliches
polterndes Lachen ausbrach. Augenscheinlich galten seine Beruhigungen den
fremden Gästen, die gewiß durch das zuletzt Erlebte einem hemmungslosen
Schrecken verfallen waren.
 
»Aber meine Damen,« hörten die beiden Lauschenden das vollsaftige
Organ des Rittmeisters schmettern, »mein bester Freund Rudolf Bark, welch
unnötige Aufregung! Eine dienstliche Depesche wie hundert andere. Nicht
der geringste Grund, um darüber nachzudenken. Wie? Aufzubrechen wünschen
Sie? Das dulde ich unter keinen Umständen. Das leide ich einfach nicht.
Das Ganze war hier als ein kleiner =thé dansant= gedacht. Jede Minute
müssen die Spielleute unseres Regiments eintreffen. Nein, um dieses
Vergnügen lasse ich uns nicht bringen. Sie befinden sich unter Freunden,
nicht wahr, Oberst Geschow?«
 
In dem Billardzimmer jedoch zog Fürst Fergussow die Augenbrauen zusammen.
 
»Ich weiß nicht, mein Fräulein,« äußerte er rasch zu seiner
Gefährtin, die ihm nun in ihrer ganzen Größe gegenüber ragte, »warum
Leo Konstantinowitsch so Widersinniges redet. Ich hoffe, es geschieht, um
Ihre Furcht nicht noch zu vermehren. Aber wie gesagt, ich glaube Ihnen die
Wahrheit schuldig zu sein. Hören Sie also: Soeben erfuhren wir, daß
Ihre Regierung an die unsrige ein Ultimatum richtete. Es läuft in
zweiundsiebzig Stunden ab.«
 
»Ist das der Krieg?« fragte Johanna ruhig.
 
Dimitri Sergewitsch zuckte die Achseln.
 
»Wer weiß das?« gab er knapp zurück. »Wir Frontoffiziere vermögen
derartiges am wenigsten zu beurteilen. Aber auf die Gefahr hin, uns Ihrer
Gegenwart zu berauben, möchte ich Sie doch bitten, sich sofort in Ihre
Heimat zurückzubegeben.«
 
»Hörten Sie nicht,« warf Johanna mit ihrer gewohnten Umsicht ein, »daß
Ihr Freund, der Rittmeister Sassin, uns nicht fortzulassen wünscht?«
 
»Das kann nur ein Scherz sein,« erwiderte der Aristokrat sich
aufrichtend, und in diesem Moment sah man, wie kräftig die Muskeln in
seinen schlanken Gliedern spielten. Er schlug den Vorhang zurück, um seine
Gefährtin in das Gesellschaftszimmer vorantreten zu lassen, und seine
einschmeichelnde Stimme nahm einen Klang an, der vollständig von der
Gewohnheit des Befehlens beherrscht war. »Leo Konstantinowitsch,« rief er
laut, »wir alle bedauern es lebhaft mit Ihnen, weil die Zeit für unsere
deutschen Gäste abgelaufen ist. Die Herrschaften wünschen sich zu Fuß
bis zu der Brücke zu begeben, und Sie werden die Güte haben, dafür Sorge
zu tragen, Herr Kamerad, daß der den Damen gehörige Wagen ihnen sofort
folgt.«
 
»Das leide ich nicht,« knurrte Sassin plötzlich händelsüchtig, und
eine rote Blutwelle schoß ihm in die Stirn. »Wozu das alles? Auf der
Straße treibt sich jetzt ohnehin allerlei Fabrikarbeitervolk herum, die
Damen könnten nur Unannehmlichkeiten erfahren.«
 
»Es ist vernünftig, Leo Konstantinowitsch, daß Sie darauf aufmerksam
machen,« entgegnete Fürst Fergussow, obwohl er ihn keines Blickes
würdigte. »Aber ich selbst werde die Ehre haben, die Damen sowie den
fremden Herrn bis an die Brücke zu geleiten.«
 
»Ah, Sie selbst, Durchlaucht,« murmelte der Hausherr erstickt.
 
»Sie gestatten, daß ich mich Ihnen anschließe,« erbot sich Oberst
Geschow. »Ich vermute, daß besondere Brückenbefehle ausgegeben sind, und
ich wünsche, daß unsere Gäste ohne Belästigung hinüber gelangen.«
 
Die Gesellschaft sprach laut durcheinander. Jeder suchte sich und
die übrigen davon zu überzeugen, daß all die gewünschten
Vorsichtsmaßregeln völlig grundlos wären, weil sich bei der bekannten
Friedensliebe und Gutmütigkeit des slavischen Volkes niemals etwas
Ernstliches ereignen würde.
 
»Wie können in einem Staate, der sich so langsam emporarbeitet,
überhaupt jemals solche das Volksvermögen zerrüttende Gedanken
auftauchen,« ächzte der Gouverneur Bobscheff, indem er, schlau mit den
Augen zwinkernd, seinen Hals weit über die übrigen erhob. »Man wird
einen Ausweg finden. Auf Auswegen beruht die ganze Politik.«
 
»Hören Sie es?« machte Tatiana, die Heroldin seines Ruhmes, aufmerksam.
»Mein Gatte verwirft aus nationalökonomischen Bedenken jede kriegerische
Auseinandersetzung.«
 
»Leben Sie wohl, Rudolf Bark,« so schritt unbekümmert um die betroffenen
Mienen der anderen die dunkle Tatarin mitten durch den ausweichenden
Kreis hindurch und auf den Kaufmann zu, der wie eine Schutzwehr für seine
bereits in der Diele befindlichen Damen, noch auf der Schwelle verharrte.
Und einer sie durchströmenden Scham nachgebend, streckte Maria Geschowa
dem Konsul warm die Hand entgegen. »Sie wissen jetzt,« sagte sie ganz
laut, als ob sie wünsche, daß es die anderen auffangen sollten, »Sie
wissen jetzt, warum es hier manche Heimlichkeiten gab. Aber das, was ich
Ihnen jetzt sage, das können Sie mir ehrlich und ohne Mißtrauen glauben.
Ich wünsche von Herzen, daß die uns noch zur Überlegung gegönnten drei
Tage eine blutige Entscheidung abwenden möchten. Denn gleich mir, so gibt
es hier unter uns viele,« setzte sie mit erhobener Stimme hinzu, als sie
das eisige Schweigen der Umstehenden bemerkte, »viele gibt es hier, die
nichts so widersinnig, ekelerregend und hündisch finden, als das bewußte
Zerfleischen von Geschöpfen, die sich Menschen nennen. Pfui, möchte es
nie dazu kommen!«
 
»Du hast recht, Maria,« pflichtete nach einer Pause des bedrückten
Schweigens der Gatte der Tatarin, Oberst Geschow, sehr ernsthaft bei und
streichelte der erregten Frau billigend und respektvoll über den Arm.
»Hoffen wir, daß das Menschengeschlecht diesen Schritt nach unten nicht
zu wagen braucht; denn nach abwärts wird der Weg führen.«
 
In diesem Augenblick öffnete Fürst Fergussow die äußere Tür, und
das Licht des funkelnden Sommertages flutete üppig und hell auf all die
ängstlich zusammengedrängten Menschenköpfe, die ahnungsvoll nach dem
fernen Grollen des Weltenschicksals hinaushorchten.
 
* * * * *
 
In wenigen Minuten hatte man den Brückenkopf erreicht. Und doch war es den
durch den schwarzen kotigen Kohlenstaub dahineilenden Mädchen gewesen, als
ob sie sich durch andrängende Jahre hätten hindurcharbeiten müssen.
Das rußige Erdreich besudelte ihre hellen Schuhe, die offenen Mäntel
flatterten unordentlich hinter ihnen her: Ganz gleich, nur den Ort
erreichen, von wo man die Heimat sehen konnte, die sichere, die
schützende.
 
Da -- gottlob -- da gewahrte man schon den schmalen Fluß, man sah
die langen Kohlenkähne, vor denen die Ablader nun beschäftigungslos
herumlungerten. Und jetzt, -- war das nicht das Getrappel vieler Pferde,
das da hinten von der hölzernen Brücke herüberpolterte? Noch ein paar
Schritte, und die dunkelblauen Uniformen einer Reiterabteilung wurden
sichtbar, die auf unruhigen Pferden dicht vor dem Brückeneingang hielt.
Die gezogenen Säbel blitzten im Licht des Spätnachmittags.
 
»Großer Gott,« fuhr Isa auf, während sie die Hand ihrer ältesten Schwester, die ruhig und aufgerichtet wie immer neben ihr herschritt, in heftiger Bestürzung umklammerte, »was bedeutet das? Hans, ob man uns hier gewaltsam zurückzuhalten gedenkt?

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