2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 18

Die Herrin und ihr Knecht 18


Lieber Himmel, man interessiert sich,« verteidigte sich die junge
Tatarin, wiegte sich in den Hüften und gab über ihre Schulter hinweg
einem hinter ihr weilenden jüngeren Offizier ein anmutiges Zeichen, er
möge ihr eine Zigarette reichen. »Man genießt in unseren weltverlorenen
Garnisonstädten ja keine andere Abwechslung, als die Lektüre.«
 
Die Offiziere stimmten der geschmeidigen, anziehenden Mariampolerin durch
ein beifälliges Gemurmel unbedingt zu. Frau Bobscheff jedoch, die ihre
lokale Würde gefährdet sah, pustete Luft von sich und lenkte dann etwas
sanfter ein:
 
»Man hört jetzt soviel von dem sittlichen Verfall der Jugend in unserem
heiligen Rußland. Über die Ursachen hat eben jeder seine eigene Ansicht.
Nicht wahr, Wladimir Petrowitsch?« wandte sie sich an ihren Gatten, der
lang wie eine Telegraphenstange hinter ihr stand und nun sein von
weißen borstigen Haaren gekröntes Raubvogelantlitz willfährig zu
ihr herunterneigte, »nicht wahr, Wladimir Petrowitsch,« verlangte sie
befehlend, »ich verfechte oft diese Ansichten?«
 
Auf diese Aufforderung, der sich der demütige Herr in Gegenwart so vieler
anderer nicht zu entziehen vermochte, räusperte sich der Gouverneur
erst hörbar, dann zog er sein Taschentuch, wischte den Mund und brachte
schließlich in seiner merkwürdig schüchternen, kratzbürstigen
Heiserkeit hervor:
 
»Ganz recht, Tatiana. Seitdem du die Kurse in dem Frauenlyzeum besuchst,«
-- hier wischte er sich wieder den Mund -- »seitdem ist deine Kenntnis
sozialer Zustände sehr beachtenswert.« Von neuem krächzte er und
suchte mit den dürren Fingern krampfhaft unter dem Frack mit den goldenen
Knöpfen nach einem isländischen Bonbon. »Ich komme leider wegen der
vielen Arbeiten in unserem Kohlenrevier nicht dazu, mich mit derartigen
Dingen zu beschäftigen,« schloß er vollkommen heiser, »aber ich hege
Ehrfurcht vor ihnen.«
 
»Gut,« lobte die Gouverneursfrau und richtete sich ein wenig auf
den Zehen empor, »es freut mich, daß du dies äußerst, Wladimir
Petrowitsch.« Und mehr für den ganzen Kreis berechnet, setzte sie noch
hinzu: »Der Mutter Gottes sei Dank, die Harmonie unserer Anschauungen ist
beinahe eine vollkommene.«
 
Die anwesenden jüngeren Zivilbeamten, die der Zucht des Herrn Bobscheff,
dieser wandelnden Giraffe, unterstellt waren, verbeugten sich hier
beifällig, nur Alexander Diamantow, ein schwarzhaariger Bergbaustudent,
der hier in den Kohlengruben sein Studium abschließen sollte, und von dem
man behauptete, daß er ein übergetretener Jude sei, er verzog in einer
Ecke sein melancholisches Antlitz zu einem leisen Lächeln. Er erinnerte
sich daran, wie er bei seiner Antrittsvisite bei den Bobscheffs bereits vor
den Türen des Dienstgebäudes ein wildes Gekreisch vernommen, und daß
ihm auf seine Frage ein herumlungernder Polizeibeamter anvertraute, die
Gouverneurin suche im Moment ihren Gatten zu ihren Ansichten zu bekehren.
Und Diamantow wußte, daß eine solche Bekehrung nicht immer leicht
gewesen sein müsse. Denn Herrn Bobscheffs Schwäche gegen wohlgebaute
Bittstellerinnen war im ganzen Gouvernement bekannt. Daher datierten auch
die Ermittlungen, welche die umfangreiche Tatiana über den Verfall der
Sitten im heutigen Rußland angestellt hatte. Der junge Bergbaustudent
stützte an dem verlorenen Tischchen in der Ecke das Haupt in die Hand,
so daß ihm die wirren schwarzen Haarsträhne in die Stirn fielen, und in
seiner unruhigen Seele klangen die Ansichten und Meinungen wieder, die
sich hier noch eben bekämpft hatten, bevor das samtne Rollen des deutschen
Gefährts hörbar wurde. Denn auch vor ihrer Ankunft hatte das Gespräch
bereits den fremden Gästen gegolten.
 
»Es wird Zeit,« hatte der Hausherr geäußert, indem er sich nur mühsam
einem Geplänkel mit der hübschen Regimentskommandeuse aus Mariampol
entriß, obwohl Sassin nach Diamantows Ansicht nicht ahnte, daß die
Tatarin den Dragonerrittmeister wegen seiner nur oberflächlich lackierten,
fast dörflichen Unbildung innerlich verachtete, »es wird Zeit, meine
Herrschaften, daß ich den Deutschen bis an die Brücke entgegengehe. Die
kopflosen Hunde, die man dort postiert hat, könnten uns sonst leicht
einen Strich durch die Rechnung ziehen. Außerdem -- der Kaufmann, den ich
erwarte, besitzt verteufelt helle Augen. Sie alle werden gut daran tun,
sich gegen ihn recht vorsichtig zu benehmen.«
 
»Ist er jung?« fragte Maria Geschowa.
 
»Hm,« erwiderte der Dragoner etwas gestört, denn er ärgerte sich über
die Funken, die in den Zigeuneraugen der jungen Frau aufblitzen konnten,
»er steht so auf der Grenze, wo man selbst nicht weiß, ob man jung oder
bejahrt ist. Jedoch er hat früher viele Abenteuer gehabt.«
 
»Von den Deutschen,« meinte Frau Bobscheff betrübt, und sah aus ihren
verkniffenen Augen wie in Scham an ihrer Tonnengestalt herab, »von diesen
verwünschten Heiden sind unsere guten altväterlichen Sitten von Grund aus
verdorben. Gönnen sie selbst der ehrbarsten Frau ihren Frieden? Kennen die
schamlosen Tiere überhaupt die Heiligkeit der Ehe? Was denkst du darüber,
Wladimir Petrowitsch?«
 
Die Giraffe schnäuzte sich und wandte den langen Hals hin und her, um
zu beobachten, wie weit die Lächerlichkeit, in die er geriet, von diesen
neugierigen Spionen etwa festgestellt werden könnte. Da sich aber nichts
anderes ereignete, als daß dieser verwünschte heimliche Jude Diamantow
sein verletzendes Räuspern ausstieß, für das der Beamte ihn schon
gelegentlich büßen lassen würde, so fuhr sich der Gouverneur über die
borstigen weißen Haare und erwiderte dem kleinen dicken Ei, das sich so
unangenehm an ihn lehnte, mit ernster Feierlichkeit:
 
»Es ist ja bald so weit, meine Liebe, daß wir den unsauberen Stall dort
drüben reinigen werden. Sei überzeugt, unsere Verwaltungsmethoden, die
der heiligen Kirche einen so breiten Platz einräumen, können auch dort
drüben ihre Wirkung nicht verfehlen.«
 
Der Rittmeister stand bereits in der offenen Tür, wo ihm von einer der
grünen Livreen die blaue Militärmütze sowie ein paar weißer Handschuhe
gereicht wurde. Während des Aufstreifens der Glacés aber warf er noch
einmal warnend zurück:
 
»Nicht wahr, meine Herrschaften, Sie denken daran, nach meiner Rückkehr
nicht die geringsten Andeutungen mehr. Es liegt alles daran, die Nemzows
total zu überraschen. Bitte, Maria Geschowa, wollen Sie diesen meinen Wink
auch untertänigst Seiner Durchlaucht dem Fürsten Fergussow hinterbringen.
Er probiert dort drinnen in dem kleinen Mahagonizimmer zusammen mit Ihrem
Gatten, dem Herrn Oberst, mein neues Billard. Also wie gesagt: Vorsicht!
Und nun, =au revoir, mes chers=!«
 
Damit verneigte sich die kräftige Gestalt, und man hört seine Sporen
gleich darauf über die Steinstufen klirren. Allein der Hausherr hatte
das Kommende, Unbestimmte, das in der Luft schwebte und die Stirnen
der Menschen wie mit Geisterhänden schmerzhaft zusammenpreßte,
dieser verwünschte stiernackige Sassin hatte es in seiner bäuerlichen
Ahnungslosigkeit so sicher und ohne die geringsten Skrupel als etwas
Feststehendes hingemalt, daß der klobige Stein nun mitten in der Stube
lag, und jeder sich an ihm die Füße wundstoßen mußte.
 
Da waren besonders zwei Herren in schwarzen Gehröcken mit sehr
deplacierten weißen Krawatten, die bei den letzten Worten des Rittmeisters
kreidebleich wurden, um darauf völlig nervös, jeder für sich, durch die
Gesellschaft zu irren. Es waren die Gebrüder Miljutin, Millionäre, denen
die große Porzellanmanufaktur gehörte, wo sie zahlreiche Deutsche in
ihrem Betriebe beschäftigten. Namentlich die Blumenzeichner mußten sie
gezwungenermaßen aus dem Nachbarstaat engagieren, weil die Ideen der
einheimischen Künstler als zu verworren und phantastisch auf dem Weltmarkt
keine Geltung besaßen. Die beiden Gehröcke sprachen bald diesen, bald
jenen an. Immer deutlicher perlte ihren Besitzern der Angstschweiß auf der
Stirn.
 
»Ist es denn nun absolut sicher und beschlossen?« fragte der ältere von
ihnen, ein beleibter Herr mit einer goldenen Brille, der etwas hinkte, und
dabei vergaß er sich in seinem Entsetzen so weit, daß er an einem der
metallenen Frackknöpfe des Gouverneurs leichtsinnig zu drehen begann,
ein Versehen, das er freilich durch eine überschwenglich tiefe Verbeugung
sofort wieder sühnte, »ist es denn nun absolut sicher, Exzellenz, daß
unser Reich dieses ungeheure Wagnis unternimmt?«
 
Hier wurde von den Offizieren laut gelacht, und selbst die Damen zuckten
mitleidig die Achseln. Ja, gerade die Frauen schienen das rot umnebelte
Abenteuer kaum noch erwarten zu können. Es lag soviel Spannungsvolles
darin. Und dann -- man wurde doch herausgerissen aus der Stille, die
langweilig und drohend zugleich über dem riesigen endlosen Lande
herniederdrückte, von dem ein Ende das andere nicht kannte. Auch die
bohrenden Grübeleien über dies und jenes hörten mit einem Schlage auf,
und vor allen Dingen -- man würde endlich, endlich den hochmütigen,
vielbeneideten Nachbarn beweisen können, wo der junge, der zukunftsfrohe
Gebieter der Welt säße.
 
»Stellen Sie sich vor,« gab Herr Miljutin der Ältere dem Gouverneur
Bobscheff ängstlich zu bedenken, indem er beinahe flehend in das
Raubvogelangesicht des anderen hinaufstarrte, »meine Fabrik -- ich werde
sie schließen müssen. Die einheimischen Arbeiter werden eingezogen, und
auf die Frauen und Mädchen ist kein Verlaß.«
 
»Oh,« krächzte Herr Bobscheff, und es klang, als ob man eine Handvoll
Glasscherben gegen eine Fensterscheibe drücke, »es befinden sich unter
Ihren jungen Mädchen ein Paar recht kräftige und wohlgebaute.«
 
Frau Bobscheff zuckte zusammen, soweit dies ihre unglückliche Figur
zuließ.
 
»Wladimir Petrowitsch,« erinnerte sie in erhobenem Ton, »Herr Miljutin
wünscht von dir zu erfahren, ob du die kriegerische Auseinandersetzung mit
den Nemzows für unvermeidlich hältst oder nicht?«
 
»Ja, ich halte sie für unvermeidlich, meine Teure,« rang sich die
Giraffe aus dem nervös vornüberschwankenden Halse ab, denn er machte
sich mit Recht Vorwürfe, weil er die Gegenwart seiner gewichtigen
Lebensgefährtin, wenn auch nur für einen Moment, übersehen hatte, »ich
halte sie für völlig unvermeidlich, Herr Miljutin. Ich bin hier der erste
Beamte, und in meinen Bureaus fließen die Stimmungen des Gouvernements
gewissermaßen zusammen. Täglich lese ich zehn bis zwölf Zeitungen. Und
wenn diese die Abrechnung auch nicht laut fordern dürfen, so muß man doch
verstehen, zwischen den Zeilen zu lesen. Ist Ihnen das nicht aufgefallen?«
examinierte er väterlich wohlwollend weiter.
 
Der Porzellanfabrikant rang heimlich die Hände.
 
»Ich meinte -- ich hoffte -- ich glaubte --«
 
»Tun Sie das nicht, Herr Miljutin,« schluckte der Gouverneur krampfhaft.
»Die öffentliche Meinung ist für den Krieg, und in der Umgebung des
Zaren, den der lebenspendende Christus erhalte --,« hier verbeugten sich
alle anwesenden Offiziere und Beamten -- »gedenkt man nicht länger jede
unverschämte Herausforderung hinzunehmen. Seien Sie nicht kleinmütig,
Herr Miljutin,« fuhr die Giraffe ernst und strafend fort, als sie merkte,
welchen Eindruck ihre Rede erzielte und wie selbst die korpulente Tatiana
in der Schar der Hinzudrängenden sich auf den Zehen erhob, damit sie
besser lauschen könne. »Wir müssen der Welt endlich beweisen, daß
der slawische Riese nicht dauernd auf seinem weichen Stroh liegt und schläft.

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