2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 16

Die Herrin und ihr Knecht 16


Nicht wahr, Herr Konsul, liebster, bester Herr Konsul, es ist doch nicht
wahr? Es ist doch nicht möglich, daß so etwas geschehen kann? Sagen Sie
es doch!«
 
»Herrgott, liebes Kind -- --«
 
Der aus allen Himmeln gerissene Mann empfand ein wirkliches Mitleid mit dem
verschüchterten schmächtigen Geschöpf, das im Moment sein Haupt so fest
und drängend gegen seine Brust bettete, daß er beinahe das Zucken und
Pochen der Stirnadern zu spüren wähnte. Und aus voller Überzeugung
begann er laut zu lachen. Nichts hätte so tröstlich auf die aus ihrer
eingebildeten Überlegenheit Gescheuchte wirken können, wie dieses
unbekümmerte, kräftige Männerlachen. Wie durch Zauberschlag verstummte
das unheimliche Dröhnen hinter dem Wagen, und das wirre Gekreisch, das
eben noch jeden vernünftigen Gedanken niedergeheult, es löste sich auf in
das sanfte Rollen der Räder.
 
»Herrgott, bestes Kleinchen,« tröstete sie der Konsul inzwischen in
ehrlicher Besorgnis weiter, und er achtete selbst nicht darauf, wie er bei
seinen Bemühungen den Arm um die Schulter der Zitternden legte und ihr wie
einem kleinen Kinde begütigend die Wangen zu klopfen begann, »hätte ich
doch niemals geglaubt, daß Sie ein solcher Angsthase sind. Ich versichere
Sie, es ist ja alles die reinste Torheit. Lieber Himmel, wie soll ich Ihnen
das nur klar machen? Sehen Sie, Isa, wenn Sie ein Kaufmann wären, wie
ich, dann würden Sie ja selbst wissen, daß unsere Nachbarn direkt
ins Irrenhaus gesperrt werden müßten, wenn sie ihren Handel und ihre
Industrie, die eben erst anfangen sich der allgemeinen Weltwirtschaft zu
nähern, durch eine solch wahnsinnig heraufbeschworene Unternehmung im Keim
zu zertrümmern gedächten. Nein, nein, liebes Kind,« setzte er ärgerlich
über seinen eigenen Ernst hinzu, »das Ganze ist das Geschwätz von ein
paar gewissenlosen Spekulanten. Also nun Kopf hoch, wie kann sich eine
wohlerzogene, weltgewandte junge Dame derartig einschüchtern lassen!
Übrigens,« lenkte er völlig ab, da sie bereits durch das Tor von
Maritzken fuhren, »da kommt Hans. Nun nehmen Sie mal rasch die Ähre
aus dem Feuerbrand da oben, ich habe sie Ihnen nämlich aus Versehen
hineinpraktiziert, denn mir scheint, daß Ihre vortreffliche Schwester
über derartigen Naturschmuck weniger wohlwollend denkt, als ich. Aber wie
gesagt, eine ganz merkwürdige Haarfarbe, Isachen! Ganz merkwürdig.«
 
* * * * *
 
Zwei Stunden später lenkte der Landauer des Konsul Bark, nachdem er
wiederum die Stadt passiert, durch die letzte heimatliche Ansiedlung. Auf
einer Bodenwelle gelegen, lugten die wenigen niedrigen Häuschen zwischen
allerlei krausem Gestrüpp hindurch, und es war beinahe, als hätte man
diesen letzten Posten so hoch und einsam aufgebaut, damit er von hier aus
Wache halten solle gegen die sich unter ihm dehnende unbegrenzte Fläche.
Drüben, jenseits des schmalen Flusses, der unten an den Ausläufern
des Buschwerks einen Silberbogen zog, war das ganze Land von rauhen,
dunkelgrünen Kohlhäuptern besät. Weiter dahinter wurde der
unbeschreiblich struppige Raum von mächtigen Breiten gelber Weizenfelder
umrahmt, zwischen denen weder Fußwege noch Chausseen eine Unterbrechung
herbeiführten. Nur einzelne Gräben liefen gradlinig durch das Land, und
unter der hellen Sonne blitzte ihre Oberfläche, als wenn klares, weißes
Wasser, den durstigen Äckern zum Trank, durch sie hindurchglitte. Allein
dem war nicht so. Die Näherkommenden schraken förmlich zurück vor den
schwarzen übelriechenden Rußmassen, die mit ihrem undurchdringlichen
Schlamm die wohltätigen Rinnen verstopften. Es waren die Kohlengewässer
der nahen Fabriken, und ein ungeheurer Qualm, von der Hitze
herniedergedrückt, verbarg den Besuchern das winzige Grenzstädtchen,
dem sie zustrebten, wie hinter einer brodelnden Wand. Durch die drohende
schwarze Wolke aber, die am Himmel den Umkreis des Städtchens bezeichnete,
leckten rechts und links, fern und nah lodernde Feuerzungen in den
qualmigen, sich schiebenden Rauch hinauf, und ein ätzender Brandgeruch
erfüllte ringsum die Luft. Ein rastloses Kreischen und Surren, ein Rasseln
und Sausen quoll aus dem unsichtbaren Ort schon aus der Ferne hervor, und
nachdem der Wagen der Deutschen die breite Holzbrücke des Flusses erreicht
hatte, die nur noch bis zur Mitte zur Heimat gehörte, da vernahmen die
Reisenden wie unter lärmendem Poltern knirschende Haufen kleingehackter
Kohle in die an den Ufern liegenden Kähne hinabgeschüttet wurden.
 
»Man halte,« schrie etwas mitten von der Brücke.
 
Genau auf dem Grenzstrich standen zwei Soldaten in langen grüngelben
Leinenblusen, und dunkelgrüne, breitgerandete Mützen saßen ihnen schräg
und eingebeult auf den haarigen Köpfen. Und während der eine von ihnen
mit seinem Gewehr, auf das ein breites Bajonett gepflanzt war, die weitere
Einfahrt versperrte, indem er die Waffe quer vor seinen Leib hielt, trat
der andere, ein bärtiges Gesicht, dicht an den Schlag heran und schlug zur
Einleitung auf die umgeschnallte Revolvertasche. Dem Konsul, der sich
in seinem Staubmantel herausbeugte, kam es vor, als ob die Grenzwache
mißtrauischer als sonst ihre Revision vorzunehmen gedächte.
 
»Hat man Waren im Wagen?« fragte der Wachtmeister in einem schlechten
Deutsch, obwohl der Konsul sich entsann, daß gerade dieser Beamte ihn
schon mehrfach bei seinen Besuchen kontrolliert habe. »Fleisch, Zigarren
oder vielleicht Bücher und Zeitungen?«
 
»Was sind das für Umstände?« rief der Chef des Goldenen Bechers
dagegen, der mit Mißbehagen bemerkte, wie in den Zügen seiner
Begleiterinnen ein ängstliches Befremden aufstieg. »Sie kennen mich doch,
ich bin der Konsul Bark, und ich und diese Damen sind von Herrn Rittmeister
Sassin eingeladen.« Und indem er sich mit einer Wendung des Hauptes
blitzschnell vergewisserte, ob er nicht von den anderen beobachtet würde,
da langte er rasch in die Tasche des weißen Mantels, um darauf dem
Grenzsoldaten die Hand zu drücken, als ob es sich um eine besonders innige
Begrüßung handle.
 
Der Grenzwächter sah ihm starr ins Gesicht, zuckte die Achsel und wand
sich dennoch hin und her, als ob er sich Rat zu holen suche, wie in diesem
Falle weiter zu verfahren wäre.
 
»Es ist gut,« lenkte er endlich mit jener den Russen eigentümlichen
Demut vor den Mächtigen ein, »ich sehe, es liegt nichts im Wagen. Aber
die Herrschaften werden die Gnade haben, mir zu zeigen ihren Paß.«
 
Jetzt wurde ein leiser Ruf der Überraschung bei den jungen Damen laut,
und man konnte an den Blicken, die sie sich gegenseitig zuwarfen, sofort
erkennen, daß sich etwas Derartiges wie die geforderten Papiere keineswegs
in ihrem Besitz befände.
 
»Ruhig,« beschwichtigte der Konsul abermals sehr bestimmt, und sich
von neuem an den Grenzsoldaten wendend, überreichte er ihm sein eigenes
Ausweisdokument. »Hier, mein Junge,« meinte er begütigend, »hier hast
du, was du verlangst. Und weil du so ein braver Beamter bist, so werde
ich dich dem Herrn Rittmeister Sassin -- meinem Freunde,« setzte er sehr
nachdrücklich hinzu -- »besonders empfehlen. Aber nun halte uns hier
gefälligst nicht länger auf, denn es ist kein angenehmer Aufenthalt in
diesem Kohlenstaub für meine Damen. Verstehst du?«
 
Lässig, als wäre alles in Ordnung, gab der Kaufmann seinem Kutscher
das Zeichen zum Weiterfahren. Allein ehe die Pferde sich noch in Bewegung
setzen konnten, faßte der Mann mit dem Revolver zögernd in die Zügel und
schritt noch einmal unter starkem Kopfschütteln an den Wagenschlag.
 
»Es sind Vorschriften,« brachte er immer noch mit einer halben Verbeugung
heraus, »die Frauen müssen zurück.«
 
»Wie? Ist das Ihr Ernst?« rief der Geschäftsmann, indem er in
aufsteigendem Zorn mit der flachen Hand auf die Fenstereinfassung schlug.
 
In dem Wagen fuhren ein paar erregte Frauenstimmen im Wechsel
durcheinander, und zitternde Finger schmiegten sich verstohlen um den Arm
des Konsuls. Sie gehörten Isa, deren schreckhaft erweiterte Augen in immer
stärker sich regender Bangigkeit alles in sich tranken, was sich ihnen
auf der halb zersplitterten Holzbrücke darbot, von den dicken viereckig
zugeschnittenen Haaren der Soldaten angefangen, bis zu dem breiten in einem
fahlen Glanz funkelnden Bajonett des zweiten Grenzwächters, der ihnen noch
immer breitbeinig und ohne eine Miene zu verziehen, den Einlaß sperrte. In
die Stirn des Mannes im weißen Staubmantel war inzwischen eine Blutwelle
gestiegen. Unbewußt zupfte er an dem kurzgeschnittenen braunen Schnurrbart
herum, bis er plötzlich aus dem Wagen sprang, so daß er jetzt ganz dicht,
fast Brust an Brust gegen den Russen aufragte. Der legte abermals unter
einer Verbeugung die Hand an die breite Mütze, zuckte die Achsel und
starrte dann den drei schönen Mädchen halb betrübt und halb bedauernd
ins Gesicht. Ihren Begleiter jedoch durchschnitt zum erstenmal ein
merkwürdig beklommenes Gefühl. Das weite struppige Land vor ihm dehnte
sich so sonderbar schweigend und geheimnisvoll, als wäre es eine riesige
Bühne, die nur deshalb in solch menschenvereinsamter Leere lauerte, weil
über sie hinweg bald ungeheure Züge des Weltgeschehens dahinschreiten
sollten. Dazu die unsichtbare Stadt, das schneidende Sausen und Rollen
-- nein, es ließ sich nicht leugnen, eine kurze Sekunde war der Kaufmann
völlig befangen von einer heranschleichenden Ahnung, die sich ihm
bleischwer an alle Sinne hing. Spähend blickte er auf die schwarzen
Gestalten der Kohlenablader hinunter, und auch in ihren schweißigen
und stumpfen Gesichtern glaubte der aus seiner Sicherheit Aufgescheuchte
dasselbe unauffindbare Rätsel zu lesen.
 
Verwünscht!
 
Wenn ihn die Damen jetzt aufgefordert hätten, den Wagen wenden zu lassen,
um sich in den Schutz der Heimat zu begeben, die ihre letzten grünen
Büsche so vertraulich nah bis an das Flußufer heranschob, in der Tat, er
hätte nicht gezögert. Er wandte sich, und unwillkürlich trafen seine
und Isas Blicke zusammen. In den feinen blassen Zügen des Mädchens schien
wirklich jene unausgesprochene Bitte zu wohnen, ja die sich wie im Frost
bewegenden Lippen wagten vielleicht nur den brennenden Wunsch nicht zu
äußern.
 
Da klirrte etwas auf der Brücke. Ein scharfes Sporengeläut begann zu
singen und zu gleicher Zeit schlugen die Grenzwächter auffahrend an
ihre Säbel und führten die rechte Hand salutierend und breit gegen
ihre Mützen. Der Wachtmeister wurde von einer hohen Männergestalt
im dunkelblauen Waffenrock unsanft beiseite geschoben, und vor dem
überraschten Handelsherrn stand säbelrasselnd der Rittmeister Sassin,
lächelnd über das ganze rote Gesicht und unstreitig gewillt, seinen
deutschen Gast in die Arme zu schließen. Schmetternd, aus voller Brust,
klang sein Bewillkommnungsgruß:
 
»Rudolf Bark, mein einziger Freund,« schrie der Russe, und dabei klopfte
er dem Ankömmling mit seinen feinen weißen Glacéhandschuhen in einer
halben Umschlingung schallend auf den Rücken, »die zehntausend Heiligen
von Kasan haben mein Gebet erhört. Sie sind da -- ohne Zweifel, sind da
-- =à quatre heure=, Punkt vier. Man muß sagen, diese Deutschen wohnen in
einer Uhr.«
 
Damit trat der Russe strahlend an das Gefährt heran, fing blitzschnell
auf, wie die begehrte Brünette in ihrer prachtvollen Haltung auf dem
Vordersitz lehnte und verbeugte sich darauf so tief, daß seine breite
blaue Mütze beinahe den Fensterschlag streifte.
 
»Ah, meine Damen, Leo Konstantinowitsch Sassin seien Ihr entzückter
Diener. Sie sehen mich =au comble du bonheur=! Ich habe auf meine kleine
=maison= nicht vergebens aufgezogen die grün-weiße Fahne, denn die ganze
Stadt und das gesamte Offizierskorps seien durch einen solchen Besuch
geehrt. Ich werde nie vergessen an so viel Freundlichkeit.«
 
Bei den letzten Worten hatte sich der Offizier den mächtigen rotblonden
Schnurrbart zurechtgestrichen, jetzt versuchte er, die auf dem Wagenschlag
ruhende Hand der Ältesten von Maritzken an seine Lippen zu führen.
Allerdings erfolglos. Denn ohne im geringsten verletzend zu wirken, entzog
ihm Johanna die begehrte Rechte und drohte ihrem Gastgeber leicht mit dem Zeigefinger.

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