2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 29

Die Herrin und ihr Knecht 29


Laß den Konsul zufrieden,« schnitt Johanna rasch ab. »Er wird jetzt
für sich selbst zu sorgen haben. Und du, mein Kind, fahre in Gottes
Namen. Baumgartner wartet draußen schon mit dem Wagen auf dich. Und um
uns brauchst du dich nicht zu beunruhigen, hörst du? Der Landrat hat mir
versprochen, daß wir sofort durch Depesche benachrichtigt werden, wenn
irgendeine Gefahr im Anzuge sei. Grüße Tante Adelheid und auch Fedor
von mir und sage ihnen, sobald es zum Äußersten kommt, werde ich
selbstverständlich auch an mich denken. Nun geh, mein Kind, mache dir den
Abschied nicht schwer, denn ich denke, wir sehen uns in den nächsten Tagen
wieder. Und Baumgartner soll das Verdeck hochschlagen, verstanden? Denn es
sieht aus, als ob es regnen wollte.«
 
Ein paar Minuten später rollte der Wagen mit seiner einsamen Insassin
bereits über die Chaussee. Kühl lag die Nacht auf Feld und Steg.
Schwarzgezackte Wolken segelten an dem sternenlosen Himmel dahin und
schoben sich zu ungeheuren drohenden Gebilden zusammen. Nur ab und zu jagte
ein bleicher Mond aus den gähnenden Klüften dort oben heraus und goß
einen schnell verschwindenden Lichtsturz auf die reifen Felder herab. Ein
paar vereinzelte Regentropfen klatschten hohl auf den Weg.
 
Ungeduldig rückte Isa unter dem engen Lederverdeck hin und her. Es war
so dunkel und stickig unter der schwarzen Kappe. Jede Aussicht wurde
versperrt. Und ein unbestimmtes banges Gefühl befahl ihr, noch einmal nach
der entschwindenden Heimat zurückzuschauen. Pochenden Herzens erhob sie
sich, um ihrem Kutscher einen leichten Schlag auf den Rücken zu versetzen.
Überrascht wandte sich der still vor sich hinstarrende Mann zurück.
 
»Was wollen Sie, Fräulein?«
 
»Baumgartner,« schmeichelte Isa, während ihre Hand immer noch unbewußt
über die Schulter des Statthalters glitt, »es ist so beklommen hier
drinnen; schlagen Sie das Verdeck zurück.«
 
Der Mann schüttelte bedenklich das Haupt und zog die Zügel etwas an.
 
»Aber Fräuleinchen,« wehrte er sich, »es feuchtet hier draußen. Hören
Sie nicht die Regentropfen?«
 
»Das schadet nichts, lieber Baumgartner, ich bitte Sie, tun Sie mir den
Gefallen. Ich kann hier unter dem Leder nicht ordentlich atmen.«
 
Jetzt murmelte der treue Verwalter etwas vor sich hin, sprang aber sofort
herab, und gleich darauf faltete sich der dunkle Plan über dem Haupt der
sich Zusammenduckenden, der schwarze Nachthimmel dehnte sich über ihr, und
ein feuchter Windzug pfiff an ihren Wangen vorüber.
 
»So, nun aber weiter,« sprach Baumgartner, der inzwischen den Bock
wieder eingenommen hatte, zu der noch immer hinter ihm Stehenden, und dann
murmelte er abermals etwas, was Isa trotz aller Anstrengung nicht verstand,
spähte nach rechts und links über die dunklen Feldwege und ließ
endlich seine Peitsche sausend über die trabenden Pferde dahinklatschen.
»Vorwärts, vorwärts,« trieb er.
 
Hinter ihnen verglommen die letzten zuckenden Lichtschimmer, die die Gegend
von Maritzken andeuteten, und immer näher wanderte ihnen die dunkle Linie
eines Tannenschlages. Von fern hörte man bereits das Ächzen und Knarren
der Wipfel.
 
»Vorwärts, vorwärts,« drängte Baumgartner abermals und wollte seine
Peitsche weit ausholend durch die Luft streifen lassen. Aber mitten im
Schwung erschrak er und hielt ein.
 
»Wir sind doch bald da?« forschte Isa über seine Schulter herüber.
 
»Ja -- jawohl -- wir sind bald da. Eine halbe Stunde.«
 
Allmählich ließ sich das Mädchen wieder in die Wagenecke zurücksinken,
krampfte die Hände zusammen und saß hochaufgerichtet da. So ausgesetzt,
so allein, so der tröstenden Hilfe bedürftig, wie jetzt inmitten der
farblosen, gestaltenschwangeren Nacht, meinte sie sich noch nie befunden
zu haben. Unwillkürlich hob sie den behandschuhten Finger an ihre bebenden
Lippen, wie sie es als Kind in Not und Bedrängnis getan, und starrte
voraussuchend in die dicke Finsternis, die nur ab und zu durch
vorüberhuschende weiße Chausseesteine unterbrochen wurde.
 
O, jetzt ein Schutz, jetzt ein lachendes gutes Wort!
 
»Baumgartner, sind wir bald da?«
 
»Ja, Fräuleinchen, knapp eine Viertelstunde -- aber -- --«
 
Jedoch seine Insassin vernahm die Einschränkung des Mannes auf dem Bock
nicht mehr, denn während ihre Augen furchtsam das dunkle Untergestrüpp
des Waldes durchirrten, dessen schlanke Stämme bis dicht an die Chaussee
herantraten, da lungerte ihre aufgescheuchte Einbildungskraft sehnsüchtig
nach den Rettern aus, von denen sie meinte, daß sie ihr allein Erlösung
und Trost verbürgen könnten. Die muskulöse Riesengestalt des Recken
von Stötteritz tauchte vor ihr auf, dann entsann sie sich der ernsten
Entschlossenheit von Fritz Harder. Aber körperlicher als diese beiden
fühlte sie den um vieles älteren Konsul neben sich lehnen, und ihre
Glieder erwärmten sich beinahe, als sie sich vorstellte, wie spöttisch
und väterlich die Stimme des gereiften Mannes jetzt klingen würde: »Na,
kleines Rotfeuer, man wird ja gleich das Kinderbettchen aufschlagen. Nur
Geduld, es dauert nicht mehr lange.«
 
Erschreckt fuhr sie empor, denn in demselben Augenblick hatte wirklich
etwas zu ihr gesprochen. Der Wagen hielt. Mitten in der engen Waldstraße,
nicht hundert Schritt von dem Austritt in das freie Feld entfernt, das im
fahlen Mondenlicht weiß herüberglänzte.
 
»Baumgartner, sagten Sie etwas?«
 
»Ja, Fräulein.«
 
Sie sprang empor, stützte sich auf das eiserne Bockgeländer und brachte
ihr Haupt so nahe an den Verwalter heran, bis sie seinen feuchten Ärmel an
ihrer Wange spürte.
 
»Warum halten wir hier?« ging es ihr schwer über die Zunge. Und zugleich
merkte sie, wie sie unfähig wäre, auch nur ein Glied zu bewegen, weil ihr
ganzer Körper von einer starren Lähmung geschlagen war. »Baumgartner, um
Gottes willen, was beobachten Sie dort vorn auf dem Feld?«
 
Allein der Mann erteilte keine Antwort. Mit einem einzigen Sprung setzte
er plötzlich vom Wagen, und die Zurückgelassene erkannte wie hinter einem
Flor, daß ihr Schützer in weiten Sprüngen am Waldrand entlang huschte,
immer ängstlich bemüht, das hereinfallende Mondlicht zu meiden.
 
Sie wollte schreien, aber die Stimme versagte ihr.
 
Seltsam, seltsam! Was waren das für dunkle, bewegliche Schatten dort
hinten am Ende des Waldausschlages? In dichten Massen schienen sie
dahinzugleiten, fremde, unentzifferbare Laute schlugen deutlich durch
das Gehölz. Und jetzt -- nein, sie täuschte sich nicht -- da und dort
blitzten kleine runde Lichter auf. Sie waren dem wandernden Zuge
eingefügt und sandten vorüberschwebende, spähende Lichtkegel durch die
aufgleißenden grünen Nadelzweige.
 
Horch und jetzt!?
 
Ein Kälteschauer schnitt ihr über die Brust, der Atem stockte der
Entsetzten, denn ohne daß sie das geringste merkte, war plötzlich eine
Gestalt neben dem Wagen aufgewachsen, schwang sich auf den Bock und riß
die Zügel an sich.
 
»Baumgartner, um Gottes Barmherzigkeit willen, sind Sie's?«
 
Allein der Mann, der die Führung des Wagens übernommen hatte, blieb
stumm. Mit Aufbietung aller Kräfte warf er die Pferde zurück, schlug
ihnen mit dem Peitschenstiel über die Köpfe und ließ das Gefährt über
den Graben hinweg in den Seitenschlag hineinrasen. Von dem Stoß getroffen
wurde das Mädchen in die Polster zurückgeschleudert. In wahnsinniger
Flucht schossen die Baumriesen an ihr vorüber, überhängende Zweige
schlugen ihr ins Gesicht, der Wagen sprang und polterte, daß sie von einer
Ecke in die andere geschleudert wurde, und dazwischen zischte etwas um sie
herum, etwas gänzlich Fremdes, nie Gekanntes, wie vorübersausende Bienen,
die einen bösen pfeifenden Ton ausstießen. Und bei alledem behielt
die Überwältigte noch genügend Besinnung, um ein schwaches Erstaunen
darüber zu empfinden, warum der Pfad vor ihnen so schwarz und unbeleuchtet
blieb. Der Mann auf dem Bock mußte die Laternen gelöscht haben. Und
weiter flog der Wagen über Baumwurzeln und Maulwurfsgruben. Jetzt eine
knirschende Schwenkung, und mitten hinein ging es in ein rauschendes Feld.
Surrend, gleich zischenden Dampfwolken wogten die starken Halme rechts und
links an dem Gefährt vorüber.
 
Und dann --
 
Eben meldete sich ein sanfteres Rollen, da schrien mehrere wilde Stimmen
neben ihnen auf. Ein sausender Schlag wie mit einem eisernen Schaft traf
das lederne Verdeck, die Wagenpferde stiegen und wieherten, ein erneutes
tolles Herumschwenken und abermals rauschte und strich das Meer der
wogenden Ähren um die versinkenden Räder herum.
 
Allein das Mädchen fürchtete nichts mehr, denn das klare Bewußtsein war
ihr untergegangen.
 
Als Isa wieder zu sich kam, da wölbte sich über ihr der mit
Wappenschilden bunt bemalte Torbogen der Stadt. Trüber Mondschein sickerte
noch aus den Wolken. Auf dem Bock saß Baumgartner, und obwohl dem Treuen
über das übernächtigte Antlitz der Schweiß rann, fragte er doch
freundlich, erlöst:
 
»Wohin, Fräuleinchen?«
 
Isa besann sich nicht:
 
»Zu Konsul Bark,« sagte sie rasch.
 
* * * * *
 
Über den Hof von Maritzken schritt durch die Schwärze der Nacht die hohe
Gestalt eines Weibes. In ein Umschlagetuch gehüllt lehnte Johanna eine
Weile an der Einfahrt und lauschte auf die Chaussee heraus, ob sich noch
immer nicht das Rollen des zurückkehrenden Wagens anmelde.
 
Kein Laut.
 
Nur das hohle Aufschlagen der vereinzelt dahinstiebenden schweren
Regentropfen fing ihr gespanntes Ohr auf, und dazwischen strich ein
feuchter Wind zischend und raschelnd um die Pfeiler der Einfahrt. Eine
leise Unruhe stieg in der Besonnenen auf. Sollte der Wagen vielleicht
irgendwo eine Beschädigung erlitten haben? Jedenfalls wollte sie wach
bleiben, um das Eintreffen Baumgartners zu erwarten. Fröstelnd hüllte sie
sich tiefer in das warme Tuch und schritt langsam über den Hof zurück.
Überall waltete schwere lastende Ruhe. Aus den Kuhställen drang ein
vereinzeltes Brummen hervor, und aus den vergitterten, halb angelehnten
Fenstern schlug eine bleiche Wolke tierischer Wärme heraus. Dicht vor dem
Hause lösten sich zwei schlanke Schatten ab. Es waren die beiden munteren
Schäferhunde, die jetzt wedelnd an ihrer Herrin in die Höhe sprangen.
Eigentümlich grell leuchteten die Augen der Tiere durch die Finsternis.
 
Und weiter schritt Johanna durch das Haus. Hier und da legte die Sorgliche
die Hand auf eine der Türklinken, um zu prüfen, ob auch überall
verschlossen wäre. Dann stieg sie in den ersten Stock hinauf und blieb
vor Mariannes kleinem Gemach stehen. Selbst bei dem trüben Licht des
Petroleumlämpchens, das den schmalen Gang auch in der Nacht erhellte,
konnte man erkennen, wie sich die Stirn der Einsamen verzog, als sie jetzt
die tiefen Atemzüge der dort drinnen gewiß sorglos Schlummernden auffing.
Bedrückt schüttelte sie das Haupt, und ein kurzer Seufzer entrang sich
ihr, bevor sie sich losriß, um ihr eigenes Schlafzimmer aufzusuchen.
Überaus eng und einfach bot sich der weiß gedielte Raum dar. Ein festes
eichenes Bett, darüber an der bläulich getünchten Wand ein Holzkreuz
des Erlösers, ein altertümlich geschnitzter Schrank, eine breite
Eichenkommode, die zugleich als Waschtisch diente, -- sonst nichts. Kein
Schmuck, kein Zierat; nur an der Seitenwand hing der gebräunte Buntstich
des Preußenprinzen Louis Ferdinand, und die dunklen, schwermütigen Augen
des Bildes verfolgten das große blonde Weib, als es sich jetzt hart
auf den Rand seines Bettes niederließ, und verhinderten sie daran, zum
erstenmal an dem Arbeitstage ruhig ihre fleißigen Hände in dem Schoß zu
verschränken. Das einzige Fenster des Zimmerchens stand noch offen, und
die Einsame wandte ihr Haupt und lauschte von neuem. Draußen schüttelten
die schmal geschnittenen Eichen ihre hochragenden Kronen, und die Blätter
wisperten und raunten in scharfer, spitzer Geschwätzigkeit. Müde erhob
sie sich, um das Fenster zu schließen. Dann begann sie, sich gedankenlos
zu entkleiden. Sie löste das reiche blonde Haar, das jetzt, nachdem es
entfesselt war, in lichten Wellen an ihr herniederfiel. Aber die Besitzerin
dieses Schmuckes wandte keinen Blick auf die weiche Pracht, sondern warf hastig ihre Bluse ab. Und wieder zuckte sie betroffen zusammen, als sie merkte, wie fröstelnd es ihr am Abend des heißen Augusttages über die entblößten Arme schnitt.

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