2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 13



Jetzt denkt sie sich etwas aus,« hieß es dann.
 
Allein heute gelangte sie nicht zu der doch so nötigen Sichtung der
Wirrnis, die draußen im Lande und auch hier in ihrem friedvollen Gehöft
dicht vor ihren Füßen aufgeschossen war. Gerade die Unruhe, die sie
zu bezwingen strebte, sie schien bereits auf allen Straßen zu jagen und
sprengte auch bis zu ihr durch das gewölbte Hoftor herein. Noch ehe
sie sich über die neue Störung ganz klar werden konnte, fing sie ein
ungewohntes kurzes Trappeln auf, Hufschläge wurden laut und zu ihrem
äußersten Befremden sah die Aufgeschreckte, wie ein Offizier in seiner
Paradeuniform, mit blitzendem Helm und gefolgt von einem ebenfalls
berittenen Burschen, seinen Braunen dicht vor ihr parierte. Eine schlanke
Gestalt beugte sich zur Seite und führte grüßend die Rechte an den Helm.
Gleich darauf sprang der Reiter zur Erde, um sich noch einmal respektvoll
vor der blonden Gutsbesitzerin zu verneigen. Die Sporen klirrten dabei
leise zusammen, und in den dunklen Augen des jungen Offiziers wohnte ein so
deutlich lesbarer Wunsch, ein so unverhülltes, ehrliches Anliegen, wie
es nur Menschen eigen ist, die durch ein paar kurze Worte über ihr ganzes
Schicksal die Entscheidung gefällt zu sehen wünschen.
 
Seltsam, auch dem trotzigen, selbstbewußten Landmädchen schlug einen
Moment das Herz höher und voller. Aber es war ein erlösendes Gefühl der
Befriedigung, das sie durchdrang, denn in ihrer Seele blitzte es auf, wie
mit diesem jungen Reitersmanne die Ehre und die Redlichkeit wieder in ihrem
Hause Einzug hielten, die sie in trüben Stunden bereits entwichen wähnte.
Gottlob, ihr war es sofort klar, hier hatte Konsul Bark, der zuverlässige
Freund, sein Versprechen eingelöst, und zum erstenmal seit langer Zeit
würden in dem weißen Gutshofe, der sich im Grunde doch nur so schwer
verwalten und regieren ließ, Glückseligkeit und Jugendwonne aufblühen.
Zuversichtlich, das mußte geschehen. Das verlangte das große kräftige
Geschöpf, das selbst keine Wünsche mehr hegte, als unbedingtes Entgelt
seiner Mühen. Allein, als sie jetzt, ihrer glücklichen Regung folgend,
dem jungen Offizier, der ihr so ernst und erwartungsvoll gegenüberstand,
mit einer herzlichen Bewegung die Rechte darbot, da -- welch merkwürdige
Verkettung -- da verfing sich ihr Blick an dem Goldgefunkel des Adlers
vor seinem Helm. Und ohne jede weitere Überlegung stürzten all die
ängstlichen Sorgen, alle unmöglichen, nie gekannten Befürchtungen, vor
denen ihre klare Vernunft noch eben ins Knie gebrochen, in die eine fast
willenlos hervorgestoßene Frage zusammen:
 
»Herr Leutnant, ist es wahr? Gibt es Krieg?«
 
Auf diese ganz unerwartete Anrede straffte sich die schlanke Gestalt des
Militärs zusammen, und über sein dunkles, immer von den Schatten des
Nachdenkens umsponnenes Antlitz fuhr ein heller Schein. Nein, das war nicht
die wilde Freude des Kriegsmannes, der sein größtes Glück, ja Macht,
Ehre und eine gesicherte Existenz aus brodelnden Blutdämpfen hervorkochen
sieht. In seinen reinen und für einen jungen Mann dieser Zeit so
merkwürdig unberührten Zügen malte sich vielmehr die helle, felsenfeste
Zuversicht auf das ungetrübte Glück der Menschheit, das sicherlich durch
keinen noch so unbeschränkten Machtwillen in die Glut und die Greuel
eines vernunftwidrigen Mordens hinabgestoßen werden konnte. Wahrlich, eine
innerste Überzeugung strahlte aus seiner warmen, wohltuenden Stimme, als
er trotz seiner so leicht erklärlichen Befangenheit voller Zuversicht
ausrief:
 
»Ganz unmöglich, gnädiges Fräulein! Sie brauchen sich nicht im
geringsten zu beunruhigen. Meine Kameraden und ich verfolgen natürlich
gleichfalls die Zeitungsgerüchte, die wieder einmal allerlei Bedrohliches
melden, mit größter Spannung, aber wir sind sämtlich felsenfest davon
überzeugt, daß es sich wie gewöhnlich nur um einen papiernen Feldzug
handelt. Ganz bestimmt, wer den Krieg -- wenigstens durch Studium -- kennt,
so wie wir, der weiß, welche Ungeheuerlichkeit derjenige begehen würde,
der ihn um ganz fernliegender Dinge willen entfesselt.«
 
Da war es Johanna, als wenn ein leichter, erfrischender Wind in eine
Wand von Staub und Dampf führe, die ihr bis dahin die Aussicht gesperrt.
Plötzlich tauchte wieder die sonnenbeschienene Gegend vor ihr auf, der
von weißen Scheunen eingefriedete Hof, herübernickend die dunkelgrünen
Kastanien des Parks, und zwischen dem gewölbten Eingangstor
hindurchleuchtend die schmale weiße Landstraße. Selbst das Reitpferd,
das der Bursche des Offiziers in respektvoller Entfernung an den Hofmauern
herumführte, erschien der Aufatmenden wie eine Bürgschaft dafür, daß
das gewohnte Dasein unverändert und ungetrübt an ihr vorüberfließen
müsse. Und in lebhaft aufwallender Dankbarkeit streckte sie dem Boten des
Heils noch einmal ihre Rechte entgegen. Der verbeugte sich stumm über den
dargereichten Fingern. Und da -- welch ein Glück -- das derbe Landmädchen
griff mitten in die so schwer darzustellenden Pläne hinein, die ihn
herleiteten.
 
»Lieber Herr Leutnant Harder,« brachte sie rasch und überstürzt
mit einem an ihr seltenen Lächeln hervor, »ich weiß, was Sie von mir
begehren. Wir wollen nicht viel Worte machen. Ich selbst habe Ihren Besuch,
ja sogar Ihr Anliegen gewünscht, und ich nehme an, daß Ihnen unser
gemeinschaftlicher Freund, Herr Konsul Bark, von den Erwartungen, die ich
an Sie stellen zu dürfen glaubte, Mitteilung machte. Verhält sich
das nicht so, Herr Leutnant?« setzte sie leiser, aber nicht weniger
vertraulich hinzu.
 
Fritz Harder war von dem warmen Ton und der aus einem ehrlichen Gemüt
hervorquillenden Offenheit völlig hingenommen. So, gerade so stellte er
sich ja ein aufrechtes, unerschrockenes Mädchen vor, das einen glättenden
und aufrichtenden Einfluß auf ein Männerdasein gewinnen müßte. Und zum
erstenmal, da er jetzt das Bild dieser Schwester in sich aufnahm, gewahrte
sein suchender, einfühlender Blick, wie diese hellen blauen Augen
auch wärmer, inniger und treuer strahlen konnten, als er es von jener
gefürchteten und immer mit einiger Scheu betrachteten Wächterin erwartet
hatte. Mein Gott, das war ja eigentlich keineswegs die strenge mütterliche
Beraterin, so wie sie ihm immer vorgeschwebt. Hier stand ja in Wahrheit ein
hohes, blühendes Weib, das nur zu unnahbar, zu abgeschlossen lebte, als
daß sich ein zerstörendes Verlangen bis zu ihr erheben konnte. Und jetzt,
gerade jetzt sprach jene edel gemeißelte, wunschlose Statue zu ihm so
redlich, so erkennend, daß ihm das Herz überfloß. Welch ein Glück,
welch ein teures Pfand für die Zukunft, daß Marianne, diese heiße
zuckende Flamme, die an seinem Leben fraß, eine solche Schwester, eine
derartige Hüterin ihr eigen nannte. Und jäh errötend begann er
sein Anliegen vorzutragen. Um was er eigentlich geworben, in
unzusammenhängenden Worten, die sich nur schwer zu zerhackten Sätzen
fügen wollten, das wußten die beiden, die einen so ehrlichen Handel
miteinander zu schließen gedachten, später kaum mehr anzugeben. Jedem
von ihnen blieb nur das erlösende Bewußtsein, daß endlich etwas
Irrlichterlierendes, das sich gegen alle Ordnung sträubte, eine feste und
redliche Form gewinnen sollte. Plötzlich reichten sich beide noch einmal
stumm die Hände. In diesem Augenblick wurde die Gutsherrin von Maritzken
völlig von der Vorstellung beherrscht, daß sie einem großen treuherzigen
Jungen das begehrte Geschenk mit mütterlicher Sorgsamkeit überreiche.
 
»Wir sind einig, mein lieber Herr Leutnant,« schloß sie einfach, indem
noch immer das gute Lächeln um ihre Lippen schwebte. »Und nun eilen Sie
nur, damit Sie auch derjenigen Ihre Wünsche auseinandersetzen können, mit
der Ihnen eine Unterhaltung gewiß viel erfreulicher und amüsanter sein
wird, als mit mir. Nein, nein, lieber Fritz Harder,« sträubte sie sich
beinahe schelmisch, als der junge Offizier ein paar verlegene Komplimente
zu stammeln gedachte, »das ist ja alles so natürlich. Ich weiß
auch, daß Sie mit meiner Schwester Marianne nicht die erste derartige
Besprechung pflegen. Nicht wahr? Aber darüber wollen wir heute nicht
mehr rechten. Um es Ihnen zu erleichtern, werde ich Marianne gleich
herunterbitten lassen.«
 
Allein nach einiger Zeit kehrte das zu diesem Zweck ausgesandte Mädchen
zurück und berichtete, daß die Gesuchte weder in ihrem Zimmer noch bei
den Gästen aus Sorquitten zu finden wäre.
 
»Das ist merkwürdig,« meinte Johanna sich besinnend, »mir war es doch
so, als wenn ich noch eben hinter den Fenstern des ersten Stockwerks die
dunklen Haare meiner Schwester erkannt hätte.«
 
Und als der Offizier, der sich in seiner Hast vergaß, dieselbe Wahrnehmung
bestätigte, da hob das Gutsfräulein ein wenig überlegen die Achsel, um
ihrem neuen Schützling, immer mit derselben Gutmütigkeit, zu raten:
 
»Also, lieber Herr Leutnant, dann schlage ich Ihnen vor, sich selbst auf
die Suche zu begeben. Ich darf ja annehmen, daß Sie über die geeigneten
Schlupfwinkel, Waldhänge und Haselnußhaine auf meinem Gute ausreichend
orientiert sind. Nicht wahr?« lachte sie plötzlich ganz offen, wobei
sie sich an der Betroffenheit des Überraschten wie an einem äußerst
gelungenen Scherz zu weiden begann. »Gehen Sie nur, Fritz Harder, ich bin
überzeugt, Sie werden das, was Sie suchen, mit militärischer Sicherheit
finden.«
 
* * * * *
 
Fritz Harder folgte einem grünen Schatten. Er sah ihn bald durch die
braunscholligen Einschnitte hochstehender Weizenfelder dahinhuschen,
bald glaubte er den flüchtigen Schein wieder rastend an den dunklen
Einbuchtungen eines träumenden Gehölzes hängen zu sehen. Er suchte ihn
zu haschen, ja er rief manchmal leise einen Namen, der sein ganzes Gemüt
ausfüllte, allein immer, sobald er die Stelle erreichte, wo eben die
Ähren wie nach einer entschwundenen Berührung schwankten, dann fand er,
daß er von dem trügerischen grünen Schimmer abermals getäuscht sei.
Allmählich hatte der einsam Wandelnde jene Wiesengrenze erreicht, an
der sich der schmale Haselnußgang dahinschlängelte. Hier an einer
halb verfallenen Moosbank, die so oft Zeugin eines heimlichen kosenden
Geflüsters gewesen, ließ sich der junge Offizier nieder und schickte
seine Blicke noch spähender als bisher durch das dunkle, wild
verschlungene Gestrüpp.
 
Nichts.
 
Es war wohl nur eine Vorspiegelung seiner nicht mehr nüchternen Sinne,
daß es ihm wieder vorkam, als ob der grüne Schatten, dem er nachjagte,
noch eben geschmeidig durch ein Ästegerank hindurchgeschlüpft sei.
 
Nein, nein, hier gab er sicherlich einem völlig unhaltbaren Verdacht
nach, der ihm eigentlich nie und nimmer aufsteigen durfte. Lächerlich,
wie konnte er nur wähnen, daß das Geschöpf, das er für immer an sich
zu ketten trachtete, gerade in dem entscheidenden Augenblick ihres
beiderseitigen Daseins ihm in einer unbegreiflichen Laune zu entweichen
suchte. Ganz sicher, diese ewigen häßlichen Befürchtungen hatten sein
harmloses Gemüt bereits aus der Bahn gerissen. Zu viel und zu eindringlich
war von ihm über seine Zeit nachgegrübelt worden, von der er zweifellos
mit Unrecht argwöhnte, daß sie den oberflächlichen und spielerischen
Bedürfnissen ihrer Kinder zu gefällig entgegenkäme. Fort, fort damit,
das wäre ja keine deutsche Frau, der man im Ernst etwas Derartiges
zutrauen durfte.
 
Entschlossen, befreit erhob er sich und verlor sich erhitzt in das tiefe
Gehölz, durch dessen niedriges, eng verschlungenes Dach die Sonnenstrahlen
nur wie winzige goldene Käfer hindurchkrochen.
 
* * * * *
 
An der rissigen Tür des Kuhstalles lehnte die Hofbesitzerin, und während
über ihr blasses Antlitz noch immer jener still zufriedene Schein
glänzte, da pochte sie von neuem selbstvergessen gegen das trockene Holz.
Diesmal aber klang es munter und beschwingt, und der kecke Trommelschlag ging allmählich in ein Marschtempo über, so daß jeder erkennen konnte, wie zuversichtlich und bestimmt die Gedanken der Gutsherrin über Vergangenes und Zukünftiges schweiften.

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