2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 7

Die Herrin und ihr Knecht 7



Mitten in seinen Gedanken griff der Träumende um sich, hierhin und
dorthin, als ob er einen Halt suche. Etwas Festes, woran sich ein Wankender
aufrichten konnte. Allein die aufgestörten Bilder seiner Phantasie rissen
ihm Stab und Stütze aus den Händen und jagten ihn weiter. Nein, sein
scharfer Verstand, das Erbteil seiner rechnenden Mutter, bewies es ihm
klar und deutlich, daß dasjenige, was ihm als etwas Hohes und Heiliges
vorschwebte, immer und immer wieder zu einem Spiel entwürdigt wurde. Zu
einem lockenden Haschen und Entflattern, das ihm allmählich die Kräfte
der Seele raubte. Keine Zusicherung war zu erlangen, nichts Bindendes, nur
jenes ewige Reizen und Versagen, in dem er auch alle seine Kameraden
sich herumtummeln sah. Sicherlich, es war die Gewohnheit einer kulturell
verstiegenen Zeit geworden. Das Tiefste, was das Menschentum barg, der
Born, aus dem sich vergangene Geschlechter immer neue Jugend schöpften,
man hatte ihn parfümiert und mit allerlei Reizmitteln verbunden, die die
heiligen Wasser um ihre läuternde Wirkung brachten. Das jetzige schnell
dahinrasende Geschlecht wähnte ohne jene aufpeitschenden Genüsse nicht
mehr das Gleichmaß der Tage überstehen zu können. Aber unten, tief unten
auf dem undurchsichtigen und aufgewühlten Grunde des Borns, da lagerte der
Ekel.
 
Als Fritz Harder bis hierher gelangt war, schreckte er plötzlich auf.
War es ein kühlerer Luftzug, der ihn durch das offene Fenster hindurch
anwehte, oder hatte ihn das mißtönende Geschlürf von ein Paar
merkwürdig kreischenden Stiefeln aus seinen Gespinsten verscheucht? Rasch
wandte er das Haupt, knöpfte den Uniformrock zu und zog ihn fester
über der jugendlichen Brust zusammen. Wahrhaftig, er hatte sich nicht
getäuscht. Draußen auf dem Bürgersteig wurde ein unendlich zerbeulter
steifer Filzhut vor ihm gelüftet. Solch ein ehrwürdiges Stück konnte nur
dem mißvergnügten Erfinder Leiser Bienchen gehören, der Punkt halb
acht, seinem Meister, dem alten Adameit, zum Trotz das Pfefferkuchenhaus
verließ, um in einem schockelnden Trabe dreimal die enge Gasse herauf und
herunter zu laufen.
 
»Schönen guten Abend, Herr Leutnant,« sagte der knickbeinige Geselle
zu dem Einwohner seines Herrn hinauf und verzog die weit vorstehende
Karpfenschnauze, die ewig beweglich in einem Meer von Runzeln schwamm, zu
einem griesgrämigen Lächeln. »Was hab' ich Ihnen gesagt, was hab'
ich Ihnen schon heut morgen gesagt? Er ist wieder vollständig wild. Ein
Meschuggener, Herr Leutnant, Sie können es mir glauben. Aber einer von
die schlimme Sorte. Besessen. Er wird noch einmal anrichten das größte
Malheur. Heute hat er wieder -- das heißt, das gehört nicht zur
Sache --,« unterbrach sich Leiser Bienchen und bewegte seine verkrümmte
Gestalt in den Hüften hin und her, so daß sein Rockkragen immer
abwechselnd das rechte oder das linke Ohr erreichte; »was ich sagen
wollte, seine Ideen sind gut, aber zu hastig, Herr Leutnant, zu hastig.
Jeden Tag was anderes. Nu, wie gesagt, ich freue mich bloß auf das große
Unglück. Sie werden sehen. Gute Nacht, Herr Leutnant.«
 
Fritz Harder nickte der schlottrigen Gestalt zu und verfolgte den
Davontrabenden, bis er ihn in der Einbuchtung des Marktplatzes verschwinden
sah. Was er aber nicht wußte, das bestand darin, daß dieser mit Gott
und den Menschen unzufriedene Geselle in den kargen Abendstunden, die ihm
vergönnt waren, sich fast regelmäßig unter eine äußere Nische der
herrlichen Sebalduskirche mitten auf dem Marktplatz drückte, um gespannt
abzuwarten, bis das berühmte Glockenspiel seinen silbernen Gesang
ertönen ließ. Dann neigte der kleine Jude das Haupt, und während er
sein mächtiges Lippenpaar krampfhaft festhielt, damit es sich nicht gegen
seinen Willen kritisch hin und her bewege, da murmelte er fast immer in
einer seltsamen Rührung:
 
»Großartig, ganz, ganz großartig. Wie er das wohl herausgebracht hat?
Was hab' ich immer gesagt? Dieser Adameit is'n Meschuggener und 'n ganz
gemeiner, gewöhnlicher Filz, der mir abzieht bald 'n Groschen hier und
bald 'n Groschen da. Aber was kann ich dafür? Der Mann ist ein Genie, 'n
ganz großes, unerklärliches Genie, und es ist mein Pech, daß ich ihm
nicht ablernen kann, wie man das wird.« Und dann hob er das Haupt und
schockelte sich verzückt in den Hüften hin und her. »Gott, wie ein
Klang. Man möchte tanzen dazu. Wie schön ist doch diese deutsche Musik!«
 
Immer grauer kroch die Dämmerung durch die enge Rosenkranzgasse. Schon
traten einzelne Geschäftsleute auf das schmale Trottoir, um die Jalousien
vor ihren Schaufenstern herabzuziehen. In dem kleinen Leutnantszimmer
jedoch merkte man nichts mehr von Dämmerung und Kahlheit. Allgewaltig
herrschte in ihm jener klingende, sorgenlösende Gott, den der kleine
verkümmerte Jude unter seiner Kirchennische so inbrünstig angerufen
hatte. Fritz Harder saß vor seinem Flügel und spielte. Längst hatte er
die vorgezeichneten Bahnen des Musiktextes verlassen, und ohne, daß er
es selbst ahnte, ebneten sich plötzlich helle, weißschimmernde Pfade
vor ihm, die ihn hinaufleiteten auf klare, glashelle Höhen. Je weiter er
aufwärts stieg, desto wunderbarere Prozessionen zogen ihm entgegen. Sie
trugen goldene Kronen, die er sich auf das Haupt setzte, um unter wuchtigen
Klängen den düsteren Schauer der Macht zu spüren. Und hinter seinen
geschlossenen Augen spiegelte es sich deutlich, wie sich die zarten
Luftgebilde ehrfürchtig vor dem armen kleinen Leutnant neigten. Aber das
war noch nicht das Herrlichste, was ihm entgegenquoll. Einsamer und stiller
wurden die verschwiegenen Wege, schwanke, braune Haselnußstauden schlossen
sich über ihm zu einem schattigen Domgang zusammen, und ganz oben auf
der letzten Stufe, da leuchtete wartend und verlangend eine Gestalt von so
üppiger Pracht, daß der Betörte mitten durch seine Melodien dicht über
dem Haupte das betäubende Donnern einer ungeheuren Glocke zu vernehmen
meinte. Aber es waren nur die starken Schläge seines eigenen Herzens, das
die Ströme des Blutes nicht mehr zu bändigen vermochte.
 
»Marianne,« flüsterte er ermattet, während seine Hände kraftlos von
den Tasten herabsanken.
 
Da -- um Gott, das war doch nicht möglich, -- da lachte etwas hinter ihm.
Genau mit demselben silbernen, etwas müden Ausdruck, wie er es eben in den
verebbenden Phantasien aufgefangen. Undenkbar! Das war noch nie geschehen.
Ein wahnsinniger Spuk, der ihm deutlich zeigte, wie weit seine kräftige
Natur bereits von allem Wirklichen fortgelockt war. Wozu nachgeben? Weshalb
sich erst umwenden?
 
Und doch -- dicht neben ihm rauschte es stärker. Ein feiner Resedaduft
schlug auf. Hinter seinem Rücken wähnte der Gebannte etwas Weiches,
Köstliches zu spüren, und dann -- ein züngelnder Blitz -- ein paar warme
Lippen schmiegten sich auf seinen Nacken und blieben dort haften.
 
Er sprang in die Höhe, daß die Tasten einen wimmernden Laut aussendeten.
Vor seinen Augen schimmerte es. Er konnte das Unwahrscheinliche nicht
fassen.
 
»Marianne,« stammelte er ungläubig, ohne den Klaviersessel, den er
umkrampft hielt, frei zu geben, »bist du es wirklich? Bei mir?« Und er
schickte einen beschwörenden Blick in die Runde, als ob er die
geblümte Tapete, die abgetretenen Dielen, sowie die jämmerlich mürben
Möbelstücke anflehen wollte, sich für die elegante Dame in dem weißen
Sommerkleid zu einem Fürstensaal zu verwandeln.
 
Ganz im Gegensatz zu der Befürchtung des jungen Offiziers indessen schien
sich seine Besucherin von diesem Junggesellenheim äußerst angemutet zu
fühlen. Langsam schlug sie ihren blauseidenen Staubmantel auseinander,
beugte das eine Knie auf den einzigen Korblehnstuhl und zeichnete mit
ihrem schlanken weißen Sonnenschirm allerlei Figuren auf den verschossenen
grünen Teppich.
 
»Also hier wohnst du, Fritz?«
 
Inzwischen hatte der Überraschte Sprache und Besinnung wiedergefunden. Ein
fernes nagendes Gefühl des Unbehagens zehrte in seiner Brust und ließ
ihn einen hastigen Blick auf die niedrige Tür werfen. Die Idee, daß
jene Schwelle in wenigen Minuten von seinem menageschleppenden Burschen
überschritten werden könnte, sie peinigte seine anerzogene Vornehmheit
und zauste in der aufspringenden Freude herum.
 
»Liebe, süße Marianne,« begann er befangen, »daß du soviel Mut
besitzt! Ich weiß gar nicht, wie ich dir dafür danken soll.«
 
»Oh,« erwiderte das schöne Geschöpf lächelnd, »ich wüßte es
schon. Du könntest zum Beispiel schnell die Vorhänge vor deinem Fenster
schließen. Das würde dich sicherlich von vielen Befürchtungen befreien,
nicht wahr, Fritzchen?«
 
Sie sprach es so harmlos und lässig, und ihre schwarzen Augen streiften
dabei so schalkhaft sein Antlitz, daß der Offizier im ersten Moment gar
nicht begriff, warum ihn ihre praktische Anordnung derartig verletzte.
Und nur langsam verstand er sich selbst. Die Sicherheit, mit der sie
hier disponierte, das Vertrautsein mit allerlei abscheulichen kleinen
Kriegslisten, alles das erkältete ihn und ließ ihn verstummen. Schweigend
schritt er zum Fenster und riß den Vorhang zusammen. Dann trat er hinter
ihren Stuhl, den sie noch immer in leise schaukelnder Bewegung hielt. Und
unvermerkt entzündete sich sein Schönheitssinn an der sanften Schwingung,
durch die diese prachtvollen Glieder ihm bald zugebeugt und wieder entfernt
wurden. Ganz sacht und unmerklich. Immer von neuem ein betörendes Haschen
und Entflattern. Die Macht, die sie über ihn ausübte, ohne daß sie viel
sprach oder ihn durch blendende Gedanken zu interessieren vermochte, sie
schlug abermals über dem halb Gewonnenen zusammen.
 
»Du siehst so ernst aus, mein Liebling,« sagte sie mit ihrer weichen
Stimme, aus der ein geübteres Ohr freilich leicht einen ganz feinen
Unterton des Spottes herausgehört hätte, »hat dich der Dienst wieder so
mitgenommen? Oder bist du mir vielleicht böse, weil ich dir durch meinen
Besuch -- meinen ersten -- Unannehmlichkeiten bereiten könnte?«
 
Sie lag jetzt mit beiden Knien auf dem knarrenden Korbgeflecht, eng und
warm ihm hingegeben, und er fühlte, wie die feine Seide ihres Handschuhs
seine Wange streichelte. Nur die schwanke Lehne des Sessels türmte eine
unmerkliche Grenzscheide zwischen ihnen.
 
»Bist du mir böse?« forschte sie noch einmal in einem nachgiebigen Ton,
der ihn durchzitterte.
 
Fritz Harder strich sich leicht über die Stirn. Noch war das
Entgegenstehende, das ihn gefangen hielt, nicht gänzlich überwunden.
Und dann -- in dieser Minute der Besinnung bestürmte ihn noch einmal
der ehrliche und klare Wunsch, etwas Dauerndes zu schaffen, rechtlich und
vornehm zu handeln, wie es der kleine vierschrötige Oberförster dort
oben in den masurischen Wäldern unbedingt von ihm verlangt und gefordert
hätte.
 
»Ich fürchte nichts für mich,« gab er deshalb ernster, als er
beabsichtigt, zurück, »mich erschreckt nur der Gedanke, Marianne,
daß dich die klatschsüchtigen Leute hier in der Gasse aus meinem Hause
heraustreten sehen könnten.«
 
Da versetzte sie ihm einen leichten Schlag auf die Wange und wunderbar --
sie lachte belustigt auf.
 
»Aber du Dummerchen,« beruhigte sie ihn, und wieder wiegte sie sich
leise, »du glaubst doch nicht, daß ich für einen solchen Fall nicht
vorgesorgt hätte? Ja, ich habe meiner Schwester Johanna sogar direkt mitgeteilt, in welches Haus ich gehe.

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