2015년 11월 29일 일요일

Die Herrin und ihr Knecht 6

Die Herrin und ihr Knecht 6


Gerade als es in rollenden, schleppenden Tönen von der Sebaldus-Kirche die
siebente Stunde schlug, da quoll aus der am Markt liegenden Konditorei von
Klinkowström eine kleine Anzahl junger Offiziere heraus, die sich lachend
und säbelschleifend über dem schmalen Trottoir verbreitete.
 
»'n Abend, Harder.«
 
»Adieu, Janick. Ihr bleibt im Kasino, wie?«
 
»Nirgends anders. Dort soll ja eine kleine Götterberatung stattfinden,
was wir mit dem Onkel aus dem Generalstab anstellen sollen, der den Herren
Offizieren in einiger Zeit zum Vortrag geschickt wird. =A propos=, lieber
Harder, ist dieses wissenschaftliche Huhn, der Major von Siebel, nicht ein
Verwandter von Ihnen?«
 
Der junge Offizier mit der saloppen, etwas vorgebeugten Haltung und
dem scharf geschnittenen, bartlosen Antlitz, von dem seine Kameraden
behaupteten, daß es ein Cäsarenkopf wäre, hakte seinen Säbel ein und
blies von dem schwarzen Interimsrock achtlos etwas Zigarettenasche hinweg.
 
»Siebel?«, wiederholte er mit einer leisen, wohllautenden Stimme, die gar
nichts Militärisches in sich barg und auch den energischen Zügen seines
dunklen Gesichts nicht zu entsprechen schien. »Was Sie sagen, Janick,
kommt der her? Jawohl, er ist wohl ein Übervetter meiner Mutter. Wir duzen
uns gerade noch. Übrigens ein grundgescheiter Herr.«
 
»Na ja,« pflichtete der baumlange Janick bei, indem er einen anderen
Kameraden bereits unter den Arm faßte, »die Weisheit liegt in Eurer
Familie. Na, und Sie, Musikante, ziehen wohl für heute abend wieder zu
Mendelssohn und Beethoven ab? Meinen Segen haben Sie. Viel Erbauung!«
 
Der Schlanke griff nachlässig an seine Mütze und wandte sich, um in eine
Seitenstraße einzubiegen:
 
»Danke für den frommen Wunsch, meine Herren,« meinte er gleichgültig,
»Sie sind sehr gütig.«
 
Seine Schritte hallten schon in dem engen Gäßchen, als der lange Janick
ihm noch nachrief:
 
»Fritz, vergessen Sie nicht, morgen früh wieder sechs Uhr
Schützengrabenübung. Das verdammte Buddeln nimmt kein Ende.«
 
»Danke,« schallte es von der anderen Seite zurück, »die Ordonnanz war
schon bei mir. Gute Nacht, meine Herren.«
 
Langsam, mit seiner vorgebeugten Haltung setzte Fritz Harder seinen Weg
durch die enge Zeile fort. Vor einem Antiquitätenladen, in dessen
dunklem verräucherten Schaufenster neben ein paar Trommeln aus den
Freiheitskriegen auch ein Bild in halb vermodertem Rahmen ausgestellt war,
verharrte der junge Offizier und hob sein Monokel vor das Auge. Eine kleine
Weile betrachtete er die schwärzliche Landschaft. Dann murmelte er etwas
Unverständliches und nahm seinen Weg wieder auf, ohne den jungen Mädchen,
die hier paarweise promenierten, irgendwelche Beachtung zu schenken. Bald
hatte er sein Heim erreicht. Es war ein ganz schmales, spitzgiebliges
Häuschen, das sich zwischen zwei anderen altertümlichen Bauten nur
schüchtern eingeklemmt hatte. Vor Baufälligkeit schien es sich direkt
vorüber zu neigen, und da es außerdem bis zu dem Holzbord des ersten
Stockwerks himmelblau angestrichen war, von dort aber bis unter das Dach
in rosenroter Färbung prangte, so glich es viel mehr einem
Pfefferkuchengebilde vom Weihnachtsmarkt, das man recht lieblich und bunt
herausstaffiert. Kaum begreiflich aber war es, wie die Zwei-Fenster-Front
des Häuschens noch durch eine rot gepflasterte Diele getrennt sein
sollte. Und doch verhielt es sich so. Auf der einen Seite des Flurs ging
es nämlich beständig tick-tack, tick-tack. Hier hauste der Besitzer des
blauen und rosenroten Pfefferkuchens, Herr Nikolaus Adameit, der ehrsame
Zunftmeister der Uhrmachergilde. Ja, hier nistete der alte struwelige Mann,
hochgeehrt und bewundert von der ganzen Handelsstadt, denn es haftete
wohl im Gedenken seiner Mitbürger, daß es ihm allein von allen seinen
Handwerksgenossen vor reichlich vierzig Jahren gelungen war, das verstummte
Glockenspiel der Sebaldus-Kirche zu neuem klingenden Leben zu erwecken. Das
hatte dem damals im kräftigsten Mannesalter stehenden Künstler tausend
preußische Reichstaler eingetragen. Und wozu hatte er diese große, diese
überschwengliche Summe verwendet?
 
Wozu?
 
Kein Mensch konnte darüber etwas Genaues angeben. Man hörte nur aus den
wütend hingeworfenen Angaben seines stotternden Gehilfen Leiser Bienchen,
eines phantastisch armen Judenjungen, der von den Wohltaten seines Meisters
lebte, alle alten Kleidungsstücke des Uhrmachers bis zum Zerbröckeln
auftrug und trotzdem, aus künstlerischen Gründen, beständig im
heftigsten Streit mit seinem zahnlosen Prinzipal lebte, man vernahm nur
in Augenblicken zitternder Wut von jenem menschenscheuen Gehilfen, daß es
sich um eine Erfindung handele, die einmal Millionen einbringen müßte.
Tief unten in einem triefend feuchten Keller, und immer nur in den
Frühstunden, wurde von den beiden Adepten an dieser merkwürdigen
Maschinerie gearbeitet. Und der letzte Bursche des Leutnants, der sich
einmal bis in den schwarzen Abgrund hinunter verirrte, er hatte entdeckt,
daß bei jenen beglückenden Ideen zweifellos auch ein starkes Uhrwerk im
Spiel sein müsse:
 
»Denn in dem Keller, Herr Leutnant, macht es immerfort tick-tack,
tick-tack. Es stinkt mordsmäßig dort unten. Nach Schwefel und Säuren
und all solchem Zeug. Und wenn mich der verfluchte Judenbengel nicht einen
Fußtritt gerade vor den Magen versetzt hätte, Herr Leutnant, ich hätte
die Beiden bei der Teufelsbeschwörung überrascht. Denn um so was handelt
es sich, um nichts anderes!«
 
* * * * *
 
Als Fritz Harder die eine der von ihm gemieteten Stuben in dem
Pfefferkuchenhäuschen betrat, stand sein Bursche, ein derber,
vierschrötiger Ostpreuße gerade an dem ovalen Tisch, um eine billige
weiße Petroleumlampe zu entzünden. Er machte sofort vor seinem Leutnant
stramm und nahm ihm die Mütze ab, die ihm Fritz herüberreichte.
 
»Na, Reddemann,« begrüßte ihn der Offizier, während er sich ein wenig
ermüdet auf einen Korbsessel dicht an dem schmalen Fenster niederließ,
»hast du mir die Sachen besorgt?«
 
»Zu Befehl, Herr Leutnant, das Frühlingslied von Mendelssohn. Sehr
schön.«
 
»Aha, du hast wohl wieder darin herumgenascht?«
 
»Zu Befehl. Herr Leutnant wissen ja, daß wir zu Haus einen Gesangverein
haben.«
 
Der am Fenster Sitzende öffnete sich ein wenig den Uniformrock.
 
»Na, ob ich das weiß,« warf er gutmütig hin, »du heulst ja
manchmal, mein Junge, daß ich glaubte, Bienchens räudiger Pudel hätte
Leibschmerzen bekommen.«
 
Allein trotz dieser etwas derben Charakterisierung seiner Gesangskunst
reckte sich der stämmige Bursche und sah sehr befriedigt aus.
 
»Herr Leutnant,« verteidigte er sich, »dann übe ich bloß. Aber bei uns
zu Hause in Pillkallen sagen die Leute, ich hätte die stärkste Stimme.«
 
»Jawohl,« lächelte der Leutnant, »das sage ich auch. Und nun,
Reddemann, schwirre mal in das Kasino ab und hole mir meine Menage. Aber
die Tischordonnanz soll alles hübsch warm geben, verstanden?«
 
»Zu Befehl, Herr Leutnant. Sonst noch etwas?«
 
»Jawohl, bringe mir von nebenan ein paar Zigarren mit, von der billigen
Sorte.«
 
»Zu Befehl, Herr Leutnant.«
 
Der Ostpreuße bedeckte sich mit seiner Mütze, fuhr noch einmal ordnend
auf dem Tisch herum und stolperte auf die Diele heraus. Gleich darauf sah
ihn sein Gebieter die enge Gasse im Trab durcheilen. Mehrfach noch wandte
sich das plumpe Antlitz aufmerksam zurück, ob auch sein Herr diese
beschleunigte Gangart wahrnehme.
 
Fritz Harder jedoch verweilte noch längere Zeit am Fenster und stützte
nachdenklich den feinen Kopf mit den dunklen Haaren auf die Hand. Und wie
schon so oft, überkam ihn, wenn er den Eindruck des ungeheuer niedrigen,
fast kahlen Stübchens mit der verblaßten Blumentapete auf sich wirken
ließ, jenes überwältigende, niederdrückende Einsamkeitsgefühl. Auch
die enge Gasse, durch die kein Wagen fahren durfte, mutete ihn an, als
ob eine Riesenfaust sie zusammengepreßt hätte, damit jede Spur einer
frischen reinen Luft aus ihr entwiche. Dumpf und feucht wie aus einem
Kellerloch wehte es zu ihm herein. Herrgott, hier lebte man wirklich wie
in den Kasematten der Festung, durch hohe Mauern abgesperrt von allem Glanz
des Tages. Und dann das trostlose Einerlei seiner Tätigkeit. Wie ihn
das mit einem ängstlichen Schauer erfüllte, wenn er sich all diese
gleichgültigen und dennoch, wie er zugeben mußte, notwendigen Dinge
zurückrief. Heute und morgen und übermorgen das Rekruten-Einexerzieren,
die ewig geübten und wiederholten Instruktionsstunden, die anstrengenden
Märsche bis weit über das Glacis der ehemaligen Festung, wo er jeden
Baum, jeden Strauch, jeden Hügel und jeden Graben kannte und
beschrieben hatte. Und dazu die Aussicht, die Aussicht in weiter Ferne,
unwahrscheinlich und unerreichbar, jemals sich in dem wissenschaftlichen
und kunstgemäßen Untergrund des Dienstes betätigen zu dürfen. Denn ach,
wie jede praktische Beschäftigung auf Erden, so war ja auch sein Beruf
auf festen Quadern einer historischen, sowie einer technischen Wissenskunde
aufgebaut. Aber in dieses strenge, wohlverschlossene, geheimnisvolle Haus
fanden fast ausschließlich die Mitglieder einer bevorzugten Kaste Einlaß,
und selbst jene harrten wieder vergeblich vor den innersten Kammern, in
denen, wie in dem pochenden Herzen des gewaltigen Körpers, alle feinsten
Adern und Verästelungen zusammenliefen. Wie sollte da der Sohn eines auf
sein schmales Gehalt angewiesenen ostpreußischen Oberförsters hoffen
dürfen? Umsonst blieben die verborgen angesponnenen Versuche, die sein
heiß aufbegehrender Arbeitswille hie und da unternommen. Sie vergilbten
in der Schublade des wackligen Fichtentischchens dort in der Ecke, ja, ihr
Vorhandensein sogar wurde von den fröhlicheren Kameraden -- mit Recht --
verspottet. Oh, wenn nur der Drang und die Sucht nicht gewesen wären, sich
aus diesen umklammernden Beängstigungen vor der Zukunft zu befreien. Da
gab es nur ein Mittel. Und der Blick des Nachdenklichen schweifte zu dem
geborgten Flügel hinüber, der in seinem schwarzen Glanz fast die
Hälfte des Zimmers ausfüllte. Leuchtend spiegelten sich die Strahlen des
Lämpchens auf der fein polierten Platte. Ja, dort wob sich ein Zaubernetz,
in das er sich träumend strecken konnte, und das dann von klingenden
Genien emporgehoben wurde weit fort über die kleine handeltreibende Stadt,
fort von den zechenden, hasardierenden Kameraden mit ihrer absichtlich zur
Schau getragenen Verachtung alles höheren Bildungsstrebens, weit fort von
Armut und Beschränkung. Aber nein -- --
 
Und der Nachdenkliche am Fenster zuckte zusammen und vergrub jetzt sein
Haupt, auf dem es plötzlich wie in Glut und Feuer aufflammte, in beide
Hände. Vergessen und Beseligung, sie wurden dem Glücklichen noch von
anderer Seite gespendet. Hier wuchs Trost, Erbauung, Andacht, tiefe Demut
vor der göttergebildeten Schönheit, und die verzehrende auflösende
Sehnsucht, sich in ein anderes prangendes Dasein hinüber zu retten, wie
es wohl nur ein Künstler in seinen Träumen fühlen konnte. Das schöne,
gnadenspendende Weib stand lächelnd und reizvoll, zu immer neuen Gaben
bereit, vor den geschlossenen Augen des Kämpfenden, bis sich sein
jugendstarker Körper unter einem fröstelnden Schauer wand. Und doch, wie
entsetzlich, auch hier die Unsicherheit, die sein Leben so wehrlos machte.
In Stunden aufschießender Erkenntnis, empfand er da nicht unumstößlich
gewiß, wie das Beste in ihm, trotz der glückverlangenden, spielerischen,
lustdurchzitterten Zeit um ihn herum, nach Dauer, nach Reinheit und nach
Sicherem verlangte? Ein Begehren, das ihn bei seinen forschen Kameraden
in den Ruf eines sonderbaren Heiligen gebracht. Nein, das ließ sich nicht
wegschwatzen und fortdisputieren. Jene starke Sehnsucht haftete ihm von dem
kleinen beschränkten Elternhause an, von jener Stätte des Friedens, die
dem früh Herausgetretenen stets in einem rührenden Lichte der Innigkeit
und des Behagens herüberleuchtete. Und lebte diese beruhigende Sicherheit etwa in der schönen, strahlenden Marianne, die wie eine dunkle Verlockung aus einem orientalischen Märchen in sein Leben getreten war?

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