2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 10

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 10


er versteht die Mauer, das gethürmte Thor, die Rathsverordnung,
das Volksfest wie ein ausgemaltes Tagebuch seiner Jugend und findet
sich selbst in diesem Allen, seine Kraft, seinen Fleiss, seine Lust,
sein Urtheil, seine Thorheit und Unart wieder. Hier Hess es sich leben,
sagt er sich, denn es lässt sich leben, hier wird es sich leben lassen,
denn wir sind zäh und nicht über Nacht umzubrechen. So blickt er, mit
diesem »Wir«, über das vergängliche wunderliche Einzelleben hinweg und
fühlt sich selbst als den Haus-, Geschlechts- und Stadtgeist« (28). Er
wird endlich drittens auch _kritisch_ auf die Geschichte blicken, um
zum Aufbau einer Zukunft eine Vergangenheit umzubrechen, und hierzu
bedarf er der grössten Lebenskraft, denn grösser als die Gefahr, ein
Schwärmer oder ein Sammler zu werden, ist die, ein Verneinender zu
bleiben. »Es ist immer ein gefährlicher, nämlich für das Leben selbst
gefährlicher Process:-- -- --Denn da wir nun einmal die Resultate
früherer Geschlechter sind,-- -- --ist (es) nicht möglich sich ganz
von dieser Kette zu lösen.-- --Wir bringen es im besten Falle zu
einem Widerstreite der ererbten, angestammten Natur und unserer
Erkenntniss,-- -- --wir pflanzen eine neue Gewöhnung, einen neuen
Instinct, eine zweite Natur an, so dass die erste Natur abdorrt. Es
ist ein Versuch, sich gleichsam a posteriori eine Vergangenheit zu
geben, aus der man stammen möchte, im Gegensatz zu der, aus der man
stammt-- -- --. Aber hier und da gelingt der Sieg doch, und es gibt--
-- -- -- --einen merkwürdigen Trost: nämlich zu wissen, dass auch
jene erste Natur irgend wann einmal eine zweite Natur war und dass
jede siegende zweite Natur zu einer ersten wird« (33 f.).--Man kann
diese drei Betrachtungsweisen der Historie in gewissem Sinne auf drei
Perioden von Nietzsches eigener Entwicklung anwenden, indem man mit
der antiquarischen, die dem Philologen zukommt, den Anfang macht,
darauf die monumentale Auffassung folgen lässt, die ihn veranlasst, als
Jünger zu Füssen grosser Meister zu sitzen, und endlich seine spätere
positivistische Periode als die kritische bezeichnet. Nachdem aber
Nietzsche auch diese letztere überwunden hatte, verschmolzen ihm alle
drei Standpunkte zu einem einzigen, auf dem, wie sich zeigen wird,
die in dieser Schrift enthaltenen Gedanken in geheimnissvoller und
ergreifender Weise wiederkehren sollten, in der extremen und paradoxen
Zuspitzung des Satzes: das Historische sei unterthan dem individuellen
Leben, dessen ständige Bedingung das Unhistorische ist.--Die starke
Natur, die er als zugleich historisch und unhistorisch beschreibt, ist
somit ein Erbe aller Vergangenheit und dadurch ungeheuer in der Fülle
des Erlebens, aber ein Erbe, der seinen Reichthum wahrhaft fruchtbar zu
machen weiss, weil er ihn wahrhaft besitzt, über ihn gebietet,--nicht
von ihm besessen und beherrscht wird. Ein solcher Erbe und Spätling
ist dann immer zugleich der _Erstling_ einer neuen Cultur und, als
Träger der Vergangenheit, ein Gestalter der Zukunft: der Reichthum, den
er ausstreut, trägt noch den künftigen Zeiten Früchte. Er ist einer
von den grossen »Unzeitgemässen«, welche in die fernste Vergangenheit
niedertauchen, in die fernste Zukunft hinausweisen, in ihrer Zeit aber
immer als Fremdlinge dastehen, obgleich in ihnen die Gegenwart ihre
höchste Kraft sammelt und ausgibt.
 
Hier liegt der erste Ansatz zu den Gedanken der letzten
Schaffensperiode Nietzsches: ein Einzelner der Genius der gesammten
Menschheit, allein, fähig, von der Gegenwart aus die Vergangenheit als
Ganzes zu deuten und damit auch die Zukunft, als fernstes Ganzes, bis
in alle Ewigkeit in ihrem Ziel und Sinn zu bestimmen.
 
Rein äusserlich betrachtet, reichen die Wurzeln dieser Anschauung
hinab bis zu Nietzsches Philologenthum, welches ihn dazu führte, sich
alter Culturen erkennend zu bemächtigen. Wissen und Sein waren seiner
geistigen Eigenart stets Eins: und so hiess für Nietzsche classischer
Philologe sein so viel als Grieche sein. Gewiss musste dies die ihn
quälende Instinctwidersprüchlichkeit, welche sich für ihn zum Gegensatz
von Antik und Modern zuspitzte, noch verstärken, gleichzeitig aber
auch die Mittel zu ihrer Bekämpfung enthalten, nämlich: durch die
Vergangenheit, der Gegenwart überlegen, die Zukunft bauen; aus einem
Mann der Zeit zu einem Spätling älterer Culturen und einem Erstling
neuer Cultur werden.[5]
 
Zweien solcher »Unzeitgemässen«,--das ist Vorzeitgemässen und
Zukunftgemässen, sind die beiden letzten von Nietzsches »Unzeitgemässen
Betrachtungen« geweiht: »_Schopenhauer als Erzieher_«, und »_Richard
Wagner in Bayreuth_«. In diesen beiden, mit überströmender Begeisterung
aufgerichteten, Standbildern des Genius wird es besonders klar, 'bis
zu welchem Grade die angestrebte Cultur des Unzeitgemässen in einem
Cultus des Genies gipfelte. Im Genie besitzt die Menschheit nicht nur
ihren Erzieher, ihren Führer, ihren Verkünder, sondern auch ihren
eigentlichen und ausschliesslichen Endzweck. Die Vorstellung von den
»erhabenen Einzelnen«, um derentwillen allein die übrige »Fabrikwaare
der Natur« vorhanden sei, ist einer von jenen Schopenhauerischen
Grundgedanken, die Nietzsche nie wieder losgelassen haben. Etwas
in seinem innersten Geist dürstete ebenso unersättlich nach der
ungeheuren Steigerung des Egoistischen in das Idealselbstische, das
darin liegt, als auch nach der dunklen Kehrseite dieses höchsten
Menschenlooses, nach dem »Einsamen« und »Heroischen«. In seiner
mittleren Schaffensperiode ging er scheinbar von dieser ursprünglichen
Genievorstellung ab, weil sie ihren metaphysischen Hintergrund
eingebüsst hatte, von dem allein der grosse »Einzelne« sich in
übermenschlicher Bedeutsamkeit abheben konnte,--wie eine Gestalt aus
der höheren und wahren Welt. Aber der Gedanke des Geniecultus barg
einen Ansatz zu dem, was Nietzsche, am Ende seiner Entwicklung, mit
einem Griff genialen Wahnsinns, dann wieder aus ihm gestaltet hat.
Denn zum Ersatz einer metaphysischen Deutung steigerte sich ihm der
_positive Lebenswerth_ des Genies noch so hoch über Schopenhauers
Auffassung desselben hinaus, dass diese letztere nur ein schwaches
Gegenbild zu der seinen bietet.
 
Solange nämlich der Geniecultus ein Cultus des Metaphysischen in der
menschlichen Physis blieb, erstreckte er sich auf eine fortlaufende
Reihe, eine Kette solcher »Einzelner«, die einander in Sinn und
Wesen ebenbürtig und gleichwerthig waren. Sie werden nicht als
Bestandtheile einer Entwicklungslinie des Menschlichen betrachtet,
sie: »--setzen nicht etwa einen Prozess fort, sondern leben
zeitlos-gleichzeitig«,--sie bilden »eine Art von Brücke über den wüsten
Strom des Werdens«. »-- -- --ein Riese ruft dem anderen durch die
öden Zwischenräume der Zeiten zu, und ungestört durch muthwilliges,
lärmendes Gezwerge, welches unter ihnen wegkriecht, setzt sich das
hohe Geistergespräch fort.« (Nutzen u. Nachtheil d. Histor. 91). Weil
es dieses »Gezwerge« ist, das die ganze Entwicklungsgeschichte sowohl
in ihren Geschehnissen, wie in ihren Gesetzen bestimmt, so ist Eins
sicher: »Das Ziel der Menschheit kann nicht am Ende liegen,sondern nur
in ihren höchsten Exemplaren.« (A. a. O.)
 
Aber da auch die höchsten Exemplare nur das zum Ausdruck bringen,
was in der Tiefe des Menschlichen überhaupt, als sein metaphysisches
Grundwesen, ruht, so unterscheiden sie sich von der Masse der Menschen
weniger durch eine Wesens_verschiedenheit_, als vielmehr durch eine
_Wesensenthüllung_, durch eine göttliche Nacktheit,--während der
Mensch der Masse tausend über sein wahres Wesen gebreitete Schichten
trägt, die alle der Welt und Lebensoberfläche angehören und sich
hier und da bis zur Undurchdringlichkeit verhärten. »Wenn der grosse
Denker die Menschen verachtet, so verachtet er ihre Faulheit: denn
ihrethalben erscheinen sie als Fabrikware.-- --Der Mensch, welcher
nicht zur Masse gehören will, braucht nur aufzuhören, gegen sich
bequem zu sein« (Schopenhauer als Erzieher 4). Daher ist liebevolle
Erziehung und Bemühung um Alle die Folge dieser Anschauungsweise, die
im tiefsten Sinn Alle gleichstellt, weil sie den metaphysischen Kern in
jeder Schale ehrt; sie entfernt sich darum von nichts so weit als von
Nietzsches späteren Forderungen der Sklaverei und Tyrannei.
 
Ist aber wie in Nietzsches späterer Philosophie dieser metaphysische
Hintergrund zerstört, löst sich das übersinnliche Sein in das
unendliche Werden des Wirklichen auf, so vermag sich der Einzelne über
die Masse nur durch einen Wesensunterschied zu erheben, der einem
höchsten Gradesunterschied gleichkommt: indem er die Quintessenz
dieses Werdeprocesses repräsentirt, umfasst er denselben möglichst
in seiner Totalität, während der Mensch der Masse ihn nur blind und
bruchstückweise zu erleben und in sich darzustellen weiss. Dieser
Einzelne wäre gewissermassen als der Einziges imstande, der langen
Entwicklung, die sich Geschichte nennt, einen Sinn zu geben; er
selbst wäre nicht wie der Schopenhauerische Mensch geschaffen aus
übersinnlichem Stoff, aber dafür wäre er durch und durch Schöpfer
und als solcher imstande, der Welt jene Bedeutsamkeit der Dinge zu
ersetzen, an die der Metaphysiker glaubt. Anstatt vieler einander
ebenbürtiger Einzelner, die sich wie ein gleichmässig hoher
zusammenhängender Bergrücken über dem Menschengetriebe erheben, gibt
es daher in Nietzsches letzter Philosophie nur den grossen Einsamen,
der sich als Gipfel des Ganzen darstellt; nach oben hin ist er noch
viel einsamer als sie, denn er ist als Abschluss der Entwicklung das
höchste Exemplar der Gattung, nach unten aber ist er viel härter und
herrischer als sie, denn die Masse und das Leben bedeuten an sich, oder
metaphysisch, nichts; er muss ihnen erst bis an seinen Gipfel hinan
eine bestimmte Rangordnung verleihen. Es ist leicht begreiflich, warum
erst mit ihm der Geniecultus ins Ungeheure wächst, denn in Ermangelung
der metaphysischen Deutung, durch die der Schopenhauerische Mensch von
vornherein in eine höhere Ordnung der Dinge erhoben wird, kann Er nur
durch das Mittel des Ungeheuren überzeugen.
 
Folgendes sind die vier Gedanken der ersten philosophischen Periode
Nietzsches, womit er sich, wenn auch in stets veränderter Auffassung
bis zuletzt beschäftigt hat: es sind das Dionysische, die Decadenz, das
Unzeitgemässe, der Geniecultus. Wie wir ihn selbst, so werden wir auch
sie immer wiederfinden, und in demselben Maasse, als er sich selbst
immer persönlicher in seiner Philosophie zum Ausdruck bringt, gestaltet
er auch sie immer charakteristischer. Betrachtet man seine Gedanken in
ihrem Wechsel und ihrer Mannigfaltigkeit, dann erscheinen sie fast
unübersehbar und allzu complicirt; versucht man hingegen aus ihnen
herauszuschälen, was sich im Wechsel stets gleich bleibt, dann erstaunt
man über die Einfachheit und Beständigkeit seiner Probleme. »Immer ein
Anderer und immer Derselbe!« konnte Nietzsche von sich sagen.
 
Dass die Wagner-Schopenhauerische Weltanschauung eine so tiefe
Bedeutung für Nietzsche gewann, dass er später noch nach allen Kämpfen
und von ganz entgegengesetzten Richtungen seines Geisteslebens aus
sich wieder ihren Grundgedanken annäherte, zeigt, wie sehr dieselbe
seiner ganzen Natur entgegenkam, wie sehr sich in ihr aussprach, was in
ihm schlummerte. Aus seinem Philologenthum in dieses Philosophenthum
erhoben, fühlte er sich ohne Zweifel einem Gefangenen gleich, von dem
die Ketten fallen. Waren doch vorher seine besten Kräfte gebunden
gewesen; jetzt durfte er aufathmen, jetzt wurde Alles in ihm befreit.
Seine künstlerischen Instincte schwelgten in den Offenbarungen der
Wagner'schen Musik; seine starke Veranlagung zu religiösen und
moralischen Exaltationen genoss in der metaphysischen Ausdeutung dieser
Kunst eine beständige Möglichkeit der Erhebung. Sein umfassendes
gründliches Wissen diente der neuen Weltanschauung, die sich in seiner
Auffassung des Griechenthums wiederspiegelte. Da in Wagners Person
das Kunstgenie Thatsache geworden, in ihm gleichsam der »erlösende
Heiland« gegeben war, so fiel Nietzsche die Stellung des Erkennenden,
des wissenschaftlichen Vermittlers, zu: damit blieb er in der Aufgabe
des Philosophen. Aber die gewonnene Erkenntniss selbst bildete nur
den Anlass zur vollen Entfaltung seiner künstlerischen und religiösen
Eigenart, und eben dies bezeichnet ihren Werth für seinen Geist.
Wonach er sich schon während seiner philologischen Studien gesehnt
hatte, als er dem Leben der alten Philosophen nachforschte, das war
hier zur Wahrheit geworden: das Denken ein Erleben, die Erkenntniss
ein Mitarbeiten und Mitschaffen an der neuen Cultur; im Gedanken
durften alle Seelenkräfte Zusammenwirken: er forderte den ganzen
Menschen. Nietzsche gibt nur dem befreienden Entzücken Ausdruck, das er hier genoss, wenn er am Schluss seines »Sokrates und die klassische Philologie« in die Worte ausbricht: »Ach! Es ist der Zauber dieser Kämpfe, dass, wer sie schaut, sie auch kämpfen muss!

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