2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 25

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 25


In der Urgesundheit seiner gewaltthätigen Instinktkraft und seines
rückhaltlosen Egoismus wurde Napoleon nun für Nietzsche das Idealbild
der geborenen Herrennatur, wie sie sein soll, und wie wir sie auch
heute noch brauchen, um Alles auszurotten, was durch die Sklavennatur
der modernen Menschen an moralischen Rücksichten und weichlichen
Regungen grossgezogen worden ist. Wir kommen damit zu Nietzsches
viel besprochener und vielfach überschätzter Unterscheidung zwischen
Herren-Moral und Sklaven-Moral. Anfangs ging Nietzsche auch hier von
positivistischen Anregungen aus. Wie schon erwähnt, gab Rées damals im
Werden begriffenes Werk »Die Entstehung des Gewissens« den Anlass,
mit dem Freunde das ganze Material, dessen dieser für seine eigenen
Zwecke bedurfte, durchzusprechen,--namentlich auch den etymologischen
und historischen Zusammenhang der Begriffe vornehm-stark-gut,
niedrig-schwach-schlecht in der ältesten Moral oder auf der sozusagen
vormoralischen Culturstufe. Die Art, wie diese Gespräche und
gemeinsamen Studien noch einmal von den beiden Freunden aufgenommen
wurden, war charakteristisch für die Beziehung, in der Nietzsche auch
jetzt noch zu den positivistischen Anschauungen stand: er hörte den
Gedanken derselben noch einmal geduldig zu, entnahm ihnen hie und da
die Anregung oder das Material zu eigenem Denken, wandte sich aber
hierbei bereits feindlich gegen seine ehemaligen Genossen.
 
In Rées Werk wurde die historische Verschiebung des Urtheils zu Gunsten
aller wohlwollenden, gleichmachenden Regungen als ein natürlicher
und allmählicher Uebergang zu höher entwickelten Gesellschaftsformen
aufgefasst: die anfängliche Verherrlichung der raubthierhaften Kraft
und Selbstsucht weicht immer mehr der Einführung milderer Sitten und
Gesetze, bis endlich in der christlichen Moral das Mitleid und die
Nächstenliebe als höchstes Gebot religiös sanktionirt erscheint.
In seiner persönlichen Abschätzung des moralischen Phänomens war
Rée indessen weit davon entfernt, sich auf die Seite der englischen
Utilitarier zu stellen, denen er in seinen wissenschaftlichen
Anschauungen sonst am nächsten kommt. Für Nietzsche hingegen spitzte
sich, in Folge seiner veränderten persönlichen Auffassung des
Moralischen, der geschichtlich gegebene Unterschied zwischen den beiden
verschiedenen Verthbestimmungen dessen, was »gut« heisst, zu zwei
unversöhnlichen Gegensätzen zu: zu einem Kampf zwischen Herren-Moral
und Sklaven-Moral, der ungeschlichtet bis in unsere Tage hineinreicht.
Die ungemein grosse Bedeutung, die alles Willensmächtige und
Instinktstarke für ihn gewonnen hatte, verleitete ihn, darin die einzig
mögliche Quelle aller gesunden Moral zu erblicken, in der Sanktionirung
wohlwollender Regungen hingegen ein tödtliches Uebel, an dem die ganze
Menschheit bis heute kranke. Seine bisherige Zurückführung aller
moralischen Werthurtheile auf den Nutzen, die Gewohnheit und das
Vergessen der ursprünglichen Nützlichkeitsgründe erschien ihm nunmehr
als unrichtig: eine solche Entstehung konnte sich höchstens für die
Sklaven-Moral schicken, für die andere musste ein vornehmerer Ursprung
gefunden werden. Denn vornehm ist es, ein Ding ohne Rücksicht auf den
Nutzen gut oder schlecht zu nennen, und so verfährt die Herrennatur:
sie empfindet sich selbst in ihrem Wesen und allen ihren Regungen
als »gut« und sieht auf Alles, was diesen nicht entspricht, also
auf alles Schwache, Abhängige, Furchtsame, mit unwillkürlicher und
halb unbewusster Geringschätzung als auf das »Schlechte« herab. Ganz
anders entsteht die Sklaven-Moral dieser Geringgeschätzten, dieser
»Schlechten«: sie entsteht nicht spontan und von sich selbst aus,
sondern auf dem Boden des Ressentiment als eine Art Racheakt: sie nennt
alles »böse«, hassenswerth, was den herrschenden Ständen angehört, und
erst von da aus erfindet sie, als etwas Abgeleitetes, _ihren_ Begriff
»gut« für sämmtliche jenen _entgegengesetzte_ Eigenschaften,--also für
das Schwache, Unterdrückte, Leidende. Auf der einen Seite steht mithin
das »unschuldbewusste Raubthier«, das starke, »frohlockende Ungeheuer«,
das sogar die schlimmsten Thaten, wenn es sie selbst begeht, mit einem
»Übermuthe und seelischen Gleichgewichte« vollbringt, wie »einen
Studentenstreich« (Zur Genealogie der Moral I 11), auf der anderen
Seite der Unterdrückte, Hassgeübte, dessen Seele ohnmächtig nach
Rache dürstet, während er die Moral des Mitleids und der erbarmenden
Nächstenliebe zu predigen scheint. Zu einem vollkommenen Idealbild
ist dieser letztere Typus im Christenthum ausgearbeitet worden, das
Nietzsche ohne Weiteres als einen ungeheuren Racheakt des Judenthums
an der selbstherrlichen antiken Welt auffasst. Dass die Juden den
Stifter des Christenthums gekreuzigt und seine Religion verleugnet
haben, soll die eigentliche Feinheit dieses Racheplanes gewesen sein,
damit die anderen Völker unbedenklich »an diesem Köder anbeissen«.[5]
Es ist aber nicht nothwendig, Nietzsche in allen seinen Erklärungen
und seiner bisweilen gewagten Geschichts-Interpretation nachzugehen,
weil die eigentliche _Bedeutsamkeit_ dieser Anschauung für seine
Philosophie an anderer Stelle liegt, als wo man sie gemeinhin sucht.
Im Bedürfniss, Alles möglichst zu verallgemeinern und wissenschaftlich
zu begründen, hat Nietzsche versucht, Etwas, dessen Bedeutung für
ihn innerhalb eines verborgenen seelischen Problems lag, aus der
Menschheitsgeschichte zu entwickeln und in sie hineinzulegen. Deshalb
ist es zu bedauern, wenn das Eigenartige in Nietzsches Gedankengang
verwischt wird, indem man daran die falsche Seite über Gebühr betont:
die der Wissenschaftlichkeit. Auch von diesen Hypothesen Nietzsches
gilt es, und ganz besonders von diesen, dass man sie nicht theoretisch
nehmen darf, um den originellen Kern aus ihnen herauszuschälen. Nicht
was die Seelengeschichte der Menschheit sei, sondern wie seine eigene
Seelengeschichte als diejenige der ganzen Menschheit aufzufassen
sei, das war für ihn die Grundfrage. Im schärfsten Gegensatz zu der
philologischen Genauigkeit, mit der er anfänglich und im Wesentlichen
auch in der vorhergehenden Periode Geschichte und Philosophie
interpretirt hatte, spielt jetzt die exakte wissenschaftliche Forschung
keine Rolle mehr neben seinen genialen Einfällen und Ideen,--und
sie konnte auch keine mehr spielen, weil Nietzsche verhindert war,
wissenschaftlich zu arbeiten.
 
Von allen Studien, die er jetzt noch streifen mochte, gelten daher
seine Worte aus der »Fröhlichen Wissenschaft« (166)--dass wir »_Immer
in unserer Gesellschaft« bleiben_, auch wo wir wähnen, Fremdes
aufzunehmen: »Alles, was meiner Art ist, in Natur und Geschichte, redet
zu mir, lobt mich, treibt mich vorwärts, tröstet mich--: das Andere
höre ich nicht oder vergesse es gleich.« »_Grenze unseres Hörsinns_:
Man hört nur die Fragen, auf welche man im Stande ist, eine Antwort
zu finden.« (Ebendaselbst 196.) »Wie gross auch die Habsucht meiner
Erkenntniss ist: ich kann aus den Dingen nichts Anderes herausnehmen,
als was mir schon gehört,-- das Besitzthum Anderer bleibt in den Dingen
zurück.« (Ebendaselbst 242.)
 
Bei einer so willkürlichen Behandlung des Materials zu Gunsten seiner
philosophischen Hypothesen entfernte er sich viel weiter von sachlicher
Beobachtung und Begründung, wurde er viel subjektiver bestimmt in
seinen Schlüssen und Folgerungen, als in den Jahren, wo er sich noch
bewusst auf das innerlich Erlebte beschränkte. Jetzt wurde aus dem
innerlich Bedeutsamen das nach Aussen hin Bestimmende und Gesetzgebende
und er selber der »grosse Gewalt-Herr«, der »gewitzte Unhold, der mit
seiner Gnade und Ungnade alles Vergangene zwänge und zwängte: bis es
ihm Brücke würde und Vorzeichen und Herold und Hahnenschrei.« (Also
sprach Zarathustra III 74.)
 
Für Nietzsches seelisches Problem handelt es sich von vornherein
weniger darum, den Gegensatz zwischen Herren-Moral und Sklaven-Moral
geschichtlich richtig zu fixiren, als um Feststellung der Thatsache,
dass der Mensch, so wie er bis heute von unten herauf geworden ist,
_beide_ Gegensätze in sich trägt, dass er das leidende Resultat einer
solchen Instinkt-Widersprüchlichkeit, einer solchen Einverleibung von
Doppel-Werthungen ist. Wenn wir uns Nietzsches Decadenz-Schilderung
entsinnen, so finden wir in ihr den Menschen als geborene Herren-Natur,
d. h. in ursprünglich ungezähmter Kraft und Wildheit, aber geknechtet
und zum gehorchenden Sklaven gemacht durch den socialen Zwang, durch
die Thatsache der beginnenden Kultur selbst. Alle Kultur als solche
beruht für Nietzsche auf einem solchen Krankmachen, Sklavischmachen
des Menschen, und ausdrücklich bemerkt er, dass ohne diesen Vorgang,
ohne gewaltsam gegen sich selbst gekehrt zu werden, die menschliche
Seele »flach« und »dünn« geblieben wäre. Seine ursprüngliche
Herren-Natur ist noch nichts als ein herrliches Thier-Exemplar und zur
Weiterentwickelung erst befähigt durch die _Wunden_, die ihrer Kraft
beigebracht werden,--denn in der Qual dieser Wunden muss sie lernen,
sich selbst zu zerfleischen, sich an sich selbst zu rächen, ihre
Ohnmacht in nach Innen gekehrten Leidenschaften auszulassen: _alles
dies ausschliesslich auf dem Boden des sklavischen Ressentiment_.
»Das Wesentliche,-- -- --wie es scheint, ist, nochmals gesagt, dass
lange und in Einer Richtung _gehorcht_ werde: dabei kommt-- --auf
die Dauer immer Etwas heraus, dessentwillen es sich lohnt, auf
Erden zu leben.« (Jenseits von Gut und Böse 188.) Nun gilt dieser
Decadenz-Zustand Nietzsche allerdings nicht nur als überwindbar,
sondern geradezu als die nothwendige Voraussetzung für den daraus zu
züchtenden willenslangen, affektstarken, selbstsicheren Menschen,
aber man beachte wohl: Dieser vollendete Mensch mit seiner vertieften
und individualisirten Herren-Natur soli keineswegs seinem naiven
Egoismus leben, nicht die Vorurtheile und Sklavenketten abstreifen, um
sich Selbstzweck zu sein, sondern er soll zum Erstling einer höheren
Menschengattung werden und für ihre Neugeburt sich opfern, denn, wie
wir gesehen, stellte ja für Nietzsche der Gipfel der Entwickelung den
Untergang der Menschheit dar, indem diese nur der Uebergang zu etwas
Höherem, eine Brücke, ein Mittel ist. Je grösser daher ein Mensch
ist, je mehr Genie, je mehr Gipfel in einem jeden Sinne, um so mehr
ist er auch ein Ende, eine Selbstvergeudung, ein Ausströmen letzter
Kräfte,--»zum Vernichten bereit im Siegen!« (Also sprach Zarathustra
III 91.) Er soll »etwas Vollkommenes, zu-Ende-Gerathenes,
Glückliches, Mächtiges, Triumphirendes«, nur werden, damit er »zu
Neuem, zu noch Schwererem, Fernerem bereit« sei, »wie ein Bogen, den
alle Noth immer nur noch straffer anzieht«, (Zur Genealogie der Moral
I 12) ein Bogen, dessen Pfeil nach dem Uebermenschen zielt. So wird er
denn zu einem Kampfplatze widerstrebender und einander bekriegender
Triebe, aus deren schmerzlicher Fülle allein alle Entwickelung
hervorgeht; es zeigt sich in ihm wieder jenes Durcheinander von
Herrschenwollen und Dienen müssen, von Vergewaltigung des Einen durch
den Andren,--woraus einst alle Kultur geworden, und woraus nun eine
Ueber-Kultur als letzte und höchste Schöpfung entstehen soll. Er ist
kein Friedvoller und sich selbst Geniessender, sondern ein Kämpfender
und Selbst-Untergang. Er wiederholt also _in sich_ und auf Grund
seiner vollkommen individualisirten und geistesfreien Persönlichkeit
genau dasselbe, was einst auf die Menschheit _von Aussen her_, durch
Knechtung, als ein aufgezwungenes Erziehungsmittel wirkte,--wir
finden in ihm wieder »diese heimliche Selbst-Vergewaltigung, diese
Künstler-Grausamkeit, diese Lust, sich selbst als einem schweren
widerstrebenden leidenden Stoffe eine Form zu geben, einen Willen, eine
Kritik, einen Widerspruch, eine Verachtung, ein Nein einzubrennen,
diese unheimliche und entsetzlich-lustvolle Arbeit einer mit sich
selbst willig-zwiespältigen Seele, welche sich leiden macht, aus Lust
am Leidenmachen. (Zur Genealogie der Moral II 18.) Denn gerade die
vollendetste und umfassendste Seele muss am klarsten und unwid erruf
lichsten das Grundgesetz des Lebens in sich zum Ausdruck bringen,
welches heisst: »Ich bin das, _was sich immer selber überwinden muss_«.
(Also sprach Zarathustra II 49.)
 
Es ist nicht zu verkennen, wie sehr Nietzsche seinen eignen
Seelenzustand diesen Theorien untergelegt, wie stark er sein eignes
Wesen in ihnen wiedergespiegelt, und wie er endlich dem tiefsten
Bedürfniss desselben das Grundgesetz des Lebens selbst entnommen
hat. Seine leidvolle »Seelen-Vielspältigkeit«, seine gewaltsame
»Zweispaltung« in einen sich opfernden, anbetenden und in einen
beherrschenden, vergöttlichten Wesenstheil liegt seinem gesammten Bilde
der Menschheitsentwickelung zu Grunde. Ueberall, wo er von Herren- und
Sklaven-Naturen spricht, muss man dessen eingedenk bleiben, dass er
von sich selbst spricht, getrieben von der Sehnsucht einer leidenden
und unharmonischen Natur nach ihrem Wesens-Gegensatz und von dem
Verlangen, zu einem solchen als zu seinem Gott aufblicken zu können.
Sein eigenes Ich schildert er, wenn er vom Sklaven sagt: »sein Geist
liebt Schlupfwinkel, Schleichwege und Hinterthüren, alles Versteckte
muthet ihn an als _seine_ Welt, _seine_ Sicherheit, _sein_ Labsal«;
(Zur Genealogie der Moral I 10)--und er beschreibt sein Gegenbild in
der handelnden, frohen, instinktsicheren, unbekümmerten Herren-Natur,
dem ursprünglichen Thatenmenschen. Aber indem er das Eine die
Voraussetzung des Andren sein lässt, indem er die Menschen-Natur als
solche zu dem Schauplatz macht, auf dem sich diese beiden Gegensätze
immer wieder treffen, um sich gegenseitig zu überwinden, fasst er sie
als _Entwickelungsstufen innerhalb desselben Wesens_, die, historisch
betrachtet, Gegensätze bleiben, sich aber im Einzelwesen, psychologisch
betrachtet, als eine _Wesenstheilung innerhalb des entwickelungsfähigen
Menschen erweisen_. Daher ist seine Auffassung des geschichtlichen
Kampfes zwischen Herren- und Sklaven-Naturen in seiner ganzen Bedeutung nichts als eine vergröberte Illustration dessen, was im höchsten Einzelmenschen vorgeht, des grausamen Seelenprozesses, durch den dieser sich in Opfergott und Opferthier spalten muss.

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