2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 24

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 24


Der Gedanke einer überreich gewordenen, sich opfernden Menschheit
ist es denn auch, von dem aus Nietzsche, zurückblickend, den ganzen
Gang der Menschheits-Entwicklung begreift. Um desswillen allein war
jene lange und peinvolle Zähmung ursprünglicher Thierwildheit nöthig,
obgleich sie den Menschen zum Decadenten heranzüchtet, und er ihr
schliesslich doch wieder entwächst. Ihr Sinn ist es gewesen, ihn mit
der ganzen Fülle seiner Innerlichkeit zu bereichern und ihn dann
zum Herrn dieses Reichthums und seiner selbst zu machen. Das konnte
nur durch einen langen harten Zwang geschehen, in dem sein Wille,
als, der eines noch Unmündigen, gleichsam unter Schlägen und Strafen
zur Mündigkeit erzogen wurde. So lernte der Mensch einen _längeren_
und _tieferen_ Willen haben, als das vergessliche, vom Augenblick
beherrschte, dem Augenblicksimpulse unterworfene Thier. Er lernte für
sein Wollen einstehen--er wurde »das Thier, das _versprechen darf_«.
Alle Menschheitserziehung ist im Grunde eine Art von _Mnemotechnik_:
sie löst das Problem, wie dem unberechenbaren Willen ein _Gedächtniss
einzuverleiben_ sei. »Für sich gut sagen dürfen und mit Stolz, also
auch zu sich _Ja sagen dürfen_--das ist--- eine _späte_ Frucht:--wie
lange musste diese Frucht herb und sauer am Baume hängen! Stellen wir
uns--ans Ende des ungeheuren Prozesses, dorthin, wo der Baum endlich
seine Früchte zeitigt, wo die Societät und ihre Sittlichkeit der Sitte
endlich zu Tage bringt, _wozu_ sie nur das Mittel war: so finden wir
als reifste Frucht-- --das souveraine _Individuum_, das nur sich
selbst gleiche,-- --, kurz den Menschen des eignen unabhängigen langen
Willens, der _versprechen darf_.« (Zur Genealogie der Moral II I ff.)
Dieser Selbstgewissheit des freigewordenen, herrgewordenen Individuums
entspricht eine neue Art von _Gewissen_, nachdem der Mensch den Moral
Vorstellungen und Idealbegriffen des Herkommens--seinen strengen,
nunmehr überflüssig gewordenen Erziehern--entwachsen ist, und damit das
alte Gewissen seine Wurzel und Berechtigung in ihm verloren hat.
 
Auch die Willenstheorie Nietzsches weist eine Verschmelzung seiner
ehemaligen metaphysischen Anschauungen mit einem wissenschaftlichen
Determinismus auf. Als Jünger Schopenhauers unterschied Nietzsche
gleich diesem zwischen dem mysteriösen Willen »an sich«, der die
Grundlage der Schopenhauerischen Metaphysik ausmacht, und dem Willen,
wie er für unsere menschliche Wahrnehmung in die Erscheinung tritt.
Er nannte ihn also frei, insofern die letzten Gründe seines Seins und
Wesens jenseits unserer gesammten Erfahrungswelt liegen, jenseits
des für diese geltenden Causalitätsgesetzes; unfrei, insofern die
einzelne Willenserscheinung uns nur wahrnehmbar wird innerhalb des
unzerreissbaren Netzes des allgemeinen Causalzusammenhangs. Nachdem
Nietzsche dann mehrere Jahre einem consequenten Determinismus
gehuldigt hatte, hält er auch jetzt noch an der Ansicht fest, dass der
»Wille« sich am Gängelbande der ihn bestimmenden Einflüsse sozusagen
erst seinen Namen verdiene. Aber was er als Determinist hinsichtlich
der mysteriösen _Herkunft_ und Abstammung des Willens leugnet, das
versucht er dafür an das _Ziel_ und _Ende_ der Willensentwicklung
zu stellen. Ist nämlich in Folge der von ihm geschilderten
langen Willenszüchtung durch Zwang und äussere Beeinflussung ein
reifer, selbstgewisser, dem Augenblick entwachsener und das Leben
beherrschender Wille allmählich _geschaffen worden_, so ist er damit
in einem Sinne frei geworden, dem gegenüber die Deterministen Unrecht
bekommen: denn nun lassen sich seine Handlungen nicht länger aus
einer bestimmten Zeit und Umgebung ableiten, nun wird er durch nichts
mehr als durch sich selbst, d. h. durch seine _gewaltig angewachsene
und rücksichtslos explodirende Stärke_ bestimmt,--er ist reines, von
der Zeit gelöstes Machtbewusstsein. Allerdings ist dieses sein Wesen
nicht mehr _metaphysischer_ Natur, denn es ist geworden, es ist das
_Resultat_ einer Entwicklungsreihe, und die erreichte Freiheit des
Willens ist die Tochter der Nothwendigkeit und strengsten Bedingtheit
des Willens. Aber es ist dennoch etwas Mystisches um diese Freiheit,
denn sie wendet sich nunmehr als eine _unbedingte_ Macht umgestaltend
und umschaffend _gegen_ eben die natürlichen Bedingungen, denen
sie entsprungen. Die Welt der Wirklichkeit in ihrer uns allein
zugänglichen und begreiflichen Entwicklung hatte Nietzsche in
seiner positivistischen Zeit als das Werthvollste schätzen gelernt,
indem er sich gegen die andersgesinnten Metaphysiker mit dem Wort
kehrte: »Alles Fertige, Vollkommene wird angestaunt, alles Werdende
unterschätzt,« (Menschliches, Allzumenschliches I 162)--blos weil man
die Entstehungsursachen des ersteren nicht mehr nachprüfen, nicht
mehr durchschauen kann. Nun gelangt er zu dem gleichen Anstaunen
des Fertiggewordenen und scheinbar Vollkommenen; und alles Werdende
erscheint ihm nur noch schätzenswerth, insofern es der Weg dazu ist.
Die Bedingtheit aller Dinge wird von ihm auch jetzt zugestanden,
aber nur, weil aus ihr heraus irgend wann einmal eine über alle
Bedingtheit und Erfahrung hinausgehende mystische Bedeutsamkeit aller
Dinge sich offenbaren soll. Von der Machtstärke des freigewordenen
Willens hängt diese Bedeutsamkeit ab, denn von ihm wird sie in die
Dinge hineinerschaffen; darum will Nietzsche an Stelle des »freien«
und »unfreien« Willens der Deterministen den Ausdruck »_starker_
und _schwacher_ Wille« gesetzt sehen (Jenseits von Gut und Böse 21)
und die gesammte Psychologie aufgefasst wissen als »Morphologie und
_Entwicklungslehre des Willens zur Macht_«. (Ebendas. 23.)
 
Der Willensmächtige ist also jederzeit der im höchsten Grade
»Unzeitgemässe«, er ist Derjenige, in dem _Genie_ geworden ist, was
sich durch lange Zeit hindurch in der Menschheit vorbereitet hat.
Im Genie strömt frei aus, was von der Menschheit in Unfreiheit und
Knechtschaft erlernt wurde. Genies sind wie »Explosivstoffe, in denen
eine ungeheure Kraft aufgehäuft ist; ihre Voraussetzung ist immer,
historisch und physiologisch, dass lange auf sie hin gesammelt,
gehäuft, gespart und bewahrt worden ist,-- -- --die Zeit, in der sie
erscheinen, ist zufällig; dass sie fast immer über dieselbe Herr
werden, liegt nur darin, dass sie stärker, dass sie _älter_ sind, dass
länger auf sie hin gesammelt worden ist;-- -- --die Zeit ist relativ
immer viel jünger, dünner, unmündiger, unsicherer, kindischer.«-- --
--»Der grosse Mensch ist ein Ende;-- -- --Das Genie--in Werk, in That--
ist nothwendig ein Verschwender: _dass es sich ausgiebt_, ist seine
Grösse.... Der Instinkt der Selbsterhaltung ist gleichsam ausgehängt;
der übergewaltige Druck der ausströmenden Kräfte verbietet ihm jede
solche Obhut und Vorsicht.« (Götzen-Dämmerung IX 44.)
 
Im Genie tritt also, wenigstens nach einer bestimmten Richtung, in
ausserordentlichem Grade das zu Tage was den Menschen befähigen
soll, von seiner Art zu einer Ueber-Art fortzuschreiten, eine
Selbstvergeudung zu Gunsten einer Neuschöpfung, ein verschwenderischer
Reichthum, in dessen Gaben sich die ganze Vergangenheit abgelagert
hat, und in dem sie zugleich ganz und gar Fruchtbarkeit geworden
ist,--Zukunftsbefruchtung. Denke man sich nun ein Genie, das
nicht, gleich anderen Genies, seine Genialität nur auf einem
oder einigen Gebieten besitzt, sondern in Bezug auf das gesammte
Menschheitsbewusstsein,--so etwa, dass in ihm wirksam und lebendig
ausströmt, was je in demselben gelebt und gewirkt: ein solches Genie
wäre das Bild des Menschen, aus dem der Uebermensch geboren wird. Es
würde in sich die ganze Vergangenheit überschauen und zusammenfassen,
ja, es enthielte in sich »die ganze Linie Mensch, bis zu ihm selbst
hin noch«, und deshalb müsste sich in ihm plötzlich Weg und Ziel der
Menschheitszukunft offenbaren. Zum ersten Mal erhielte durch den
Machtwillen eines solchen Offenbarers die Menschheitsentwicklung
Richtung, Ziel und Zukunft, alle Dinge eine innere und endgiltige
Bedeutsamkeit:--mit einem Wort, zum ersten Mal erstände der
Philosoph als der Schaffende, wie Nietzsche ihn sich denkt: als
der Willensmächtige, der Menschheitsgenius, der das Leben in sich
Begreifende, an dem offenbar wird, was Nietzsche vom Denken überhaupt
sagt: es sei »in der That viel weniger ein Entdecken, als ein
Wiedererkennen, Wiedererinnern, eine Rück- und Heimkehr in einen fernen
uralten Gesammt-Haushalt der Seele, aus dem jene Begriffe einstmals
herausgewachsen sind:--Philosophien ist insofern eine Art von Atavismus
höchsten Ranges.« (Jenseits von Gut und Böse 20.) Alles Höchste eine
Art von Atavismus,--darin liegt der wunderlich _reaktionäre_ Charakter
der ganzen letzten Philosophie Nietzsches, der sie am schärfsten von
der seiner vorhergehenden Periode unterscheidet. Es ist ein Versuch,
an Stelle der metaphysischen Verherrlichung bestimmter Dinge und
Begriffe die ihres Alters und ihrer weit zurückliegenden Herkunft
zu setzen. Er nimmt das »Wiedererinnern« und »Wiedererkennen« nur
deshalb nicht im Sinne Platos, weil er meint, es durch die ungeheuer
lange Zeitstrecke des Bestehens alles Denkens ebenso bedeutsam und
übermenschlich fassen zu können. Deshalb gilt ihm, dass von allem
Hochgearteten nur das Aelteste das Zukunftbestimmende sei,[2] dass
Werth und Vornehmheit der Dinge ausschliesslich an das Alter gebunden
seien: erst am Ende angelangt, weisen sie ihren Schatz auf, weisen sie
sich als Macht, Freiheit und unabhängig gewordene Kraft aus. »Wer (die
guten Dinge) _hat_, ist ein Andrer, als wer sie erwirbt. Alles Gute
ist Erbschaft: was nicht ererbt ist, ist unvollkommen, ist Anfang ...
« (Götzen-Dämmerung IX 47), vornehm ist: »was sich nicht improvisiren
lässt.« Nichts ist mithin pöbelhafter, unvornehmer, als das Werdende
und der Bringer des Werdenden und Neuen: der moderne Mensch und der
moderne Geist, der von seiner Zeit ganz und gar bedingt und daher ganz
und gar Sklavengeist ist. Herrengeist kann er erst werden, nachdem ihm
Jahrhunderte und Jahrtausende einverleibt sind, und er dadurch selbst
ein »Unzeitgemässer«, »zeitlose Genialität« geworden ist.
 
»Demokratismus war jeder Zeit die Niedergangs-Form der organisirenden
Kraft:-- -- --Damit es Institutionen giebt, muss es-- --Wille,
Instinkt, Imperativ geben, antiliberal bis zur Bosheit: den Willen
zur Tradition, zur Autorität, zur Verantwortlichkeit auf Jahrhunderte
hinaus, zur _Solidarität_ von Geschlechter-Ketten vorwärts und
rückwärts in infinitum.« (Götzen-Dämmerung IX 39.) Es ist interessant,
durch Vergleichung der entsprechenden Stellen in Nietzsches
vorhergehenden Werken zu sehen, welche Wandlung in der Auffassung einer
Theorie der blosse Gefühlsumschlag bei ihm hervorzurufen vermag, und
wie unversöhnlich sich dadurch die Gegensätze sofort zuspitzen. Jetzt
geisselt er die »pöbelhafte[3] Gleichmacherei« aller Menschen und
die zahmen Friedenszustände, in denen keine rohen Barbarengewalten
mehr aufkommen können, welche die gesunde Kraft alter Zeiten in die
ermattete und entkräftete Gegenwart hinübertragen würden. Barbaren
sind »die _ganzeren_ Menschen (was auf jeder Stufe auch so viel mit
bedeutet, als »die ganzeren Bestien«--).« (Jenseits von Gut und Böse
257.) Diese ganzeren Menschen und ganzeren Bestien erscheinen in einem
solchen Gesellschaftszustand als böse und gefährlich, sie werden zu
Verbrechern gestempelt und demgemäss behandelt,-- ja, sie _sind_ kraft
ihrer stärkeren Naturtriebe die geborenen Verbrecher und Biecher der
bestehenden Ordnung. »Der Verbrecher-Typus, das ist der Typus des
starken Menschen unter ungünstigen Bedingungen,-- -- --Ihm fehlt die
Wildniss, eine gewisse freiere und gefährlichere Natur und Daseinsform,
in der Alles, was Waffe und Wehr im Instinkt des starken Menschen ist,
_zu Recht besteht_. Seine _Tugenden_ sind von der Gesellschaft in Bann
gethan.« (Götzen-Dämmerung IX 45.) Das Freiheitsideal, wonach einem
_Jeden_ eine gewisse Freiheit zukommt, das also auch den Schwächsten
und Geringsten zur Freiheit der Bewegung gelangen lässt, steht dem
seinen gerade entgegen: seine rücksichtslose Auslebung fordert immer
die Vergewaltigung Anderer, seine Stärke äussert sich unwillkürlich
und nothwendig in einem Zertreten jeder ihn umgebenden Schwäche. Der
Grund aber dieser in ihm ausbrechenden Stärke der Instinkte ist, dass
er sozusagen von einer älteren Kultur-stufe herkommt, ein älteres
Stück Menschenthum darstellt: dass er, mit einem Wort, gleich dem
Willensmächtigen und dem Genie, im höchsten Grade atavistisch veranlagt
ist. Mag diese ihm von Alters her innewohnende Instinktmacht an sich
noch so unedler Natur sein, edel ist sie schon dadurch, dass sie einen
Durchbruch lang angesammelter Fülle, einen starken Explosivstoff
darstellt, mit welchem die Vergangenheit die Zukunft befruchtet. Wo der
Verbrecher sehr stark, wo er also zugleich ein Genie seiner Art und
ein »Willensfreier« ist, da gelingt es ihm manchmal, die herrschende
Zeitrichtung seiner atavistischen Sonderart entsprechend zu leiten und
das ihm widerstrebende Zeitalter unter seinen Tyrannenwillen zu beugen.
Ein Beispiel hierfür ist Napoleon, den Nietzsche ähnlich auffasst wie
Taine. Auch ihm erscheint es von der grössten Bedeutsamkeit, dass
Napoleon ein Nachkomme der Tyrannen-Genies der Renaissance-Zeit ist,
der, nach Corsica verpflanzt, in der Wildheit und Ursprünglichkeit der
dortigen Sitten das Erbe seiner Vorfahren unangetastet in sich bewahren
konnte, um endlich mit der Gewalt desselben das moderne Europa zu
unterjochen, das ihm einen ganz anderen Spielraum der Kraftentladung
bot, als einst Italien seinen Ahnen geboten hatte. Nietzsches
Bewunderung für den grossen Corsen gehört seiner letzten Geistesperiode
an, wie er auch die italienische Renaissance früher wesentlich anders auffasste.

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