2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 9

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 9


In der Versöhnung und Verbindung dieser beiden sich anfänglich
bekämpfenden Triebe erkennt Nietzsche Ursprung und Wesen der attischen
Tragödie, die als die Frucht der Versöhnung der beiden widerstrebenden
Kunstgottheiten ebenso sehr dionysisches als apollinisches Kunstwerk
ist. Entstanden aus dem dithyrambischen Chor, der die Leiden des
Gottes feierte, ist sie ursprünglich nur Chor, dessen Sänger durch
die dionysische Erregung so verwandelt und verzaubert wurden, dass
sie sich selbst als Diener des Gottes, als Satyrn, empfanden und als
solche ihren Herrn und Meister Dionysos schauten. Mit dieser Vision,
die der Chor aus sich erzeugt, gelangt sein Zustand zu apollinischer
Vollendung. Das Drama als »die apollinische Versinnlichung dionysischer
Erkenntnisse und Wirkungen« ist vollständig. »Jene Chorpartien, mit
denen die Tragödie durchflochten ist, sind also gewissermassen der
Mutterschoss des eigentlichen Dramas« (41); sie sind das dionysische
Element desselben, während der Dialog den apollinischen Bestandteil
bildet. In ihm sprechen von der Scene aus die Helden des Dramas als die
apollinischen Erscheinungen, in denen sich der ursprüngliche tragische
Held Dionysos objectivirt, als blosse Masken, hinter denen allen die
Gottheit steckt.
 
Wir werden am Schlüsse unseres Buches sehen, in welch eigenthümlicher
Weise Nietzsche ganz zuletzt noch einmal auf diesen Gedanken
zurückgriff, indem er seine verschiedenen Entwicklungsperioden
und Gesinnungswandlungen so darzustellen versuchte, als seien sie
nicht unmittelbare Aeusserungen seines Geistes gewesen, sondern
gewissermaassen nur willkürlich vorgehaltene Masken, »apollinische
Scheinbilder«, hinter denen sein dionysisches Selbst, göttlich
überlegen, das ewig gleiche geblieben sei. Die Ursachen dieser
Selbsttäuschung werden wir am Schlüsse erkennen.
 
Die Bedeutung, die Nietzsche dem Dionysischen beimisst, ist
charakteristisch für seine ganze Geistesart: als Philolog hat er mit
seiner Deutung der Dionysoscultur einen neuen Zugang zur Welt der
Alten gesucht; als Philosoph hat er diese Deutung zur Grundlage seiner
ersten einheitlichen Weltanschauung gemacht; und über alle seine spätem
Wandlungen hinweg taucht sie noch in seiner letzten Schaffensperiode
wieder auf; verwandelt zwar, insofern ihr Zusammenhang mit der
Metaphysik Schopenhauers und Wagners zerrissen ist: aber sich doch
gleich geblieben in dem, worin schon damals seine eignen verborgenen
Seelenregungen nach einem Ausdruck suchten; verwandelt erscheint sie
zu Bildern und Symbolen seines letzten, einsamsten und innerlichsten
Erlebens. Und der Grund dafür ist, dass Nietzsche im Rausch des
Dionysischen etwas seiner eignen Natur Homogenes herausfühlte: jene
geheimnissvolle Wesenseinheit von Weh und Wonne, von Selbstverwundung
und Selbstvergötterung,--jenes Uebermass gesteigerten Gefühlslebens, in
welchem alle Gegensätze sich bedingen und verschlingen, und auf das wir
immer wieder zurückkommen werden.
 
Den schärfsten Contrast zum Dionysischen und der aus ihm geborenen
Kunstcultur bildet die Geistesrichtung des theoretischen, aller
Intuition entfremdeten Menschen, die auf den Namen des Sokrates
getauft wird. In der »Geburt der Tragödie« sucht Nietzsche die
Entwicklung dieser Geistesrichtung von Sokrates an durch die
Philosophie und Wissenschaft aller Jahrhunderte bis auf unsere Zeit
in grossen Zügen zu schildern. Mit Sokrates, dessen Vernunftlehre
sich gegen die ursprünglichen hellenischen Instincte kehrte, um
sie zu zügeln,--»schlägt der griechische Geschmack zu Gunsten der
Dialektik um«, und es beginnt jener Triumphzug des Theoretischen, das
durch Vernunft-Einsicht die letzten Gründe des Seins zu erforschen
und dasselbe corrigiren zu können vermeint. Diesem Optimismus hat
erst Kants Kritik ein Ende bereitet, indem sie auf die Grenzen des
theoretischen Erkennens hinwies und, wie Nietzsche später witzig
bemerkt, die Philosophie zu einer »Enthaltsamkeitslehre« reducirt, »die
gar nicht über die Schwelle hinwegkommt und sich peinlich, das Recht
zum Eintritt _verweigert_« (Jenseits von Gut und Böse 204). Dadurch
schaffte sie, nach Nietzsche, Raum für die Regeneration der Philosophie
durch Schopenhauer, der endlich einen Zugang zum unerforschten Sein
und zu dessen Umgestaltung auf dem Wege der intuitiven Erkenntniss
erschlossen habe.
 
In den Jahren 1873--1876 veröffentlichte Nietzsche im Geist und Sinn
seines vorhergehenden Werkes, unter dem Gesammttitel: »_Unzeitgemässe
Betrachtungen_«, vier kleinere Schriften,--bestimmt: »gegen die Zeit,
und dadurch auf die Zeit und hoffentlich zu Gunsten einer kommenden
Zeit«, zu wirken. Die erste derselben, die den Titel führte: »_David
Strauss, der Bekenner und der Schriftsteller_«, bestand in einer
vernichtenden Kritik des damals überaus gefeierten Buches »Der alte
und der neue Glaube«, und einer energischen Befehdung des einseitigen
Intellectualismus unserer modernen Bildung. Von dauernderem Interesse
ist die zweite höchst werthvolle Schrift: »_Vom Nutzen und Nachtheil
der Historie für das Leben_«, deren Grundgedanke in Nietzsches letzten
Werken, wenn auch modificirt, aber darum nicht weniger deutlich
wiederkehrt als seine Auffassung des Dionysischen. Das Wort Historie
bezeichnet hier den Begriff des Gedankenlebens, ganz allgemein gefasst,
im Gegensatz zum Instinctleben;--Erkennen des Vergangenen, Wissen
vom Gewesenen, im Gegensatz zur vollen Lebenskraft des Gegenwärtigen
und Werdenden. Die Schrift behandelt die Frage: »Wie ist das Wissen
dem Leben unterthan zu machen?« und präcisirt den Standpunkt des
Verfassers in dem Satze: »Nur soweit die Historie dem Leben dient,
wollen wir ihr dienen.« Sie dient ihm aber nur so lange, als gegenüber
den zersetzenden, belastenden und überall eindringenden Einflüssen des
Gedanklichen die wichtigste Seelenfunction im Menschen noch völlig
intact geblieben ist. »-- --die _plastische Kraft_ eines Menschen,
eines Volkes, einer Cultur,-- --ich meine jene Kraft, aus sich
heraus eigenartig zu wachsen, Vergangenes und Fremdes umzubilden und
einzuverleiben, Wunden auszuheilen, Verlorenes zu ersetzen, zerbrochene
Formen aus sich nachzuformen« (10). Sonst entsteht in uns ein Chaos
fremder, uns nur zugeströmter Reichthümer, die wir nicht zu bewältigen,
nicht zu assimiliren im Stande sind, und deren Mannigfaltigkeit
daher das Einheitliche und Organische unserer Persönlichkeit
schwer gefährdet. Wir werden dann zum passiven Schauplatz
durcheinanderwogender Kämpfe, in denen sich die verschiedensten
Gedanken, Stimmungen, Werthurtheile unaufhörlich befehden; wir leiden
unter den Siegen der Einen wie unter den Niederlagen der Andern, ohne
im Stande zu sein, unser Selbst zu ihrer Aller Herrn zu machen.
 
Hier findet sich zum ersten Mal eine Hindeutung auf Nietzsches so
viel besprochenen _Decadenzbegriff_, der in seinen späteren Werken
eine so grosse Rolle spielt. Nicht umsonst gemahnt uns diese erste
Beschreibung der Decadenzgefahr an die von uns gegebene Schilderung
seines eignen Seelenzustandes;--wir können hier schon den seelischen
Ursprung derselben deutlich erkennen: es ist die geheime Qual, die
es diesem leidenschaftlichen Geist verursachte, den steten Andrang
überwältigender Erkenntnisse und Gedankenströmungen auszuhalten,--
Gewalt, mit der all sein Denken und Wissen auf sein Innenleben
einwirkte, so dass die Fülle innerer einander widerstreitender
Erlebnisse die geschlossenen Grenzen der Persönlichkeit zu sprengen
drohte. Er sagt selbst im Vorwort (V) zu jener Schrift: »--Auch soll--
-- --nicht verschwiegen werden, dass ich die Erfahrungen, die mir
jene quälenden Empfindungen erregten, meistens aus mir selbst und
nur zur Vergleichung aus Anderen entnommen habe.«[4] Was er in sich
selbst vorfand, das wurde ihm zur allgemeinen Gefahr des ganzen
Zeitalters,--und steigerte sich später sogar zu einer Todesgefahr
für das ganze Menschenthum, die ihn zum Erlöser und Erretter
aufrief. Die Folge aber dieses Umstandes ist ein eigenthümlicher
Doppelsinn, der durch die ganze Schrift hindurch geht und einem
kundigen Nietzsche-Leser sofort auffällt: da nämlich dasjenige, was am
herrschenden Zeitgeist seine Bedenken hervorrief, doch etwas wesentlich
Anderes war als sein eigenes Seelenproblem, so wendet er sich ohne
Unterschied gegen zwei voneinander völlig verschiedene Dinge: Einmal
gegen die Verkümmerung eines vollen, reichen Seelenlebens durch den
erkältenden und lähmenden Einfluss einseitiger Verstandesbildung: »Der
moderne Mensch schleppt zuletzt eine ungeheure Menge von unverdaulichen
Wissenssteinen mit sich herum, die dann bei Gelegenheit ordentlich
im Leibe rumpeln, wie es im Märchen heisst« (36). »Im Inneren ruht
dann wohl die Empfindung jener Schlange gleich, die ganze Kaninchen
verschluckt hat und sich dann still gefasst in die Sonne legt und
alle Bewegungen ausser den nothwendigsten vermeidet.-- --Jeder, der
vorübergeht, hat nur den einen Wunsch, dass eine solche »Bildung«
nicht an Unverdaulichkeit zu Grunde gehe« (37).--Das andere Mal
aber gerade gegen die allzu heftige, aufreizende und aufrührerische
Einwirkung des Gedanklichen auf das psychische Leben, gegen den dadurch
hervorgerufenen Kampf zusammenhangloser wilder Triebkräfte.
 
Es ist ein Unterschied wie zwischen Seelenstumpfsinn und
Seelenwahnsinn. In Nietzsche selbst pflegten die abstractesten Gedanken
sich in Gemüthsmächte umzusetzen, die ihn mit unmittelbarer und
unberechenbarer Gewalt fortrissen. In dem von ihm gezeichneten Bilde
unseres Zeitalters mussten sich ihm daher die beiden entgegengesetzten
Wirkungen des Intellectuellen vermischen, und in Bezug auf die eine von
ihnen,--auf die chaotische Entfesselung des Seelenlebens,--verschmolzen
ihm in ähnlicher Weise zwei verschiedene Ursachen mit einander. Es
handelt sich nämlich nicht nur um die rein intellectuellen Einflüsse,
nicht nur um die Gefahr des Verstandesmässigen für das Instinctmässige,
sondern auch um die uns vererbten und einverleibten Einflüsse
längst verflossener Zeiten, die, einst einer intellectuellen Quelle
entsprungen, jetzt nur in der Form von Trieben und Gefühlsschätzungen
in uns leben.
 
Der geschlossenen Persönlichkeit droht also nicht nur die Gefahr, die
von aussen kommt, sondern auch diejenige, die sie in sich trägt, die
mit ihr geboren ist,--jene »Instinct-Widersprüchlichkeit«, die das
Erbe aller Spätlinge ist, denn--Spätlinge sind Mischlinge.
 
Die Ueberwindung des Nachtheils, den die »Historie« in diesem
Sinn,--erlernt oder erlebt,--bringen kann, liegt in der Hinwendung
auf das Unhistorische. Unter dem Unhistorischen versteht Nietzsche
die Rückkehr zum Unbewussten, zum Willen des Nichtwissens, zum
Horizont-Abschliessenden, ohne das es kein Leben gibt. »Jedes Lebendige
kann nur innerhalb eines Horizontes gesund, stark und fruchtbar
werden« (11),-- --»Das Unhistorische ist einer umhüllenden Atmosphäre
ähnlich, in der sich Leben allein erzeugt«.-- --Es ist wahr: erst
dadurch, dass der Mensch denkend, überdenkend, vergleichend, trennend,
zusammenschliessend jenes unhistorische Element einschränkt, erst
dadurch dass innerhalb jener umschliessenden Dunstwolke ein heller,
blitzender Lichtschein entsteht, also erst durch die Kraft, das
Vergangene zum Leben zu gebrauchen und aus dem Geschehenen wieder
Geschichte zu machen, wird der Mensch zum Menschen: aber in einem,
Uebermaasse von Historie hört der Mensch wieder auf« (12 f.). Seine
Kraft misst sich an dem Maass des Historischen, das er verträgt und
besiegt,--an der Kraft des Unhistorischen in ihm: »Je stärkere Wurzeln
die innere Natur eines Menschen hat, um so mehr wird er auch von der
Vergangenheit sich aneignen oder anzwingen; und dächte man sich die
mächtigste und ungeheuerste Natur, so wäre sie daran zu erkennen,
dass es für sie gar keine Grenze des historischen Sinnes geben würde,
an der sie überwuchernd und schädlich zu wirken vermöchte; alles
Vergangene, eigenes und fremdestes, würde sie an sich heran, in sich
hineinziehen und gleichsam zu Blut umschaffen. Das was eine solche
Natur nicht bezwingt, weiss sie zu vergessen; es ist nicht mehr da,
der Horizont ist geschlossen und ganz, und nichts vermag daran zu
erinnern, dass es noch jenseits desselben Menschen, Leidenschaften,
Lehren, Zwecke gibt.« (11) Ein solcher Geist treibt Historie auf alle
drei Weisen, auf die sie überhaupt getrieben werden kann, ohne ihr
nach irgend einer der drei Richtungen hin zu verfallen: er schaut sie
an als _Monumentalgeschichte_, indem er seinen Blick auf den grossen
Gestalten der Vorzeit ruhen lässt und sie auf sein Werk und sein
Wollen bezieht, ohne sich jedoch an sie zu verlieren: als begeisternde
Vorgänger und Genossen. Er vertieft sich in _antiquarische Geschichte_,
indem er alles Vergangene durchwandert! wie die Stätte seines eignen
Vorlebens,--wie Jemand, der die Stätte seiner eignen Kindheit betritt,
an welcher ihm auch das Geringste werthvoll und bedeutsam erscheint:

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