Die Herrin und ihr Knecht 3
Ich bin Ihnen für Ihre gute Meinung sehr verbunden, Herr Rittmeister.
Aber gerade, weil ich ein nüchterner Kaufmann bin, so werden Sie es mir
nicht übel deuten, wenn ich mich frage, welche geheime Absicht Sie eben
jetzt zu mir leitet, obwohl Sie vielleicht Ursache zu haben glauben, mir
wegen dieser unangenehmen Zollaffäre zu zürnen.«
Ganz vorsichtig und diplomatisch hatte der Konsul dies vorgebracht,
während er unausgesetzt einen großen Elfenbeinfalz zwischen seinen
schmalen Fingern hin- und hergleiten ließ. Der Russe jedoch tat seine
hellblauen Kinderaugen noch weiter auf, und auf seinen breiten Zügen
malte sich vollste Verständnislosigkeit. Ungewiß rieb er sich in seinem
stoppligen blonden Kinnbart.
»Nix Zollaffäre, nix zürnen, keine Spur,« versicherte er eifrig und
verbeugte sich mehrfach in großer Ehrfurcht vor dem Handelsherrn. »Solche
Geschichten alle Tage vorkommen. =Au contraire=, bereiten Spaß, machen
schönes Vergnügen. Leo Konstantinowitsch Sassin bitten Rudolf Bark von
Wertschätzung und innigster Freundschaft überzeugt zu sein.«
Damit legte er die Linke aufs Herz und hob das Weinglas grüßend zu dem
Hausherrn hinüber. Der Konsul aber, der die Gewohnheiten des Nachbarvolkes
kannte, nickte gleichfalls mit dem Haupt, ohne jedoch seinen Zweck aus dem
Auge zu verlieren.
»Leo Konstantinowitsch, kann ich Ihnen mit irgend etwas anderem dienen?«
Der Russe schluckte noch an seinem Wein und setzte das Glas ziemlich
unbekümmert auf die Schreibtischplatte nieder. Dann erhob er lebhaft beide
Hände.
»=Pas du tout=, mein bester Freund, nix dergleichen. Ja, ist wahr, gab
traurige Zeiten für Offiziere von Gossudar, namentlich wenn so weit fort
von heilige Petersburg. Serr zu kämpfen gegen Einsamkeit, Langweile und
Armut. Da ist Rudolf Bark immer hilfreicher Freund gewesen, serr hilfreich,
Kavalier --«
»Sehr schön, aber -- --«
»Kommt, kommt alles. Armut vorbei, durch Gnade von Väterchen bedeutend
besser gestellt. Einnahmen hier, Einnahmen dort, man kann nicht klagen. Und
seit Gouverneur von Wilna Grenzstationen kontrolliert, auch eigene =maison=
-- Häuschen.«
Bei der Erwähnung dieser kleinen ›=maison=‹ flog ein verschmitzter
Schein über die eben noch so ernsten Züge des Kaufmanns.
»Ja, ich habe gehört, Leo Konstantinowitsch. Man erzählt, daß Ihnen
eine reizende Villa gebaut sei.«
»Eben fertig,« warf der Russe sehr befriedigt ein.
»Nun gut, nehmen Sie meinen Glückwunsch. Es fehlt nichts hinein als eine
junge Frau.«
Der Russe fuchtelte wieder mit den Händen und ließ die Sporen klirren.
»Oh, fehlt nicht, fehlt nicht, =pas du tout=, man weiß sich zu behelfen.
Und davon gerade, Rudolf Bark, sollen Sie sich überzeugen. Ich bitte serr,
ich bitte inständigst.«
»Sie meinen doch nicht --?«
»Ja, meine ich, ein kleines Fest. Eine Einweihung, intim, serr vornehm.
Und wenn Sie mich machen wollen glücklich, dann legen auch ein gutes Wort
ein bei die schönen Damen von Maritzken, die ich neulich so bevorzugt war,
bei Ihnen zu treffen. Wunderschöne Damen, namentlich die große, üppige,
stolze, mit die königliche Gang, und die schwarze mit den roten Lippen. Es
wird werden serr amüsant.«
So unerwartet traf den Großkaufmann diese letzte Aufforderung, daß er
den Elfenbeinfalz hart auf den Tisch fallen ließ und erst einen
verlegenen Blick auf das Holzantlitz des Apostels warf, bevor er, sich
zusammenraffend, widersprechen konnte:
»Nein, nein, lieber Rittmeister, dieser Mission fühle ich mich nicht
gewachsen. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber es kommt mir doch höchst
zweifelhaft vor, ob sich die jungen Damen von Maritzken, und namentlich die
Älteste, in dem eigentümlichen« -- der Konsul zögerte einen Augenblick
und suchte nach einem Ausdruck -- »na sagen wir Junggesellenmilieu
wohlfühlen würden.«
Der Grenzoffizier jedoch sprang klirrend auf und fegte mit seiner Rechten
in sprudelnder Lebhaftigkeit durch die Luft, als müsse er jedes einzelne
Wort seines Gegenübers besonders ausstreichen.
»Kein Junggesellenmilieu,« schrie er, unbekümmert darum, ob seine Worte
nicht etwa jenseits der Diele verstanden werden könnten, »Sie täuschen
sich, bester Konsul, wir besitzen Takt, =savoir vivre=. Sie kränken uns,
wenn Sie zweifeln daran. Wir sind junges Volk, harmloses Volk, -- aber
galant gegen Damen.«
Sicherlich gedachte Leo Konstantinowitsch seine nationale Eigenart noch
eingehender zu schildern, aber das leis-ironische Lächeln, das
abermals die Lippen seines Zuhörers umspielte, veranlaßte ihn, sich zu
unterbrechen, um sich beschwörend die mächtige Faust mitten auf die Brust
zu schlagen. Es gab einen dumpfen Widerhall.
»Diesmal nicht so wie sonst,« brachte er ganz treuherzig hervor, wobei er
immerfort das blonde Haupt schüttelte, »Oberst Geschow aus Mariampol mit
seiner jungen Frau gibt gleichfalls die Ehre. Und alle jungen Frauen von
Kameraden ebenso. Wir werden trinken nur ein Täßchen Tee, essen dazu
ganz dünne Kaviarschnittchen, und die Gattin von Zivilgouverneur -- Frau
Bobscheff, serr fromme Dame -- wird sein Patronesse von das Ganze. Sie
werden sich einlegen Ehre, Rudolf Bark, mit dieser Einladung bei den
jungen Fräulein von Maritzken. Und,« setzte der Russe sehr ernst und
nachdrücklich hinzu, »es ist gut, wenn beide Völker freundschaftlich
verkehren. Ich sage, es ist gut.«
Noch hatte der Russe nicht völlig seine Erklärungen geschlossen, als die
eisenbeschlagene Eichentür sich geräuschlos in ihren Angeln drehte. Vor
dem lauten Gespräch hatten die beiden Männer völlig überhört, daß
schon zweimal an das harte Holz gepocht wurde. Jetzt stand unter
der Wölbung der Tür eine blaue Hausmeistersuniform mit blanken
Messingknöpfen, und das kurz geschorene weiße Haupt des berühmten
Pawlowitsch neigte sich zu einer demütigen Verbeugung. Beide Arme ließ
der Alte dabei weit gestreckt von sich herunterhängen.
»Herr Konsuhl,« wisperte eine flehentlich-zerknirschte Stimme, »ich
störe.«
»Schon gut, was gibt's?«
Der Alte wandte sich halb nach draußen und ließ eine zweite Verbeugung
nach der Richtung der Diele hin folgen.
»Das gnädige Fräulein von Maritzken ist soeben angekommen.«
»Heilige Mutter,« sprudelte der Russe und ließ vor Erstaunen den breiten
Mund mit den tadellosen Zähnen offen.
Aber auch der Konsul schnellte aus seinem Sessel, und es war sehr
merkwürdig, wie er sich bemühte, in aller Eile ein Aschenkörnchen von
dem Aufschlag seines eleganten braunen Promenadenanzugs fortzustäuben.
»Ist es das älteste Fräulein?« warf er rasch hin, und eilfertig schritt
er in die Ecke, um selbst die elektrische Leitung aufzudrehen, die die
Lichter des schweren lombardischen Kronleuchters an der mittelsten der
Wölbungen aufstrahlen ließ. »Ist es die Älteste der Damen?«
Pawlowitsch zwinkerte ein wenig mit den schwarzen Augen. »Fräulein
Johanna« meldete er.
Der Konsul machte ein paar Schritte bis zur Tür.
»Stehe sofort zu Diensten.« Er sprach so laut, daß man seine Stimme
sicherlich draußen auf dem Flur vernehmen mußte. »Lieber Herr
Rittmeister -- --,« fuhr er fort, und ohne daß er noch etwas Weiteres
zu äußern brauchte, lag in seiner sprechenden Handbewegung das Bedauern,
die Konferenz mit dem Offizier leider schließen zu müssen.
Inzwischen hatte auch Rittmeister Sassin seinen gebogenen Säbel enger
an sich gezogen und ergriff nun die breitrandige blaue Mütze. Er schien
vollkommen einzusehen, daß er hier überflüssig würde. Ja, in
seinen groben, verschwommenen Zügen arbeitete sogar eine starke innere
Verlegenheit. Heilige Mutter, diese stolze königliche Deutsche flößte
ihm einen Respekt ein, den er sich nicht zu erklären vermochte. Viele der
deutschen Weiber besaßen etwas Ähnliches. Nein, zum Teufel, die andere,
die Schwarze mit den roten Lippen und der üppigen Lässigkeit war
angenehmer, bequemer. Und in seinem kindlichen Verstand stritten sich
Zweifel, ob es wirklich möglich sein würde, die Damen von Maritzken zu
dem Besuch in der gemütlichen kleinen ›=maison=‹ jenseits der Grenze
zu veranlassen. »Rudolf Bark gestatten, daß holder Dame die Hand küsse.
Und nicht wahr, nicht vergessen an meine Bitte! Überlasse alles Ihnen,
bester Freund, alles Ihnen!«
Da öffnete sich die Tür, die hohe, schlanke Frauengestalt in dem
cremefarbenen Bastseidenkostüm ragte unter der Wölbung. Die drei Männer
aber verbeugten sich gleichzeitig so tief und ehrfürchtig, daß sie
vielleicht gelächelt haben würden, wenn sie ihre gesenkten Häupter
selbst hätten beobachten können. Dann reichte der Konsul seinem
neuen Gast höflich die Hand, wobei er es jedoch vermied, die schlanken
Fingerspitzen an seine Lippen zu führen. Das hatte sich das Landmädchen
ein für allemal verbeten. Darauf eine kurze Wendung gegen den russischen
Offizier, ein vergebliches Bemühen des Rittmeisters, seine Huldigung
auf den weißen Handschuh der Dame zu hauchen und die verabschiedende
Beteuerung des Russen, daß sein bester Freund Rudolf Bark holden Dame ein
großes Geheimnis mitzuteilen habe. Eine Bitte, ein fußfälliges
Flehen, deren Erfüllung armen Leo Konstantinowitsch in einen Taumel des
Entzückens versetzen würde.
»Guten Morgen, Rudolf Bark, alle Nothelfer behüten Sie -- Gnädigste, der
Himmel nehme Sie in seinen Schutz.«
Die silbernen Sporen klirrten zusammen, der Säbel rasselte, und die
wuchtige Gestalt des Grenzoffiziers schritt tönend über die grünen
Marmorstufen.
Die beiden anderen blieben allein.
»Liebes Fräulein Johanna, nehmen Sie Platz,« forderte der Konsul auf,
indem er sehr diensteifrig einen neuen Ledersessel an den Schreibtisch
schob. Und nachdem die Älteste von Maritzken sich wortlos niedergelassen,
blieb er geneigt vor ihr stehen, um von neuem zu bitten: »Wollen Sie
nicht, lieber Hans, den Schleier ein wenig zurückschlagen? Damit ich
erkennen kann, ob Sie etwas Gutes, oder, was ich nicht hoffen will, etwas
Schlimmes zu mir führt? Denn leider wird ja der Goldene Becher fast
ausschließlich zu geschäftlichen Beratungen aufgesucht, nicht wahr,
bester Hans?«
Wie immer, wenn er mit der Ältesten von Maritzken sprach, klang seine
Stimme liebenswürdig und vertrauenerweckend und enthielt nichts von jener
flatterhaften Galanterie, die dem Landmädchen, das die harte Notwendigkeit
zur Arbeit gezwungen hatte, so verleidet war. Gerade diese offene
konventionelle Art hatte dem Geschäftsmann das Vertrauen der Vorsichtigen
erworben, obwohl auch zu ihr allerlei abfällige Urteile über ihren
Freund gedrungen waren. Aber Johanna Grothe verachtete solche heimlich
zugeflüsterten Gerüchte. Ihre unbestechliche Gewissenhaftigkeit verlangte
Beweiskräftiges. Und alles, was sie von Rudolf Bark während jener drei
Jahre erfahren, seitdem die Mutter dort draußen im Schatten der Kirche von
Maritzken ruhte, und auch den Vater eigenes Verschulden oder ein unseliges
Schicksal aus den Reihen der tätig Wirkenden entfernt hatten, nein,
alles was ihr von dem nüchternen klaren Geschäftsmann in selbstloser
Opferwilligkeit während jener schweren Zeit geboten war, es atmete
Sicherheit, Ordnung und ein Gefühl für ihr inneres Bedürfnis nach
Sauberkeit. Und so hatte sich zwischen ihnen nach einer anfänglichen
kühlen Geschäftsverbindung das vertrauliche Verhältnis von Ratgeber und Schützling gebildet.
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