2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 11

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 11


Und wie seine einzelnen Geistesanlagen sich jetzt freier ausleben
und entwickeln durften, so bot diese Periode in Nietzsches Leben
auch jenem tiefsten, fast weiblichen Bedürfnisse seines Inneren nach
persönlicher Anbetung, nach Aufblick, volle Befriedigung, das sich
später so schmerzlich an sich selbst befriedigen musste. Mochte die
Wagner-Schopenhauerische Philosophie, ihrer ganzen Anschauungsweise
nach, ihm ein noch so tiefes Glück gewähren, so war doch das
Werthvollste für ihn hier das persönliche Verhältniss zu Wagner, der
unbedingte Aufblick zu ihm. Seine Begeisterung entzündete sich darin
an einer ausser ihm stehenden Persönlichkeit, in der er gleichsam
das Ideal seines eigenen Wesens verkörpert zu sehen glaubte. Das
Glück eines solchen Glaubens breitet über die Gedanken der ersten
philosophischen Schriften Nietzsches etwas Gesundes, beinahe Naives,
das von der Eigenart seiner späteren Werke scharf absticht. Es ist,
als sähe man ihn erst an dem Bilde seines Meisters Wagner und dessen
Philosophen Schopenhauer sich selbst begreifen und errathen. Denn
mit instinctiver Scheu weist er noch jene Kunst zurück, sein eigenes
Selbst in bewusster Weise zum »Object und Experiment des Erkennenden«
zu machen, die Kunst, an der er später so gross und so krank werden
sollte. »Wie kann sich der Mensch kennen? Er ist eine dunkle und
verhüllte Sache; und wenn der Hase sieben Häute hat, so kann der Mensch
sich siebenmal siebzig abziehen und wird doch nicht sagen können »das
bist du nun wirklich, das ist nicht mehr Schaale«. Zudem ist es ein
quälerisches gefährliches Beginnen, sich selbst derartig anzugraben
und in den Schacht seines Wesens auf dem nächsten Wege gewaltsam
hinabzusteigen. Wie leicht beschädigt er sich dabei so, dass kein Arzt
ihn heilen kann« (Schopenhauer als Erzieher 7). Und deshalb ruft er der
Jugend, die nach Einsicht in ihr eigenes Selbst begehrt, die Worte zu:
»was hat deine Seele hinangezogen, was hat sie beherrscht und zugleich
beglückt? Stelle dir die Reihe dieser verehrten Gegenstände vor dir
auf, und vielleicht ergeben sie dir-- -- --ein Gesetz, das Grundgesetz
deines eigentlichen Selbst. Vergleiche diese Gegenstände, sieh,-- --
--wie sie eine Stufenleiter bilden, auf welcher du bis jetzt zu dir
selbst hingeklettert bist; denn dein wahres Wesen liegt nicht tief
verborgen in dir, sondern unermesslich hoch über dir -- -- --.« (A. a.
O.)
 
Mit einer Offenheit, die ihm später während der Zeit peinlichster
Selbstanalyse ganz abhanden kam, legt er die Motive bloss, aus denen
es ihn von Anfang an inbrünstig nach einer solchen Jüngerschaft
verlangt habe--nach einem überlegenen »Wegweiser zugleich und
Zuchtmeister« (Schopenhauer als Erzieher 14): »-- --darf ich ein wenig
bei einer Vorstellung verweilen, welche in meiner Jugend so häufig
und so dringend war, wie kaum eine andre. Wenn ich früher recht nach
Herzenslust in Wünschen ausschweifte, dachte ich mir, dass mir die
schreckliche Bemühung und Verpflichtung, mich selbst zu erziehen,
durch das Schicksal abgenommen würde: dadurch dass ich zur rechten
Zeit einen Philosophen zum Erzieher fände, einen wahren Philosophen,
dem man ohne weiteres Besinnen gehorchen könnte, weil man ihm mehr
vertrauen würde als sich selbst.« (Schopenhauer als Erzieher 8 f.) Es
ist interessant, zu beobachten, wie er zu diesem Zwecke hinter dem
Denker Schopenhauer einen Idealmenschen Schopenhauer zu entdecken
sucht,[6] und wie er Wagner gegenüber von einer tiefen Verwandtschaft
ihrer beiderseitigen Naturen ausgeht. In der That überrascht die
Uebereinstimmung der von ihm geschilderten natürlichen und geistigen
Anlagen Wagners mit der »Vielstimmigkeit« seiner eigenen Anlagen, wie
sie im ersten Theil dieses Buches dargelegt ist. So sagt er in »Richard
Wagner in Bayreuth« (13): »Jeder seiner Triebe strebte ins Ungemessene,
alle daseinsfreudigen Begabungen wollten sich einzeln losreissen und
für sich befriedigen; je grösser ihre Fülle, um so grösser war der
Tumult, um so feindseliger ihre Kreuzung«.
 
Dann, beim Eintritt der »geistigen und sittlichen« Mannbarkeit
Wagners, gelangt diese »Vielheit« zum Zusammenschluss und zugleich
zu einer eigentümlichen »Spaltung in sich«. »Seine Natur erscheint
in furchtbarer Weise vereinfacht, in zwei Triebe oder Sphären
auseinandergerissen. Zu unterst wühlt ein heftiger Wille in jäher
Strömung, der gleichsam auf allen Wegen, Höhlen und Schluchten ans
Licht will und nach Macht verlangt. (10.)-- -- -- -- -- --Der gesammte
Strom stürzte sich bald in dieses, bald in jenes Thal und bohrte in
die dunkelsten Schluchten:--in der Nacht dieses halb unterirdischen
Wühlens erschien ein Stern hoch über ihm-- --« (12.) »Wir thun einen
Blick in die _andere_ Sphäre Wagners. Es ist die eigenste Urerfahrung,
welche Wagner in sich selbst erlebt und wie ein religiöses Geheimniss
verehrt:-- -- --jene wundervolle Erfahrung und Erkenntniss, dass
die eine Sphäre seines Wesens der andern treu blieb,-- -- --die
schöpferische, schuldlose lichtere Sphäre der dunkelen, unbändigen,
tyrannischen.« (13.)
 
»Im Verhalten der beiden tiefsten Kräfte zu einander, in der Hingebung
der einen an die andere, lag die grosse Nothwendigkeit, durch welche er
allein ganz und er selbst bleiben konnte.« (13.)
 
Gegen den Schluss der Schrift sucht Nietzsche auch die Musik Wagners
aus dieser ihm selbst so verwandten Eigenart heraus zu begreifen, indem
er das musikalische Genie Wagners als eine Art Wiederspieglung von
dessen seelischen Zuständen auffasste:
 
»-- --wie seine Musik sich mit einer gewissen Grausamkeit des
Entschlusses dem Gange des Dramas, der wie das Schicksal unerbittlich
ist, unterwirft, während die feurige Seele dieser Kunst darnach lechzt,
einmal ohne alle Zügel in der Freiheit und Wildniss umherzuschweifen.«
(82.)
 
»Ueber allen den tönenden Individuen und dem Kampfe ihrer
Leidenschaften, über dem ganzen Strudel von Gegensätzen, schwebt,--
--ein übermächtiger symphonischer Verstand, welcher aus dem Kriege
fortwährend die Eintracht gebiert.« (79.)
 
»Nie ist Wagner mehr Wagner, als wenn die Schwierigkeiten sich
verzehnfachen und er in ganz grossen Verhältnissen mit der Lust des
Gesetzgebers walten kann. Ungestüme, widerstrebende Massen zu einfachen
Rhythmen bändigen, durch eine verwirrende Mannigfaltigkeit von
Ansprüchen und Begehrungen Einen Willen durchführen«--. (80.)
 
Aber gerade diese Verwandtschaft ihrer beiderseitigen Naturen musste
Nietzsche schliesslich zu einer Weiterentwicklung seines Geistes
auf einsamen Bahnen führen, sie musste ihn irgend wann einmal von
Wagner losreissen. Sobald Nietzsche in dieser Periode den Höhepunkt
erreicht hat, ist auch schon der erste Schritt vorgezeichnet, der ihn
unvermeidlich abwärts führen musste. Es erscheint als eine völlige
Verkehrung des Sachverhalts, wenn er später in seinem ungerechten
Büchlein »Der Fall Wagner« behauptet: »Mein grösstes. Erlebniss war
eine _Genesung_. Wagner gehört bloss zu meinen Krankheiten.« (Vorwort.)
Denn in das Krankhafte geht seine Entwicklung erst lange nach seinem
Bruch mit Wagner, ja man kann von seiner Wagnerperiode in gewissem
Sinne sagen, dass sie zu seinen überwundenen Gesundheiten gehört habe.
Trotzdem aber darf man das Wahre in seiner Behauptung nicht überhören:
dass er nämlich damals seinen eigenen Höhepunkt noch nicht erreicht
habe, wie gesund und glücklich er auch zu jener Zeit gewesen sei.
 
Diese Gesundheit hätte er sich nur erhalten können um den Preis der
Grösse. Um aus dem Jünger ein Meister zu werden, musste er erst in sein
Selbst einkehren; da aber seine Natur mit zwingender Nothwendigkeit
nach einer Jüngerschaft im religiösen Sinne verlangte, so blieb nur die
eine Möglichkeit, Jünger und Meister in sich selbst zu vereinigen,--
sei es auch, um daran zu leiden, sei es auch, um an einer krankhaften
Verschmelzung Beider zu Grunde zu gehen. Von seinem Weg zur Grösse
gilt Zarathustras Wort: »Gipfel und Abgrund--das ist jetzt in Eins
beschlossen!«
 
Man hat dem Abfall Nietzsches von Wagner die verschiedenartigsten
Deutungen gegeben, man hat ihn aus rein idealen
Beweggründen--unwiderstehlichem Wahrheitsdrang--und auch aus
menschlichen-allzumenschlichen Motiven zu erklären gesucht. In
Wirklichkeit kreuzte sich aber wohl beides darin in ganz ähnlicher
Weise, wie dies schon in der allerersten Wandlung Nietzsches, in seiner
Abwendung vom Glauben, der Fall gewesen war; gerade der Umstand, dass
er volles Genügen, Seelenfrieden und eine Geistesheimat gefunden hatte,
dass ihm Wagners Weltanschauung so weich und glatt anlag wie eine
»gesunde Haut«, kitzelte ihn, sie sich abzustreifen, Hess ihm sein
»Ueberglück als Ungemach« erscheinen, Hess ihn »verwundet werden von
seinem Glück«. Auf diese Art der Entstehungseiner freigeisterischen
Richtung findet seine »Vermuthung über den Ursprung der Freigeisterei«
überhaupt (Menschliches, Allzumenschliches I 232) Anwendung, die durch
allzu starke Empfindungsseligkeit in der gegebenen Weltanschauung
erzeugt werde: »Ebenso wie die Gletscher zunehmen, wenn in den
Aequatorialgegenden die Sonne mit grösserer Gluth als früher auf
die Meere niederbrennt, so mag auch wohl eine sehr starke, um sich
greifende Freigeisterei Zeugniss dafür sein, dass irgendwo die Gluth
der Empfindung ausserordentlich gewachsen ist.«
 
Erst in der selbstgewollten, selbstgesuchten Peinigung wuchs seinem
Geist die streitbare, harte Rüstung, mit der gewappnet er dann gegen
seine alten Ideale zu Felde zog. Gewiss empfand er es als eine
Befreiung, sich mit dem Verzicht auf Erhebendes und Schönes zugleich
aus einer letzten Abhängigkeit loszulösen; aber dennoch stellte diese
Selbstbefreiung einen Act der Entsagung dar; er litt unter ihr, wie man
unter Wunden leidet, auch wenn man sie sich selbst geschlagen hat.
 
Der Bruch vollzog sich endgiltig und für Wagner völlig unerwartet,
als dieser mit seiner Parsifal-Dichtung bei katholisirenden Tendenzen
angelangt--war, während Nietzsches Geistesentwicklung in einer jähen
Wandlung sich der positivistischen Philosophie der Engländer und
Franzosen zugewandt hatte. Der Abfall Nietzsches von Wagner bedeutete
aber nicht nur eine Trennung der Geister, sondern zerriss zugleich ein
Verhältniss, in welchem sich beide so nahe gestanden hatten, wie nur
der Sohn dem Vater, der Bruder dem Bruder nahe steht. Ganz vergessen,
ganz verschmerzen konnte es wohl keiner von ihnen. Noch im Herbst 1882,
ein halbes Jahr vor dem Tode Wagners, wurde während der Bayreuther
Festspiele,--der Erstaufführung des Parsifal--, der Versuch gemacht,
Nietzsche vor dem Meister zu erwähnen. Nietzsche weilte damals in der
Nähe, in dem thüringischen Dörfchen Tautenburg bei Dornburg, und seine
alte Freundin Fräulein von Meysenbug meinte, obschon mit Unrecht, dass
im Fall des Gelingens Nietzsche zu bewegen gewesen wäre, nach Bayreuth
zu kommen und Sich mit Wagner zu versöhnen. Indessen der Versuch
misslang; Wagner verliess in grosser Erregung das Zimmer und verbot,
den Namen jemals wieder vor ihm auszusprechen. Aus ungefähr derselben
Zeit stammt folgender in Facsimile wiedergegebene Brief Nietzsches, der
seine eigene Stellung in dem Bruch mit Wagner beredt genug schildert:
 
[Illustration]
 
[Illustration]
 
[Illustration]
 
[Illustration]
 
Wenn ich diese kurze Schilderung lese, dann sehe ich ihn selbst vor
mir, wie er, während einer gemeinsamen Reise von Italien her durch die
Schweiz, mit mir das Gut Triebschen bei Luzern besuchte, den Ort, an
welchem er mit Wagner unvergessliche Zeiten verlebt hatte. Lange, lange
sass er dort schweigend am Seeufer, in schwere Erinnerungen versunken;
dann, mit dem Stock im feuchten Sande zeichnend, sprach er mit leiser
Stimme von jenen vergangenen Zeiten. Und als er aufblickte, da weinte
er.
 
Mit seiner innern und äussern Loslösung von dem Wagnerthum und der
Philosophie Schopenhauers fällt Nietzsches schwerstes körperliches
Leiden zusammen. So lebte er damals, körperlich wie geistig, unter
Stürmen und Schmerzen, die ihn in die Nähe »leiblichen wie seelischen
Todes« brachten. Seine Krankheit war zum Ausbruch gekommen in
den Jahren gesteigertster Productivität, allzu vielseitiger und
aufreibender Beschäftigung mit wissenschaftlichen Untersuchungen,
philosophischen Problemen, mit der geistigen Bewegung der Gegenwart,
der Kunst Wagners und mit der Musik selbst. Es ist gewiss nicht
zufällig, dass auch der letzte, verhängnissvolle Ausbruch seines
Kopfleidens am Ende der Achtziger Jahre ebenfalls auf eine Periode
ungeheurer geistiger Schaffenskraft und Regsamkeit folgte. Wenn
er sich am gesundesten und rüstigsten, in der Vollkraft seiner
Leistungsfähigkeit fühlte, dann kam er stets der Krankheit am nächsten;
und die Zeiten unfreiwilliger Müsse und Ruhe waren es, die ihm immer
wieder Erholung brachten und die Katastrophe noch aufhielten.
 
Dieser Vorgang spiegelt rein körperlich etwas von jenem eigenthümlich
pathologischen Zuge der »Uebergesundheit« seines Geisteslebens wieder,
welche in Krankheitszustände überzuströmen pflegte, nachdem sie ihren
Höhepunkt erreicht hatte. Aus ihnen rang er sich aber mit der zähen
Kraft seiner ungeheuren Natur stets wieder zur Gesundheit durch.
 
Solange er noch die Schmerzen bezwang und die volle Arbeitskraft
in sich fühlte, konnte selbst das Leiden seiner lebensvollen
Unverwüstlichkeit und Selbstbehauptung noch nichts anhaben. Noch am 12. Mai 1878 schreibt er im Ton getrosten Muthwillens in einem Briefe aus Basel: »Die Gesundheit schwankend und gefährlich, aber--fast hätte ich gesagt: was geht mich meine Gesundheit an?

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