2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 12

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 12



Aber dann folgt, am 14. December 1878, die Hindeutung auf den
voraussichtlich nothwendigen Rücktritt von der Professur: »Mein
Zustand ist eine Thierquälerei und Vorhölle, ich kanns nicht leugnen.
_Wahrscheinlich_ hört es mit meiner akademischen Thätigkeit auf,
_vielleicht_ mit der Thätigkeit überhaupt, _möglicherweise_ mit--
--u. s. w.« Und dann die bittere Klage: »Es scheint mir nichts mehr
zu helfen, die Schmerzen waren gar zu toll.-- -- --Immer heisst es:
Ertrage! Entsage! Ach, man bekommt die Geduld auch satt. Wir haben die
Geduld zur Geduld nöthig!«
 
Endlich, im Tone stiller Ergebung, ein Brief aus Genf, vom 15. Mai 1879:
 
»Mir geht es nicht gut, aber ich bin ein alter routinirter
Leidtragender und werde meine Bürde weiterschleppen,--aber _nicht_
mehr lange, so hoffe ich!«
 
Bald darauf legte er seine Professur nieder, und auf immer umfing
ihn die Einsamkeit, Der Verzicht auf seine Lehrthätigkeit fiel
ihm schwer,--war es doch im Grunde der Verzicht auf jede fernere
strengwissenschaftliche Arbeit. Kopf und Augen,--er nennt sich selbst
einen »Kranken, der jetzt leider auch ein Sieben-Achtel-Blinder
ist, und nicht mehr lesen kann, ausser mit Schmerzen und auf ein
Viertelstündchen« (Brief an Rée)--, hinderten ihn nunmehr dauernd an
einem stofflichen Ausbau seiner Gedanken durch ausgebreitete Studien.
Wie umfangreich und vielseitig er seine Forschungen angelegt hatte,
zeigt die grosse Mannigfaltigkeit seiner an der Universität und am
Pädagogium zu Basel gehaltenen Vorlesungen.
 
Allerdings beschränkte er sich damals noch auf die Erforschung des
Hellenenthums und blieb philosophisch in den Fesseln eines bestimmten
metaphysischen Systems gebunden. Aber seine spätere Selbstbefreiung vom
Zwang dieses Systems hätte unter andern Gesundheitsverhältnissen um so
günstiger wirken müssen. Das Culturbild des griechischen Lebens, aus
dem er damals mit den Augen des Metaphysikers die tiefsten Grundzüge
des Weltbildes und Menschenlebens herauszulesen meinte, würde sich
ihm, auf dem Wege wissenschaftlicher Weiterarbeit, allmählig zu einem
Totalbilde der Weltentwicklung erweitert haben. In der Genialität
seiner feinen Anempfindung und künstlerischen Nachgestaltungskraft
war er geradezu prädestinirt zu geschichtsphilosophischen Leistungen
im Grossen. Sein Drang zum Produciren wäre dadurch gehindert worden,
sich allzusehr ins Subjective zu verlieren; empfand er es doch oftmals
selbst, dass, je beflügelter, drängender und leidenschaftlicher
geartet die Gedanken sind, desto umfassender und strenger der Stoff
sein müsse, an dem sie gebunden, von dem sie beherrscht werden. Daher
begegnen wir in seinen Werken bis zuletzt immer wieder erneuten
fruchtlosen Anstrengungen, sich nach aussen hin auszubreiten und sein
Denken wissenschaftlich zu begründen,--es ist etwas vom vergeblichen
Flügelschlagen eines gefangenen Adlers darin. Er war durch seine
Gesundheit _genöthigt_, sich selbst zum Stoff seiner Gedanken zu
nehmen, sein eignes Ich seinem philosophischen Weltbilde unterzulegen
und dieses aus dem eignen Innern herauszuspinnen. Vielleicht hätte
er im andern Falle etwas so ganz Eigenartiges,--und daher so ganz
Einzigartiges, nicht geleistet. Aber trotzdem vermag man nicht
ohne das tiefste Bedauern auf diesen Wendepunkt in Nietzsches
Schicksal zurückzublicken,--auf diesen unheimlichen _Zwang_ zur
Selbstvereinsamung und Selbstabschliessung,--man vermag sich dem Gefühl
nicht zu entziehen, dass er hier an einer Grösse, die ihm Vorbehalten
war, _vorübergeht_.
 
An dieser Stelle wird es um Nietzsche Nacht. Seine bisherigen Ideale,
seine Gesundheit, seine Arbeitskraft, sein Wirkungskreis,--Alles, was
seinem Leben Licht und Glanz und Wärme gegeben hatte, entschwand ihm
eins nach dem andern. Es war ein ungeheurer Zusammenbruch, unter dessen
Trümmern er wie begraben wurde. Es begannen seine »_Dunkel-Zeiten_.«
(S. Der Wanderer u. sein Schatten 191.)
 
Die jetzt folgenden Schriften sind nicht, wie die bisherigen, aus
einer Fülle herausgeschöpft, die in ihm angesammelt und bereit lag,
von einem Ziel aus verfasst, das er erreicht zu haben glaubte,--sie
erzählen vielmehr davon, wie er sich in seiner Nacht orientirt und
langsam vorwärts tastet, sie sind die qualvollen, kampfvollen, endlich
sieghaften Schritte nach einem dunklen Ziele hin.
 
»Als ich allein weiter ging,« bekennt er viele Jahre später
(Einführende Vorrede zum zweiten Bande von »Menschliches,
Allzumenschliches«) von dieser Zeit, »zitterte ich: nicht lange
darauf, und ich war krank, mehr als krank, nämlich müde, aus der
unaufhaltsamen Enttäuschung über Alles, was uns modernen Menschen
zur Begeisterung übrig blieb-- --«. Aber nicht als einen Klagenden
sehen wir ihn sich durch die Trümmer hindurchkämpfen,--und mit Recht
bezeichnet er dies als den Reiz jener Schriften: »dass hier ein
Leidender und Entbehrender redet, wie als ob er _nicht_ ein Leidender
und Entbehrender sei.« (Ebendaselbst.)
 
Immer wieder wird er zu einem Neu-Schaffenden und Neu-Entdeckenden.
Tief unter die Trümmerwelt steigt er hinab, er untergräbt und
unterwühlt noch ihre letzten Fundamente und späht mit nachtgewöhntem
Auge nach den verborgenen Schätzen und Heimlichkeiten des Erdinnern
aus. Ein zweiter Trophonius, listig aus-und einschlüpfend, weiss er
auch aus der Tiefe noch Aufschluss zu geben über die Welt da droben
und ihr Räthsel zu deuten. So sehen wir ihn: »einen Unterirdischen, an
der Arbeit, einen Bohrenden, Grabenden, Untergrabenden,-- --wie er
langsam, besonnen, mit sanfter Unerbittlichkeit vorwärts kommt, ohne
dass die Noth sich allzusehr, verriethe, welche jede lange Entbehrung
von Licht und Luft mit sich bringt.« Und darüber kommt uns jene
zuversichtliche Frage, mit der er selbst auf diese Jahre zurückblickte,
und die die Betrachtung seiner ferneren Entwicklungsgeschichte uns
beantworten soll: »--Scheint es nicht, dass-- -- --er vielleicht seine
eigne lange Finsterniss haben will, sein Unverständliches, Verborgenes,
Rätselhaftes, weil er weiss, was er auch haben wird: seinen eignen
Morgen, seine-eigne Erlösung, seine eigne Morgenröte?...« (Einführende
Vorrede zur neuen Ausgabe der »Morgenröte«.)
 
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Mit solchen Gefühlen von Selbstmitleid und Selbstbewunderung blickte
Nietzsche auf die Geistesperiode zurück, vor welcher wir nunmehr
stehen. Wir sehen: das Charakterische sind von vornherein die
Kämpfe und Wunden, die es ihn kostete, sich die neue Weltanschauung
anzueignen; es ist das tiefe Erkranken an ihr, aus dem er sich
alsdann seine neue Gesundheit schuf. Seine Originalität musste sich
daher zunächst viel weniger in den Einsichten und Theorien selbst
aussprechen, die sich ihm damals erschlossen, als vielmehr in der
Kraft, mit der er sich vom alten Ideal losriss, um sie erfassen
zu können. Er gelangte eben nicht wie die Meisten zum Bewusstsein
erhöhter Selbständigkeit und eigenster Geistesthätigkeit auf Grund
einer intellectuellen Entwicklung, die uns gleichgiltig und kalt
stimmt gegenüber den verlassenen unreiferen Gedanken. Er gelangte dazu
nur durch eine gewaltsame Empörung gegen das Ehemalige, wobei die
intellectuellen Gründe den Gesinnungswechsel weniger bedingten als
begleiteten. Daher sehen wir anfänglich immer, dass Nietzsche die neuen
Gedanken in einer gewissen Unselbständigkeit so hinnimmt, wie er sie
gerade vorfindet,--dass er sie zunächst wieder kritiklos empfängt; denn
seine ganze Kraft ist inzwischen vollständig in Anspruch genommen von
den allerinnerlichsten Erlebnissen, und die neuen Theorien als solche
bilden,--um einen Lieblingsausdruck von Nietzsche zu gebrauchen,--nur
eine vorläufige »Vordergrundsphilosophie«, während im verborgenen
Hintergründe, den Kämpfen des Seelenlebens, sich der eigentlich
entscheidende Process abspielt.
 
Je fester er mit dem Alten verwachsen ist, je gewaltsamer der Sprung
ins Neue eine vollständige Entwurzelung aus dem heimischen Geistesboden
verlangt, desto tiefer ist die innere Bedeutung der Wandlung. So
kann man in gewissem Sinne sagen, dass gerade die scheinbare innere
Unselbständigkeit, mit welcher Nietzsche sich einer fremden Denkweise
vorläufig hingiebt, eine Kraft heroischester Selbständigkeit verbürgt.
Während die theuersten Gedanken ihn heimlocken, überlässt er sich
wehrlos Gedankenkreisen, denen gegenüber er sich noch als Fremdling,
ja insgeheim noch als Gegner fühlt,--aber mit jenem schönen Wort im
Herzen: »Ein Sieg und eine eroberte Schanze sind nicht mehr deine
Angelegenheit, sondern die der Wahrheit,--aber auch deine Niederlage
ist nicht mehr deine Angelegenheit.« (Morgenröthe 370 »Inwiefern der
Denker seinen Feind liebt.«)
 
Man muss dies im Auge behalten, wenn man Nietzsches unvermitteltem
Gesinnungswechsel gerecht werden und die Entstehung seines
positivistischen Erstlingswerkes begreifen will,--dieses Werkes,
welches so überraschend und unerwartet seinem Geiste entsprang. Erst
im Jahre 1876 war die letzte der »Unzeitgemässen Betrachtungen«,
das in überströmender Begeisterung geschriebene Büchlein »Richard
Wagner in Bayreuth«, erschienen, und schon in dem Winter 1876/1877
entstand die erste seiner Aphorismensammlungen: _Menschliches,
Allzumenschliches_. Ein Buch für freie Geister. (Dem Andenken
Voltaire's geweiht zur Gedächtniss-Feier seines Todestages, des 30.
Mai 1778) nebst einem Anhang: Vermischte Meinungen und Sprüche.
(Verlag von Ernst Schmeitzner, Chemnitz, 1878.) Von keinem Buche gilt
mit grösserm Recht das Wort, das er über die Werke dieser Periode
schrieb: »Meine Schriften reden _nur_ von meinen _Ueberwindungen_:
ich bin darin, mit Allem, was mir feind war.-- -- --Einsam nunmehr,--
--nahm ich-- --Partei _gegen_ mich und _für_ Alles, was gerade mir
wehe that und hart fiel«. (Einführende Vorrede zur Neuen Ausgabe von
Menschliches, Allzumenschliches II, VIII.) Jenes Werk spiegelt den
damaligen Zustand seines Geistes so deutlich wieder, dass es zwei
völlig von einander verschiedene Bestandtheile zu enthalten scheint:
einerseits den noch unselbständigen Positivisten Nietzsche, der uns
in den neu übernommenen Theorien fast nichts Eigenes giebt, sondern
uns nur darüber orientirt, wo er sich jetzt befindet,--in welche
neue »Haut« er sich fast passiv hat kleiden lassen; andererseits
den Kämpfer und Dulder Nietzsche, der sich entschlossen von den
ehemaligen Idealen losringt und uns in diesem Kampfe eine ergreifende
Fülle des originalsten Gedankenlebens durch die Inbrunst offenbart,
mit welcher er sich gegen sein eigenes altes Selbst wehrt und sich
selbst verwundet. Hieraus erklärt sich auch die Leidenschaftlichkeit
und Rücksichtslosigkeit der Angriffe, die er gegen Wagner und dessen
Ansichten richtet. Niemand ist weniger fähig zu ruhig abwägender
Gerechtigkeit als der, welcher seinen Ueberzeugungswechsel gerade
vollzieht,--und dies nicht aus rein intellectuellen Gründen, sondern
selber aus der Tiefe des »Menschlichen, Allzumenschlichen« seiner
eigenen Natur heraus. Keinen Gedanken schleudern wir so weit, so
heftig von uns fort, als denjenigen, von dem wir uns soeben erst in
schmerzlichem Widerstreit getrennt haben, und vor dem wir noch verletzt
und erschüttert, voll geheimer Wunden, die unser Stolz verbirgt,
dastehen: es ist Hass darin als ein Nachklang unvergesslicher Liebe.

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