2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 15

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 15


Wir werden später sehen, wie stark sich Nietzsches letzte Philosophie
gegen diese Auffassung der Mitleids Moral und der Abschwächung des
Instinctlebens richtet, Und wie ihm nur derjenige der höchststehende
Mensch heissen wird, der die ganze Fülle der leidenschaftlichen
Triebe und Instincte in sich birgt,--also der »böse« Mensch. Noch ist
ihm aber ausserhalb der Güte und Selbstlosigkeit kein Menschenwerth
denkbar, weil nur diese die Ueberwindung der thierischen Vergangenheit
darstellen.
 
Deshalb sollte man den Weisen allein zugleich gut nennen, nicht
weil er anders geartet ist als der Unweise, sondern weil die
ursprüngliche menschliche Beschaffenheit in ihm vergeistigt und
dadurch »die Wildheit in seinen Anlagen besänftigt« worden ist
(Menschliches, Allzumenschliches I 56). »Die volle Entschiedenheit
des Denkens und Forschens, also die Freigeisterei, zur Eigenschaft
des Charakters geworden, macht im Handeln massig: denn sie schwächt
die Begehrlichkeit« (Ebendaselbst 464). »Dabei verschwindet immer
mehr-- -- --die übermässige Erregbarkeit des Gemüthes. Er (der
Weise) geht zuletzt wie ein Naturforscher unter Pflanzen, so unter
Menschen herum und nimmt sich selber als ein Phänomen wahr, welches
nur seinen erkennenden Trieb stark anregt« (Ebendaselbst 254). Alle
menschliche Grösse beruht auf einer Verfeinerung des Instinctmässigen;
der höchste Mensch entsteht durch das Abstreifen des Thierischen,
als ein »Nicht-mehr-Thier«, rein negativ gedacht; er ist als das
»dialektische und vernünftige Wesen« das »Ueber-Thier« (Menschliches,
Allzumenschliches I 40), in dem sich »eine neue Gewohnheit, die des
Begreifens, Nicht-Liebens, Nicht-Hassens, Ueberschauens« allmählich
anpflanzen kann (Ebendaselbst 107).
 
Ein »Ueber-Mensch« hingegen, als ein Wesen von _positiven_ neuen
und höheren Eigenschaften, galt Nietzsche damals als vollendete
Phantasterei und seine Erfindung als der stärkste Beweis menschlicher
Eitelkeit. »Es müsste geistigere Geschöpfe geben, als die Menschen
sind, blos um den Humor ganz auszukosten, der darin liegt, dass der
Mensch sich für den Zweck des ganzen Weltendaseins ansieht, und die
Menschheit sich ernstlich nur mit Aussicht auf eine Welt-Mission
zufrieden giebt« (Der Wanderer und sein Schatten 14). »Ehemals suchte
man zum Gefühl der Herrlichkeit des Menschen zu kommen, indem man auf
seine göttliche _Abkunft_ hinzeigte: diess ist jetzt ein verbotener
Weg geworden, denn an seiner Thür steht der Affe, nebst anderem
greulichen Gethier, und fletscht verständnissvoll die Zähne, wie um zu
sagen: nicht weiter in dieser Richtung! So versucht man es jetzt in
der entgegengesetzten Richtung: der Weg, _wohin_ die Menschheit geht,
soll zum Beweise ihrer Herrlichkeit-- -- --dienen. Ach, auch damit
ist es Nichts!-- -- -- -- --Wie hoch die Menschheit sich entwickelt
haben möge--und vielleicht wird sie am Ende gar tiefer, als am Anfang
stehen!--es giebt für sie keinen Übergang in eine höhere Ordnung,
so wenig die Ameise und der Ohrwurm am Ende ihrer »Erdenbahn« zur
Gottverwandtschaft und Ewigkeit emporsteigen. Das Werden schleppt
das Gewesensein hinter sich her: warum sollte es von diesem ewigen
Schauspiele eine Ausnahme geben! Fort mit solchen Sentimentalitäten!«
(Morgenröthe 49). Vermöchte ein Mensch das Leben ganz zu erkennen,
so müsste er »am Werthe des Lebens verzweifeln; gelänge es ihm, das
Gesammtbewusstsein der Menschheit in sich zu fassen und zu empfinden,
er würde mit einem Fluche gegen das Dasein zusammenbrechen,--denn
die Menschheit hat im Ganzen _keine_ Ziele, folglich kann der
Mensch-- -- --nicht darin seinen Trost und Halt finden, sondern seine
Verzweiflung« (Menschliches, Allzumenschliches I 33). Daher lautet
»der erste Grundsatz des neuen Lebens«: »man soll das Leben auf das
Sicherste, Beweisbarste hin einrichten: nicht wie bisher auf das
Entfernteste, Unbestimmteste, Horizont-Wolkenhafteste hin« (Der
Wanderer und sein Schatten 310). Man soll wieder »zum guten Nachbar
der nächsten Dinge« (Der Wanderer und sein Schatten 16) werden und,
anstatt im »Unzeitgemässen« der fernsten Vergangenheit und Zukunft zu
schwelgen, die höchsten Erkenntnissgedanken der eigenen Zeit in sich
verkörpern. Denn es ist der Menschheit nunmehr, anstelle all jener
phantastischen Ziele, »die Erkenntnis der Wahrheit als das einzige
ungeheure Ziel«' (Morgenröthe 45) vor Augen zu stellen. »Dem Lichte
zu--deine letzte Bewegung; ein Jauchzen der Erkenntniss--dein letzter
Laut« (Menschliches, Allzumenschliches I 292). Es ist möglich, dass
ein solcher überhandnehmender Intellectualismus ihr Glück und ihre
Lebensfähigkeit beeinträchtigt, dass er also in einem gewissen Sinne
ein »Decadenz-Symptom« ist,--aber hier deckt sich der Begriff der
Decadenz mit dem der edelsten Grösse: »Vielleicht selbst, dass die
Menschheit an dieser Leidenschaft der Erkenntniss zu Grunde geht!-- --
--Sind die Liebe und der Tod nicht Geschwister?-- --wir wollen Alle
lieber den Untergang der Menschheit, als den Rückgang der Erkenntniss!«
(Morgenröthe 429). Ein solcher »Tragödien-Ausgang der Erkenntniss«
(Morgenröthe 45) wäre gerechtfertigt, denn für sie ist kein Opfer zu
gross: »Fiat veritas, pereatvita!« Dieses Wort fasste damals Nietzsches
Erkenntnissideal zusammen,-- dasselbe Wort, gegen das er sich noch
kurz zuvor mit der grössten Erbitterung gewendet hatte, und das er nur
wenige Jahre später wieder ebenso heftig bekämpfen sollte, so dass die
_Umkehrung_ desselben als die Quintessenz sowohl seiner ursprünglichen
als auch seiner späteren Lehre gelten kann. Das _Lebenwollen_ um jeden
Preis, auch um den Preis der Lebenserkenntniss, --das ist die »neue
Lehre«, die Nietzsche später jener Lebensmüdigkeit entgegenstellte,
deren Einsicht in der Werthlosigkeit alles Geschaffenen gipfelt: »In
der Reife--des Lebens und des Verstandes überkommt den Menschen das
Gefühl, dass sein Vater Unrecht hatte, ihn zu zeugen« (Menschliches,
Allzumenschliches I 386); denn »Jeder Glaube an Werth und Würdigkeit
des Lebens beruht auf unreinem Denken« (Ebendaselbst 33).
 
Verfolgt man Nietzsches Gedanken in dieser Gruppe von Werken, so
kann man deutlich herausempfinden, unter welchem inneren Zwange er
sie zu immer schroffem Consequenzen zuspitzte, und mit welchem Grade
von Selbstüberwindung dies jedesmal geschah. Aber gerade infolge des
_Gegensatzes_, in dem diese Erkenntnissrichtung zu seinem innersten
Bedürfen und Verlangen stand, wurde die Erkenntniss der Wahrheit für
ihn zu einem _Ideal_,--gewann sie für ihn die Bedeutung einer höheren,
von ihm selbst unterschiedenen, ihm schlechthin überlegenen Macht. Der
Zwang, dem er sich damit unterwarf, befähigte ihn ihr gegenüber zu
einem enthusiastischen,--fast _religiösen_ Verhalten und ermöglichte
ihm jene 'religiös motivirte _Selbstspaltung_, deren Nietzsche
bedurfte,--jene Selbstspaltung, durch die der Erkennende auf sein
eigenes Wesen und dessen Regungen und Triebe herabblicken kann wie auf
ein _zweites_ Wesen. Indem er sich so gleichsam der Wahrheit als einer
Idealmacht _opferte_, gelangte er zu einer Affect-Entladung religiöser
Art, die eine viel intensivere Gluth in ihm erzeugen musste, als sie
sich jemals an einer warmen, kampflosen Befriedigung seiner innern
Wünsche und Neigungen hätte entzünden können. So erscheint in dieser
Periode, paradox genug, sein ganzer Kampf _wider den Rausch_, seine
ganze Verherrlichung der Affectlosigkeit lediglich als ein Versuch,
sich durch diese Selbstvergewaltigung zu berauschen.
 
Daher vollzog er seine Wandlung in einem äussersten Extrem; ja man
könnte sagen: die Energie, mit welcher er sich zu einem lauten,
rückhaltlosen »Ja!« der neuen Denkweise gegenüber aufrafft, stelle nur
den Gewaltact eines »Nein!« dar, mit dem er seine eigne Natur und ihre
tiefsten Bedürfnisse zu unterjochen strebt. Jene »vorurteilslose Kälte
und Ruhe des Erkennenden«, sein Ideal in dieser Geistesperiode, begriff
für ihn eine Art sublimer Selbstfolterung in sich, und er ertrug sie
nur, indem er dabei die Leiden seines Seelenlebens entschlossen als
eine Krankheit auffasste, als eine von den »Krankheiten, in denen
Eisumschläge noth thun« (Menschliches, Allzumenschliches I 38),--und
auch wohl thun,--denn »die scharfe Kälte ist so gut ein Reizmittel als
ein hoher Wärmegrad«.
 
Deshalb tritt seine Uebereinstimmung mit R^es Gedankenrichtung nirgends
so vollständig zu Tage als gerade in dem Erstlingswerk »Menschliches,
Allzumenschliches«, zu einer Zeit also, wo er am schwersten unter
seiner Trennung von Wagner und dessen Metaphysik litt. Daher Hess
er sich in seinem übertriebenen Intellectualismus vielfach von der
persönlichen Eigenart Rées leiten. Er formte sich auf Grund derselben
ein ganz bestimmtes Idealbild, das ihm zur Richtschnur diente: die
Ueberlegenheit des Denkers über den Menschen, die Nichtachtung aller
Schätzungen, welche dem Affectleben entspringen, die unbedingte und
rückhaltlose Hingabe an die wissenschaftliche Forschung erstand vor ihm
als ein _neuer und höherer Typus des erkennenden Menschen_ und verlieh
seiner Philosophie ihr eigenthümliches Gepräge.
 
Im Bedürfniss, die rein wissenschaftlichen Gedanken, die er dem
Positivismus entnahm, in einer menschlichen Form verkörpert zu
denken, verfing er sich im Bild einer einzelnen, ganz bestimmten
Persönlichkeit, die ihm selbst durchaus entgegengesetzt war, und
marterte sich damit, die Züge dieses Bildes noch zu verschärfen. Dass
er immer wieder zu seiner Entwickelung der Selbstverneinung, zu seiner
Geistessteigerung der freiwilligen Schmerzen bedurfte, erklärt auch
hier den scheinbaren Widerspruch, dass er, um seine Selbständigkeit
aus dem Bannkreise Wagners und der Metaphysik zu retten, sich wieder
unter fremden Bann stellte, sein Selbst aufzugeben suchte. Denn weder
im Charakter der philosophischen Richtung noch in dem des persönlichen
Verhältnisses lag eine Veranlassung dazu; die Gründe blieben vielmehr
rein innerlicher Natur. Sie allein trieben ihn zum engen Anschluss an
einen Andern und dessen Gedanken; sietrieben ihn, gleichsam aus einem
»Collectivgeist« (Menschliches, Allzumenschliches I 180) heraus zu
denken und zu schaffen. In diesem Sinne konnte er bei Uebersendung
seines »Menschlichen, Allzumenschlichen« dem Freunde schreiben: »Ihnen
gehört's,--den Andern wird's geschenkt!« und gleich darauf hinzufügen:
»Alle meine Freunde sind jetzt einmüthig, dass mein Buch von Ihnen
geschrieben sei und herstamme: weshalb ich zu dieser neuen Vaterschaft
gratulire! Es lebe der Réealismus!«
 
Es stellte sich eben zwischen den beiden Freunden eine eigenthümliche
Art der Ergänzung heraus, die derjenigen ganz entgegengesetzt war,
welche einst zwischen Nietzsche und Wagner bestanden hatte. Für
Wagner, als das Kunstgenie, musste Nietzsche der Denker und Erkennende
sein, der wissenschaftliche Vermittler der neuen Kunstcultur. Jetzt
hingegen war in Rée der Theoetiker gegeben, und Nietzsche ergänzte
ihn dadurch, dass er die praktischen Consequenzen der Theorien zog und
ihre innere Bedeutung für Cultur und Leben festzustellen suchte. An
diesem Punkt, bei der Frage nach dem Werth, schied sich die geistige
Eigenart der Freunde. So hörte der Eine da auf, wo der Andere anfing.
Rée, als Denker von schroffer Einseitigkeit, liess sich durch solche
Fragen nicht beeinflussen; ihm ging der künstlerische, philosophische,
religiöse Geistesreichthum Nietzsches ganz ab, dagegen war er von
Beiden der schärfere Kopf. Mit Staunen und Interesse sah er, wie
seiae fest und sauber gesponaenen Gedankenfäden sich unter Nietzsches
Zauberhänden in lebendige frischblühende Ranken verwandelten. Für
Nietzsches Werke ist es charakteristisch, dass selbst ihre Irrthümer
und Fehler noch eine Fülle von Anregung enthalten, die ihre allgemeine
Bedeutung erhöht, selbst wo jene ihren wissenschaftlichen Werth
verringern. Im Gegensatz dazu ist es für Rées Schriften bezeichnend,
dass sie mehr Mängel als Fehler besitzen; dies drückt wohl am klarsten
aus der Schlusssatz des kurzen Vorwortes zum »Ursprung der moralischen
Empfindungen«: »In dieser Schrift sind Lücken, aber Lücken sind
besser, als Lückenbüsser«! Nietzsches geniale Vielseitigkeit hingegen
erschliesst neue Einblicke gerade in Gebiete, zu denen der Logik der
Schlüssel fehlt, in denen diese sich gezwungen sieht, dem Wissen seine
Lücken zu lassen.
 
Während für Nietzsche die leidenschaftliche Verschmelzung des
Gedankenlebens mit dem gesammten Innenleben charakteristisch war,
bildete einen Grundzug von Rées geistigem Wesen die schroffe und
bis zum Aeussersten gehende Scheidung von Denken und Empfinden.
Nietzsches Genialität entsprang dem lebensvollen Feuer hinter seinen
Gedanken, welches sie in einem so herrlichen Lichte ausstrablen
liess, wie sie es auf dem Wege der logischen Einsicht allein nicht
hätten gewinnen können; Rées Geistesstärke beruhte auf der kalten
Unbeeinflussbarkeit des Logischen durch das Psychische, auf der
Schärfe und klaren Strenge seines wissenschaftlichen Denkens. Seine
Gefahr lag in der Einseitigkeit und Abgeschlossenheit dieses Denkens,
in einem Mangel an jener weitgehenden und feinen Witterung, die mehr
Verständniss als Verstand verlangt; Nietzsches Gefahr lag gerade
in seiner unbegrenzten Anempfindungsfähigkeit und der Abhängigkeit
seiner Verständeseinsichten von allen Regungen und Erregungen seines
Gemüths. Selbst da, wo seine jeweilige Denkweise momentan mit geheimen
Wünschen und Herzenstrieben in Widerspruch zu gerathen schien,
schöpfte er doch seine höchste Erkenntnisskraft aus dem wilden Kampf
und Widerstreit mit solchen Wünschen und Trieben. Rées Geistesart
hingegen schien selbst dann noch jede Betheiligung des Gemüthslebens an
Erkenntnissfragen auszuschliessen, wenn einmal das Erkenntnissresultat
seinem individuellen Empfinden entsprach. Denn der Denker in ihm
blickte überlegen und fremd auf den Menschen in ihm herab und saugte
demselben dadurch gewissermaassen einen Theil seiner Energie aus,
und mit der Energie den Egoismus. An dessen Stelle gab es in diesem
Charakter nichts als eine tiefe, lautere, unbegrenzte Güte des Wesens,
deren Aeusserungen in einem interessanten und ergreifenden Gegensatz
standen zu der kalten Nüchternheit und Härte seines Denkens. Nietzsche
aber besass umgekehrt jene hochfliegende Selbstliebe, die sich selbst
so lange in ihre Erkenntnissideale hinein verlegt, bis sie sich fast
mit ihnen verwechselt und der Welt mit der Begeisterung des Apostels und Bekehrers gegenübertritt.

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