2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 16

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 16


So lag hinter aller theoretischen Uebereinstimmung der Freunde eine
um so tiefere Verschiedenheit des Empfindens unter der Gedankenhülle
verborgen. Was durchaus der natürliche Ausdruck der geistigen Eigenart
des Einen war, war für den Andern der volle Gegensatz der seinigen;
aber eben darum Beiden dasselbe Ideal. Nietzsche schätzte und
überschätzte an Rée, was ihm selbst am schwersten fiel, weil eben für
ihn in einem solchen Selbstzwang wieder die innere Bedeutung seiner
Wandlung lag: »Mein lieber Freund und Vollender!« nennt er ihn deshalb
in einem Briefe, »wie sollte ich es auch aushalten, ohne von Zeit zu
Zeit meine eigene Natur gleichsam in einem gereinigten Metall und
in einer erhöhtem Form zu sehen,--ich, der ich selber Bruchstück--
-- --bin und durch selten, selten gute Minuten in das bessere Land
hinausschaue, wo die ganzen und vollständigen Naturen wandeln!«
 
Aber diese von sich selbst absehende Hingebung ist nur der Weg, auf
dem er sich innerhalb einer neuen Weltanschauung zu einem eigenen
neuen Selbst durchringt; es ist nur der leidende Zustand, in dem er
den aufgenommenen fremden Geistessamen zu seinem eignen lebensvollen
Originalgeist umschafft und ausgestaltet. Es sind wie immer die
Geburtswehen, die seine neue Schöpfung begleiten und es ihm verbürgen,
dass er sich mit; seinem ganzen Wesen und allen seinen Kräften in ihr;
ausleben und erneuern wird.
 
Die Geschichte also, wie Nietzsche sich in dieser Wandlung entwickelt
und sie wieder verlässt, ist wesentlich eine Geschichte seines
innern Erlebens, seiner Seelenkämpfe. In den hierhergehörigen
Werken,--von seinem Erstgeborenen und Schmerzenskinde »Menschliches,
Allzumenschliches« an, bis hinein in die tiefbewegte freudige Stimmung
der »Fröhlichen Wissenschaft«, die gewissermassen schon der folgenden
Geistesperiode angehört, liegt diese Entwicklung vor uns ausgebreitet.
In ihnen allen hat er in einer Reihe von Aphorismensammlungen das »Bild
und Ideal des Freigeistes« aufrichten wollen, des freien Geistes in
seinen Gedanken über alle Gebiete des Wissens und des Lebens und noch
mehr in der Fülle seiner Gedankenerlebnisse selbst. Die Grundstimmung,
aus der ein jedes dieser Bücher hervorgegangen ist, prägt sich
jedesmal als das eigentlich Charakteristische an demselben schon im
Titel aus. Niemals sind Nietzsches Titel zufällig, indifferent oder
abstractem Stoff entnommen, sie sind ganz und gar Bilder innerer
Vorgänge, ganz und gar Symbole. So fasste er auch den Grundinhalt
seiner einsamen Denkerexistenz am Schluss der Siebzigerjahre in
wenigen Worten zusammen, als er auf das Titelblatt des zweiten Werkes
schrieb: »Der Wanderer und sein Schatten« (Chemnitz 1880, Ernst
Schmeitzner). Aus der Hitze der ersten, leidenschaftlichen Kämpfe ist
er hier in die Einsamkeit seiner selbst eingekehrt; aus dem Krieger
wurde ein Wanderer, der statt feindseliger Angriffe auf die verlassene
Geistesheimath nunmehr das Land seiner freiwilligen Verbannung danach
durchforscht, ob der steinige Boden sich nicht anbauen lasse, ob nicht
auch er irgendwo seine fette Erdkrume besitze. Der laute Zwiespalt
mit dem Gegner hat sich in die Stille eines Zwiegesprächs mit sich
selbst aufgelöst: der Einsame hört seinen eigenen Gedanken zu wie
einer mehrstimmigen Unterhaltung, er lebt in ihrer Gesellschaft wie
unter ihrem ihn überall hin begleitenden Schatten. Noch erscheinen
sie ihm düster, einförmig und gespenstisch, ja, so hoch und drohend
emporgewachsen, wie es Schattengebilde nur sind, wenn die Sonne im
Untergang steht. Aber nicht lange mehr, denn seine Nähe streift ihnen
allmählich alles Schattenhafte ab: was Gedanke war und farblose
Theorie, das erhält Klang und Blick, Gestalt und Leben. Ist dies
doch der innere Process seiner Aneignung und Umschaffung des Neuen
und Ungewohnten: dass er ihm Leben einhaucht, dass er ihm zu voller
Lebensfülle verhilft. Man möchte sagen: Nietzsche wählt sich die
düstersten Gedankenschatten aus, um sie mit seinem eigenen Blut zu
nähren, um sie, sei es auch unter Wunden und Verlusten, zuletzt dennoch
zu seinem eigenen lebendigen Selbst verwandelt zu sehen, zu seinem
Doppel-Selbst.
 
In dem Maasse als die Gedanken, mit denen er sich umgiebt, von dem
ganzen Reichthum seines Wesens in sich aufnehmen, in dem Maasse als
sie sich langsam mit der ganzen wunderbaren Kraft und Gluth desselben
sättigen, wird die Stimmung immer gehobener und getroster. Man fühlt:
hier geht Nietzsche Schritt um Schritt den Weg zu sich selbst, beginnt
heimisch zu werden in seiner neuen »Haut«, beginnt sich in seiner
Eigenart auszuleben, ihm ist wie einem Wanderer, der nach harter
Mühsal endlich nach Hause kommt. Er will nicht mehr dasselbe Ziel des
Denkens erreichen, wie sein Genosse Paul Rée, er will _das Seine_:
dies hört man sogar schon aus Briefen heraus, in denen er immer noch
den Theoretiker bewundert: »Immer mehr bewundere ich übrigens, wie gut
gewappnet Ihre Darstellung nach der logischen Seite ist. Ja, so etwas
kann ich nicht machen; höchstens ein bischen seufzen oder singen,--aber
beweisen, dass es Einem wohl im Kopfe wird, das können Sie, und daran
ist hundertmal mehr gelegen.«
 
In solchem »Singen und Seufzen« hatte sich gerade die eigene Genialität
seinem Bewusstsein aufgedrängt, als die Gabe zu den herrlichsten
Klagegesängen und Siegeshymnen, die jemals eine Gedankenschlacht
begleiteten, als die Schöpfergabe, auch noch den nüchternsten, den
hässlichsten Gedanken in innere Musik umzusetzen. Lebte doch der
Musiker in ihm sich nicht mehr auf eigene Kosten aus, er ging mit auf,
ein Einzelton, in der neuen grossen Melodie des Ganzen.
 
Und dies giebt in der That seinen Werken und Gedanken zu dieser Zeit
noch eine ganz besondere Bedeutung: die neue Einheitlichkeit, die
sein Wesen dadurch gewonnen hat, dass alle seine Triebe und Talente
allmählich dem einen grossen Ziele des Erkennens dienstbar gemacht
worden sind. Der Künstler, der Dichter, der Musiker Nietzsche, anfangs
gewaltsam zurückgedrängt und unterdrückt, beginnt wieder sich Gehör
zu verschaffen, aber unterthan dem Denker in ihm und dessen Zielen;--
--dies hat ihn dazu befähigt, von seinen neuen Wahrheiten in einer
Weise zu »singen und zu seufzen« die ihn zum ersten Stilisten der
Gegenwart erhoben haben.[11] Seinen Stil auf Ursachen und Bedingungen
hin prüfen ist daher mehr, als die blosse Ausdrucksform seiner Gedanken
untersuchen: es bedeutet, Nietzsche in seinem innersten Grundwesen
belauschen. Denn der Stil dieser Werke ist entstanden durch die
opferwillige und begeisterte Verschwendung grosser künstlerischer
Talente zu Gunsten des strengen Erkennens,--durch das Bestreben, _nur_
dieses strenge Erkennen und nichts als dieses auszusprechen, aber
nicht in abstracter Allgemeinheit, sondern in individualisirtester
Nüancirung,--so wie es sich in allen Regungen einer ergriffenen und
erschütterten Seele wiederspiegelt. Die lebendigste Innerlichkeit und
Fülle hatte Nietzsche schon in den Werken seiner ersten Geistesperiode
in vollendete Form zu giessen verstanden,--aber erst jetzt lernte er,
sie mit der Schärfe und Kälte nüchternen Denkens zu verbinden: wie ein
goldener Ring umschliesst dieses die Lebensfülle in einem jeden seiner
Aphorismen und verleiht ihnen gerade hierdurch ihren eigenthümlichen
Zauber. So schuf Nietzsche gewissermaassen einen _neuen Stil_ in der
Philosophie, die bis dahin nur den Ton des Wissenschafters oder die
dichterische Rede des Enthusiasten vernommen hatte: er schuf den Stil
des _Charakteristischen_, der den Gedanken nicht nur als solchen,
sondern mit dem ganzen Stimmungsreichthum seiner seelischen Resonanz
ausspricht, mit all den feinen und geheimen Gefühlsbeziehungen, die ein
Wort, ein Gedanke weckt. Durch diese Eigenart meistert Nietzsche nicht
nur die Sprache, sondern hebt zugleich über die Grenze sprachlicher
Unzulänglichkeit hinaus, indem er durch die Stimmung miterklingen
lässt, was sonst im Worte stumm bleibt.
 
In keines Andern Geist aber konnte das bloss Gedachte so völlig zu
etwas wirklich Erlebtem werden, wie in Nietzsches Geist, denn keines
Andern Leben ging je so völlig darin auf, mit dem ganzen innern
Menschen am Denken schöpferisch zu werden. Seine Gedanken hoben sich
nicht, wie es gewöhnlich der Fall ist, vom wirklichen Leben und dessen
Ereignissen _ab_: sie _machten_ vielmehr das eigentliche und einzige
Lebensereigniss dieses Einsamen _aus_. Und dem gegenüber erschien ihm
auch der lebensvollste Ausdruck, den er für sie fand, noch blass und
leblos: »Ach, was seid ihr doch, ihr meine geschriebenen und gemalten
Gedanken!« so klagt er in dem schönen Schluss-Aphorismus von
»Jenseits von Gut und Böse« (296). »Es ist nicht lange her, da wart ihr
noch so bunt, jung und boshaft, voller Stacheln und geheimer Würzen,
dass ihr mich niesen und lachen machtet--und jetzt?-- -- --Welche
Sachen schreiben und malen wir denn ab, wir Mandarinen mit chinesischem
Pinsel, wir Verewiger der Dinge, welche sich schreiben _lassen_, was
vermögen wir denn allein abzumalen? Ach, immer nur Das, was eben welk
werden will und anfängt, sich zu verriechen! Ach, immer nur abziehende
und erschöpfte Gewitter und gelbe späte Gefühle! Ach, immer nur Vogel,
die sich müde flogen und verflogen und sich nun mit der Hand haschen
lassen,--mit _unserer_ Hand!--Und nur euer _Nachmittag_ ist es, ihr
meine geschriebenen und gemalten Gedanken, für den allein ich Farben
habe, viel Farben vielleicht, viel bunte Zärtlichkeiten und fünfzig
Gelbs und Brauns und Grüns und Roths:--aber Niemand erräth mir daraus,
wie ihr in eurem Morgen aussahet, ihr plötzlichen Funken und Wunder
meiner Einsamkeit, ihr meine alten, geliebten-- -- --_schlimmen_ Gedanken!«
 
Es gehört ganz wesentlich dazu, dass man sich Nietzsche bei
seinen stillen und einsamen Wanderungen vorstelle, ein paar
Aphorismen mit sich herumtragend als das Resultat langer stummer
Selbstunterhaltung,--nicht über den Schreibtisch gebückt, nicht mit der
Feder in der Hand:
 
 
»Ich schreib nicht mit der Hand allein:
Der Fuss will stets mit Schreiber sein.«
 
 
singt er in der Fröhlichen Wissenschaft (Scherz, List und Rache 52).
Gebirge und Meer umgeben ihn bei seinen Gedanken-Wandelungen als der
wirkungsvolle Hintergrund für die Gestalt dieses Einsamen. Am Hafen
von Genua träumte er seine Träume, sah eine neue Welt am verhüllten
Horizont empordämmern in der Morgenröthe und fand das Wort seines
Zarathustra (II 5): »-- --aus dem Überflüsse heraus ist es schön
hinaus zu blicken auf ferne Meere.« Im Engadiner Gebirge aber erkannte
er sich selbst wie in einer Wiederspiegelung von Kälte und Gluth,
aus deren Mischung alle seine Kämpfe und Wandlungen hervorgegangen
waren. »In mancher Natur-Gegend entdecken wir uns selber wieder, mit
angenehmem Grausen; es ist die schönste Doppelgängerei,« sagt er davon
(Der Wanderer und sein Schatten 338), »-- -- --in dem gesammten--
-- -- Charakter dieser Hochebene, welche sich ohne Furcht neben die
Schrecknisse des ewigen Schnees hingelagert hat, hier, wo Italien
und Finnland zum Bunde zusammengekommen sind und die Heimath aller
silbernen Farbentöne der Natur zu sein scheint: Von diesem Ort mit
seinen »kleinen, abgelegenen Seen,« aus denen ihn »die Einsamkeit
selber mit ihren Augen anzusehen schien,« sagt er auch in einem Briefe: Seine Natur ist der meinigen verwandt, wir wundem uns nicht über einander, sondern sind vertraulich zusammen.

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