2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 17

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 17



Aeusserlich betrachtet, hatte ihn allerdings sein Kopf- und Augenleiden
gezwungen, rein aphoristisch zu arbeiten, aber auch seiner geistigen
Eigenart entsprach es immer mehr, seine Gedanken nicht in der
fortlaufenden Kette vor sich zu sehen, wie man sie, systematisch
arbeitend, auf dem Papier fixirt, sondern ihnen zuzuhören wie in einem
Gespräch zu Zweien, einem immer wieder abgebrochenen und immer wieder
aufgenommenen, von Einzelheiten ausgehenden Dialog,--der seinen »Ohren
für Unerhörtes« (Also sprach Zarathustra I 25), vernehmbar wurde gleich
gesprochenem Wort.
 
»Schreiben kann ich nicht, obschon ich es herzlich gern thun möchte,«
schreibt er auf einer Postkarte (Januar 1881 aus Italien). »Ach, die
_Augen_! Ich weiss mir damit gar nicht mehr zu helfen, sie halten mich
förmlich _mit Gewalt ferne_ von der Wissenschaft--und was habe ich
ausserdem! Nun, die Ohren! könnte man sagen.« Aber mit diesem Lauschen
und Horchen nahm er es sehr genau, und es giebt keinen Satz in seinen
Büchern, auf den nicht Anwendung findet, was er einmal in einem seiner
Briefe schreibt: »Ich bin immer von sehr feinen Sprachdingen occupirt;
die letzte Entscheidung über den Text zwingt zum scrupulösesten »Hören«
von Wort und Satz. Die Bildhauer nennen diese letzte Arbeit: ad unguem.«
 
Als Nietzsche im Jahre 1881 sein drittes Werk auf positivistischer
Grundlage, die »_Morgenröthe_« (Chemnitz 1881, Ernst Schmeitzner),
vollendete, da war in ihm der Process einer Verlebendigung und
Individualisirung der aufgenommenen Theorien schon vollkommen
zum Abschluss gelangt Dieses Werk und in ebenso hohem Grade das
nächstfolgende erscheinen mir daher als die bedeutendsten und
gehaltvollsten seiner mittleren Geistesperiode. Denn in ihnen ist
es ihm gelungen, praktisch den übertriebenen Intellektualismus zu
überwinden, dem er sich in »Menschliches, Allzumenschliches« noch
ohne Weiteres in freiwilliger Selbstmarterung unterworfen hatte,--
es ist ihm gelungen, denselben innerlich und individuell zu ergänzen
und menschlich zu vertiefen, ohne die wissenschaftliche Grundlage,
auf die er sich gestellt hatte, unter den Füssen zu verlieren,--ohne
die Strenge der Erkenntnissmethode zu lockern, mit der er seinen
Problemen nachging. Nietzsches eigene Natur hatte ihm geholfen,
die Einseitigkeiten und Härten seiner praktischen Philosophie zu
widerlegen, und einen lebensvolleren Typus des Erkennenden aus
den Gedankenkämpfen der letzten Jahre herauszugestalten. Denn die
Unterordnung des Affektlebens unter das Denken hatte sich, wie wir
sahen, in Nietzsche vermöge einer so gewaltigen inneren Hingebung an
das Wahrheitsideal vollzogen, dass gerade dadurch ihm die _Bedeutung
des Affectlebens für das Denken aufgehen musste_. Unmerklich verschob
sich ihm damit der Hauptaccent von dem rein intellectuellen Vorgang
auf die Macht des Gefühls, die sich in den Dienst auch noch der
nüchternsten und hässlichsten Wahrheiten zu stellen vermag, bloss weil
sie _Wahrheiten_ sind. So beginnt denn schon wieder an Stelle der
Verstandeskraft die Seelenkraft zu dem zu werden, was den Rang des
Denkers als Menschen bestimmt. Und es ist leicht zu sehen, wie auf
diesem Wege allmählich der Werth einer ganz neuen Denkweise Nietzsche
aufgehen musste,--einer allem Verstandesmässigen überhaupt abholden
Philosophie.
 
In keinem seiner Bücher lassen sich so sehr wie in der »Morgenröthe«
die feinen Uebergänge und Gedankenverbindungen nachweisen, die von
seiner positivistischen Geistesperiode in die darauf folgende einer
mystischen Willensphilosophie hinüberleiten. Der _Uebergang_ von
einem Alten zu einem Neuen macht, ähnlich wie im »Menschlichen,
Allzumenschlichen«, den hohen Reiz und Werth des Buches aus. Aber
in ganz entgegengesetzter Weise wie dort, wo wir _theoretisch_ der
vollendeten Thatsache eines Gesinnungswechsels gegenüberstehen, in den
sich das leidende Gefühl erst allmählich hineinzufinden sucht. Hier
dagegen wird jede Möglichkeit einer _Theorien-Aenderung_ noch mit
Heftigkeit zurückgewiesen als »Versuchungen des wissenschaftlichen
Menschen«, während die Seele schon begehrlich und tastend ihre
Fühlhörner immer wieder nach dem Verbotenen ausstreckt, wie sehr
der Verstand es ihr auch verwehrt. So sind es Aeusserungen leisen
Schwankens, einzelne Ausbrüche tief erregten Seelenlebens, denen wir
ahnungsvoll das Zukünftige entnehmen, weil sie in diesem Gemüthszustand
eine ungewollte Naivetät und Unmittelbarkeit besitzen, die Nietzsche
sonst vollständig abgeht. Hier _verräth_ er sich fortwährend, ohne
es zu ahnen, indem er den Anlass zu jeder »Versuchung« prüft und
tadelt,--er entblösst das Geheime und Verborgene seines Innenlebens,
sodass wir zu sehen glauben, wie sein vergangenes und sein zukünftiges
Selbst mit einander hinter dem Rücken der scheinbar unangetasteten
Verstandesphilosophie das Bekenntniss heimlichen Höffens und Verlangens
austauschen. In der Auflehnung gegen dieses heimliche Hoffen und
Verlangen ruft er sich in dem Aphorismus »Nicht die Leidenschaft zum
Argument der Wahrheit machen!« (Morgenröthe 543) die Worte zu: »Oh,
ihr-- -- --edlen Schwärmer, ich kenne euch!-- -- -- -- --Bis zum Hass
gegen die Kritik, die Wissenschaft, die Vernunft treibt ihr es!--
-- --Farbige Bilder, wo Vernunftgründe noth thäten! Gluth und Macht
der Ausdrücke!-- -- --Ihr versteht euch darauf, zu beleuchten und zu
verdunkeln, und mit Licht zu verdunkeln!-- -- -- -- --Wie dürstet ihr
darnach, Menschen in diesem Zustande --es ist der der Lasterhaftigkeit
des Intellectes --zu finden und an ihrem Brande eure Flammen zu
entzünden!-- -- --« Erst in Nietzsches letzter Philosophie begreift
man ganz, wie sehr er selbst es ist, an den er die Mahnung richtet:
»Nichts wäre verkehrter, als abwarten wollen, was die Wissenschaft über
die ersten und letzten Dinge einmal endgültig feststellen wird,--
-- --Der Trieb, auf diesem Gebiete durchaus _nur Sicherheiten_ haben
zu wollen, ist ein _religiöser Nachtrieb_, nichts Besseres,--« (Der
Wanderer und sein Schatten 16).
 
Aber inmitten zahlreicher derartiger Auflehnungen gegen sich selbst,
bricht dann auch vereinzelt der Ueberdruss durch an der strengen
Selbstbescheidung des Verstandes-Erkennens und an--»der Tyrannei
des Wahren«:--»ich wüsste nicht, warum die Alleinherrschaft und
Allmacht der Wahrheit zu wünschen wäre;-- -- -- --man muss sich
von ihr im Unwahren ab und zu _erholen_ können,--sonst wird sie uns
langweilig,--« (Morgenröthe 507). Und sehnsüchtig ruft er sogar den
von ihm geschmähten Künstlern zu: »Oh, wollten doch die Dichter wieder
werden, was sie einstmals gewesen sein sollen:--_Seher_, die uns Etwas
von dem _Möglichen_ erzählen! Wollten sie uns von den _zukünftigen
Tugenden_ Etwas vorausempfinden lassen! Oder von Tugenden, die nie auf
Erden sein werden, obschon sie irgendwo in der Welt sein könnten,--von
purpurnglühenden Sternbildern und ganzen Milchstrassen des Schönen! Wo
seid ihr, ihr Astronomen des Ideals?« (Morgenröthe 551).
 
So sehen wir in der »Morgenröthe« nicht nur, wie er gegen die heimlich
in ihm aufsteigenden Gelüste ankämpft, sondern wie er ihnen auch
schon nachgiebt, in der hingegebenen Sehnsucht nach etwas Neuem, in
der Ahnung eines vor ihm aufsteigenden Erkerintnisszieles. Beides
ist in charakteristischer Weise mit einander vermischt, insofern ja
die höchste Gluth der Seele, die Nietzsche für ein Erkenntnissideal
aufwendet, bei ihm stets den bereits beginnenden Niedergang desselben
Ideals anzeigt, dem er sich zur Zeit der Unbeirrtesten Ueberzeugung
von dessen Wahrheit und Nothwendigkeit nur mit Widerstreben gefügt
hatte. Dies ist die »Sonnenbahn der Idee«, wie er sie selbst auf Grund
eigener Erfahrung geschildert hat: »Wenn eine Idee am Horizonte eben
aufgeht, ist gewöhnlich die Temperatur der Seele dabei sehr kalt.
Erst allmählich entwickelt die Idee ihre Wärme, und am heissesten ist
diese-- --, wenn der Glaube an die Idee schon wieder im Sinken ist.«
(Der Wanderer und sein Schatten 207.) Sich selbst aber charakterisirt
er in derselben Schrift (331) mit den Worten: »Jene Personen, welche
langsam beginnen und schwer in einer Sache heimisch werden, haben
nachher mitunter die Eigenschaft der stätigen Beschleunigung,--sodass
zuletzt Niemand weiss, wohin der Strom sie noch reissen kann.«
 
Die Macht der langsam und schwer, aber um so verhängnissvoller und
unwiderstehlicher entzündeten Innerlichkeit,-- diese überschäumende
Fülle, musste ihn schliesslich dem Positivismus entfremden und zu neuen
Gedankenfernen führen. Schon sieht er im vollsten Gegensatz zur früher
verherrlichten »Affectlosigkeit« sein Ideal darin, dass der Erkennende
»der Mensch Eines hohen Gefühls, die Verkörperung einer einzigen
grossen Stimmung« sei; es soll ihm »eben Das der gewöhnliche Zustand«
sein, »was bisher als die mit Schauder empfundene Ausnahme hier und da
einmal in unseren Seelen eintrat: eine fortwährende Bewegung zwischen
hoch und tief und das Gefühl von hoch und tief, ein beständiges
Wie-auf-Treppen-steigen und zugleich Wie-auf-Wolken-ruhen«. (Fröhliche
Wissenschaft 288.) Vor einem solchen »Erkennenden« steht jetzt als
Lockung" was ihm ehemals als Gefahr galt: »Einmal den Boden verlieren!
Schweben! Irren! Toll sein!« (Fröhliche Wissenschaft 46.) Und in der
»Morgenröthe« (271) heisst es unter der Ueberschrift »Feststimmung«:
»Gerade für jene Menschen, welche am hitzigsten nach Macht streben, ist
es unbeschreiblich angenehm, sich _überwältigt_ zu fühlen! Plötzlich
und tief in ein Gefühl, wie in einen Strudel hinabzusinken! Sich die
Zügel aus der Hand reissen zu lassen, und einer Bewegung wer weiss
wohin? zuzusehen!«
 
In einer solchen Feststimmung des Ueberflusses und Ueberschusses,
langsam aus den nüchternsten Erkenntnissen herausgeschöpft und
angesammelt,--in einem solchen Zauber der Ausspannung und Erholung
nach langem Arbeitstag, gleitet Nietzsche in eine Welt der Mystik
hinein. In einer solchen Selbstüberwältigung besiegt der eigene
Sieg den Sieger. Es ist das »_Glück des Gegensatzes_«, das er darin
sucht, des Gegensatzes zum Kühlen, Strengen, Verstandesmässigen der
positivistischen Denkweise: die Erkenntniss neu gegründet auf die
begeisterten Eingebungen des Gefühls, des Affectlebens, und unterthan
gemacht dem Schaffensdrang des Willens.
 
Diese »Morgenröthe« ist kein blasses, kaltes, rückwärts leuchtendes
Aufklärungslicht mehr,--hinter ihr erhebt sich schon eine wärmende,
lebenzeugende Sonne, und während er selbst noch im grauen Zwielicht
der Dämmerung dasteht, sind seine Augen schon sehnsüchtig auf diesen
hellen verheissenden Schein am Horizont gerichtet. »Es gibt so viele
Morgenröthen, die noch nicht geleuchtet haben!« schrieb er mit den
Worten des Rig-veda als Motto auf das Titelblatt, ohne dass er noch
zu glauben wagte, er selbst sei berufen, ein solches Leuchten am
Himmel der Erkenntniss zu entzünden, Das Buch enthält »Gedanken über
die moralischen Vorurtheile«, wie dem Titel ergänzend beigefügt ist,
und damit will es scheinbar noch dem zersetzenden, negirenden Geiste
der vorhergehenden Werke angehören; aber darüber schwebt schon ein
träumender, hoffender Geist, der zwar nur hier und da vollen Ausdruck
findet, aber schweigend sinnt, wie es zu ermöglichen wäre, aus allen
_Vorurtheilen_ heraus zu neuen _Werthurtheilen_ zu gelangen, wie es
möglich wäre, zum Schöpfer neuer Werthe zu werden. »Wenn endlich auch
alle Bräuche und Sitten vernichtet sind, auf welche die Macht der
Götter, der Priester und Erlöser sich stützt, wenn also die Moral
im alten Sinne gestorben sein wird: dann kommt--ja was kommt dann?«
(Morgenröthe 96.)
 
Der Sturz, der Abbruch des Alten ist eben kein Ende mehr, vielmehr ein
Ausblick, ein Anfang und ein Appell an alle besten Geisteskräfte. »Es
kommt eben noch etwas,--die Hauptsache kommt noch!« verspricht die
Morgenröthe und wird immer heller und röther.
 
Ein Jahr nach Veröffentlichung der »Morgenröthe« schrieb Nietzsche denn
auch zum ersten Mal wieder über neue philosophische Hoffnungen und Fempläne:

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