2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 19

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 19


das Bedürfniss, sich systematisch auszubreiten, als gelte es, den
verschiedensten Wissensgebieten die Beweise für die Richtigkeit seines
schöpferischen Gedankens zu entnehmen, in Wahrheit jedoch nur ein
gewaltsames Raumschaffen für denselben: ein so souveränes Ausleben
seiner Innerlichkeit, dass sich ihm unwillkürlich das ganze Weltbild zu
einer Wiege seiner Schöpfung umgestaltet.
 
Dementsprechend gewinnen von jetzt an alle seine Lehren, so paradox
dies klingen mag, einen um so persönlicheren Charakter, je
allgemeiner gefasst sie erscheinen, je allgemeingiltigere Bedeutung
sie beanspruchen. Zuletzt verbirgt sich ihr Hauptkern unter so
vielen Schalen, ihr letzter Geheimsinn unter so vielen Masken, dass
die Theorien, in denen er zum Ausdruck kommt, fast nur noch Bilder
und Symbole inneren Erlebens sind. Endlich fehlt jeder Wille zur
Uebereinstimmung und zur Verständigung mit Anderen,--»Mein Urtheil
ist mein Urtheil: dazu hat nicht leicht auch ein Anderer das Recht«
(Jenseits von Gut und Böse 43)--und doch wird gleichzeitig dieses
Urtheil zum Weltgesetz decretirt, zu einem Befehl an die ganze
Menschheit. Denn so vollständig verschmilzt für Nietzsche zum Schlüsse
innere Eingebung und Aussen-Offenbarung, dass er in seinem Innenleben
das Weltganze zu umfassen wähnt, und sein Geist in mystischer Weise
den Inbegriff des Seienden in sich zu enthalten, aus sich zu gebären
glaubt.« Für mich--wie gäbe es ein Ausser-mir? Es gibt kein Aussen!«
(Also sprach Zarathustra III 95.)
 
Entsprechend dem Umstande, dass Nietzsches letzte Schaffensperiode ganz
und gar in der philosophischen Ausdeutung seines eigenen Seelenlebens
besteht, nennt er »Die fröhliche Wissenschaft«, das Werk, welches
sie einleitet, in einem seiner Briefe »das Persönlichste unter
meinen Büchern«, und klagt noch kurz vor dem Druck der »Fröhlichen
Wissenschaft« in einem anderen Briefe: »Das Manuscript erweist sich
seltsamer Weise als unedirbar. Das kommt vom Princip des mihi ipsi
scribo!«
 
In der That hat er wohl niemals so völlig für sich selbst
geschrieben, als zu jener Zeit, wo er im Begriffe stand, seiner
ganzen Weltbetrachtung sein eigenes Selbst unterzulegen, Alles aus
seinem eigenen Selbst heraus zu erklären. So ist die Mystik der neuen
Grundlehren Nietzsches wohl schon hier enthalten, aber noch verborgen
im rein persönlichen Element, aus dem sie hervorging. In Folge dessen
bilden diese Aphorismen Monologe, monologischer gemeint als sonst
irgend etwas in Nietzsches Werken, gleichsam halblaute >Zwischenreden«,
ja oft nur gedacht als ein stummes geistiges Mienenspiel, das weit mehr
verstecken als verrathen soll. Die Gedanken der »Zukunftsphilosophie«
reden schon daraus zu uns, aber sie umgeben uns noch gleich
verschleierten Gestalten, deren Blick dunkel und räthselhaft auf uns
ruht, und dies nicht, weil sie, wie in der »Morgenröthe«, nur Ahnungen
zum Ausdrücke bringen und noch der festen Züge und sicheren Umrisse
entbehren, sondern weil ihnen mit Absicht ein Schleier übergeworfen und
Schweigsamkeit anbefohlen wurde. Mit dem Finger an der Lippe scheint
Nietzsche hier vor uns zu stehen, und gerade daraus entnehmen wir, dass
er uns Viel, dass er uns Alles zu bekennen wünscht.
 
Aber es wird ihm schwer, ohne Rückhalt davon zu sprechen, weil
auch in diesem Falle sein Selbstbekenntniss zugleich wieder ein
Schmerzensbekenntniss ist. Und in einem viel tieferen, viel
schmerzvolleren Sinn als bisher führt uns diesmal die Philosophie
Nietzsches hinein in die verborgenen Leiden und Qualen seines Erlebens,
sodass, im Vergleiche hierzu, selbst die harten Kämpfe und Entsagungen
seiner positivistischen Periode uns harmlos und gefahrlos Vorkommen
werden. Auf den ersten Blick erscheint dies als ein Widerspruch, da
Nietzsches letzte Philosophie gerade aus dem Drange he'rvorgegangen
ist, an Stelle der ihm widerstrebenden positivistischen Theorien eine
Weltanschauung aufzubauen, die seinem innersten Verlangen völlig
entspräche. Insofern beginnt er in der That seine letzte Wandlung
unter Jauchzen und Frohlocken. Aber man darf nicht vergessen, dass
diese äusserste Selbsteinkehr, dieser Versuch, das Weltbild aus seinem
Eigenbild zu construiren, Nietzsches_ Leiden an sich selbst zu Tage_
treten lässt, aus dem sein tiefster Wesensgrund besteht. Bisher hat er
in seinen Erkenntnisswandlungen diesem Leiden an sich selbst dadurch
zu entrinnen gesucht, dass er den einen Theil seines Selbst durch
den anderen quälte und tyrannisirte, aber bei allen Wandlungen des
theoretischen Menschen blieb unverwandelt und sich ewig gleich der
praktische Mensch mit seinen inneren Nöthen. Jetzt erst, wo Nietzsche
sich nicht mehr zwingt und kasteit, jetzt erst, wo er seiner Sehnsucht
freie Worte giebt, begreift man ganz, in welcher Qual er lebte, hört
man endlich den Schrei nach _Erlösung von sich selbst_,--nach seinem
_Wesens-Gegensatz_, nach vollständiger und endgiltiger Verwandlung,
Umwandlung,-- nicht einzelner Erkenntnisse nur, sondern des ganzen, des
innersten Menschen. Man sieht förmlich, wie er hier, in Verzweiflung,
aus sich selbst heraus und nach aussen greift, nach einem erlösenden
Ideal, welches er aus einem solchen Wesens-Gegensatz zu formen sucht.
Daher liess sich voraussehen: sobald Nietzsche seinen Seeleninhalt
frei zum Weltinhalt umschuf, sobald er seinem intimsten Erleben
die Weltgesetze entnahm, musste seine Philosophie ein tragisches
Weltbild zeichnen: die Menschheit musste von ihm aufgefasst werden
als eine an sich selbst leidende, an ihrer eigenen Entwicklung
hoffnungslos krankende Zwittergattung, deren Daseinsberechtigung gar
nicht in ihr selbst, sondern in einer schlechthin anderen, höheren,
Uebermenschen-Gattung liege, zu der sie nur eine Brücke bilden solle.
Das Endziel der Menschheit sei Untergang und Selbstaufopferung zu
Gunsten dieses ihr entgegengesetzten Ideals.
 
Erst am Eingang zu Nietzsches letzter Philosophie wird daher völlig
klar, bis zu welchem Grade es der religiöse Grundtrieb ist, der sein
Wesen und Erkennen stets beherrschte. Seine verschiedenen Philosophien
sind ihm ebensoviele Gott-Surrogate, die ihm helfen sollen, ein
mystisches Gott-Ideal ausser seiner selbst entbehren zu können. Seine
letzten Lehren enthalten nun das Eingeständniss, dass er dies nicht
vermag. Und gerade deshalb stossen wir in seinen letzten Werken
wieder auf eine so leidenschaftliche Bekämpfung der Religion, des
Gottesglaubens und des Erlösungsbedürfnisses, weil er sich ihnen so
gefährlich nähert. Hier spricht aus ihm ein Hass der Angst und der
Liebe, mit dem er sich seine eigene Gottesstärke einreden, seine
menschliche Hilflosigkeit ausreden möchte. Denn wir werden sehen,
kraft welcher Selbsttäuschung und geheimen List Nietzsche endlich den
tragischen Conflict seines Lebens löst,--den Conflict, des Gottes zu
bedürfen und dennoch den Gott leugnen zu müssen. Zuerst gestaltet
er mit sehnsuchtstrunkener Phantasie, in Träumen und Verzückungen,
visionengleich, das mystische Uebermenschen-Ideal, und dann, um
sich vor sich selbst zu retten, sucht er, mit einem ungeheuren
Sprung, sich mit demselben zu identificiren. So wird er zuletzt zu
einer Doppelgestalt, halb kranker, leidender Mensch, halb erlöster,
lachender Uebermensch. Das Eine ist er als Geschöpf, das Andere
als Schöpfer, das Eine als Wirklichkeit, das Andere als mystisch
gedachte Ueberwirklichkeit. Oft aber, während man seinen Reden darüber
zuhört, empfindet man mit Grauen, dass er als Gegenstand der Anbetung
hinstellt, was in Wahrheit auch für ihn nicht vorhanden ist, und man
gedenkt seines Wortes, »-- -- --wer weiss, ob sich nicht bisher in
allen grossen Fällen eben das Gleiche begab: dass die Menge einen Gott
anbetete,--und dass der »Gott« nur ein armes Opferthier war!« (Jenseits
von Gut und Böse 269.)
 
»Das Opferthier als Gott« ist wahrlich ein Titel, der über der
letzten Philosophie Nietzsches stehen könnte und am deutlichsten den
inneren Widerspruch enthüllt, der in ihr liegt,--jene Exaltation
von Schmerz und Wonne, in der beide ununterscheidbar in einander
fliessen. Wir haben vorher gesehen, inwiefern es eine Feststimmung
war, in der Nietzsche in seine letzte Geisteswandlung hinüberglitt,--
eine Feierstimmung träumenden Rausches und Ueberflusses: wir sehen
jetzt den Punkt, an welchem die Gewalt der inneren Erregung in den
Schmerz überschlägt. Er war in jener ganzen Zeit, selbst in seinem
Alltagsleben, erfüllt von einer Stimmung äusserster seelischer
Ueberwältigung, in der man sogar der Ausgelassenheit fähig ist, aber
nur weil alle Nerven beben, in der man leicht bis zum Scherzen und
Lachen gelangt, aber nur mit zitternden Lippen. Bedurfte es doch
jedesmal für Nietzsche einer solchen Verschlingung von Wonne und Weh,
von Begeisterung und Leiden, um ihn einer geistigen Wiedergeburt
entgegenzuführen. Sein Glück musste erst zum »Ueberglück«, und in
diesem Uebermass zum eigenen Gegner und Gegensatz geworden sein;
Frieden und Heimatgefühl, wo er sie einmal innerhalb eines gewonnenen
Erkenntnissgebietes mühsam errungen hatte, mussten ihn erst zu
Selbstverwundung und Selbstvertreibung gereizt haben, damit sein Geist
in sich selber schwelgen und sich in neuen Schöpfungen entlasten konnte.
 
Es ist dafür bezeichnend, dass er sein Werk, im Jauchzen seines
Herzens, die frohe Botschaft, »Die fröhliche Wissenschaft« nannte,
zugleich aber über den Schluss-Aphorismus desselben die düsteren
Räthselworte setzte: »Incipit tragoedia!«
 
Dieser Verbindung von tiefer Erschütterung und spielendem Uebermuth,
von Tragik und Heiterkeit, welche für die ganze Gruppe der letzten
Werke charakteristisch ist, entspricht es auch, dass die »Fröhliche
Wissenschaft«, im schärfsten Gegensatz zu dem dunkeln Geheimniss
der Schlussworte, ein »Vorspiel« in Versen besitzt: »Scherz, List
und Rache.« Hier begegnen uns zum ersten Mal Verse in Nietzsches
Schriften,--sie mehren sich aber in dem Maasse, als er seinem
persönlichen Untergang zuzuschreiten glaubt. In Gesängen klingt sein
Geist aus. Die Verse sind überraschend verschieden an Werth, zum
Theil vollendet: Gedanken, die an ihrer eigenen Schönheit und Fülle
sich zu Gedichten wandelten;--zum Theil von einer so wunderlichen
Unvollkommenheit, wie sie nur die Laune des Muthwillens vom Zaune
bricht. Ueber ihnen allen aber ruht etwas seltsam Ergreifendes: Sind
es doch Blumen, die sich ein Einsamer auf den Leidensweg streut, der
seiner harrt, um den Schein zu erwecken, dass es ein Freudenweg sei.
Frisch gebrochenen Rosen gleichen sie, auf die sein Fuss treten will,
während er schon beschäftigt ist, in seinen leidvollsten Erkenntnissen
seinem Haupte die Dornenkrone zu flechten.
 
Sie klingen wie ein Präludium zu dem erschütternden Schauspiel seiner
höchsten Erhebung und seines Unterganges. Von diesem Schauspiel hebt
auch die Philosophie Nietzsches den Vorhang nicht ganz. Was sie uns
zeigt, ist nur, gleich einem Bilde auf diesem Vorhang, ein buntes
Blumengewinde, aus dem, halb versteckt, die Worte gross und traurig
hervorleuchten:
 
 
»Incipit tragoedia!«
 
 
 
 
[1] Die philologischen Arbeiten Nietzsches sind: _Zur Geschichte
der Theognideischen Spruchsammlung_, im Rheinischen Museum, Bd. 22;
_Beiträge zur Kritik der griechischen Lyriker, I. Der Danae Klage von
Simonides_, im Rhein. Mus., Bd. 23; _De Laertii Diogenis Fontibus_,
im Rhein. Mus., Bd. 23 und 24; _Analecta Laertiana_, im Rhein. Mus.,
Bd. 25; _Beiträge zur Quellenkunde und Kritik des Laertius Diogenes_,
Gratulationsschrift des Pädagogiums zu Basel. Basel 1870.--_Certamen
quod dicitur Homeri et Hesiodi e codice Florentino post H. Stephanum
denuo_ ed. F. N., in den Acta societatis philologae Lipsiensis ed.
Fr. Ritschl, Vol. I; dazu der florentinische Tractat über _Homer und
Hesiod_, ihr Geschlecht und ihren Wettkampf, im Rhein. Mus, Bd. 25
und 28. Auch rührt das »Registerheft« zu den ersten 24 Bänden des
Rheinischen Museums (1842-1869) von ihm her, das er nach Ritschls
Disposition zusammenstellte.
 
[2] Er hat so gelesen, wie er es einmal »gut lesen« nennt: »--das
heisst langsam, tief, vor- und rücksichtig, mit Hintergedanken,
mit offen gelassenen Thüren, mit zarten Fingern und Augen lesen--«
(Einführende Vorrede zur neuen Ausgabe der Morgenröthe 11.)
 
[3] Dieses Buch erregte bei seinem Erscheinen das lebhafteste
Missfallen der philologischen Zunft; hatte der Verfasser es doch
gewagt, seinen Ausführungen nicht nur die Lehren des verpönten
Philosophen Arthur Schopenhauer, sondern auch die künstlerischen
Anschauungen des damals noch ebenso geschmähten »Zukunftsmusikers«
Richard Wagner zu Grunde zu legen. Ein junger philologischer
Heisssporn, Ulrich v. Wilamowitz-Möllendorf, der jetzt zu den
hervorragenden Vertretern der classischen Philologie in Deutschland
gehört, machte sich in nicht besonders glücklicher und geschmackvoller
Weise zum Sprachrohr zünftiger Einseitigkeit. Ohne der Eigenart des
Nietzscheschen Buches irgendwie gerecht zu werden, griff er es in der
Broschüre »Zukunftsphilologie! eine erwidrung auf F. N.'s »gebürt der
tragödie«, Berlin 1872, von einem beschränkt philologischen Standpunkte
auf das heftigste an. Für den Angegriffenen traten in die Schranken
derjenige, an den vor Allen das Buch gerichtet war, Richard Wagner,
der Künstler, in einem in der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« vom
23. Juni 1872 abgedruckten offenen Briefe an Friedrich Nietzsche,
und Erwin Rohde, der bereits damals von seiner tiefen Kenntnis des
griechischen Alterthums die vollgiltigsten Proben abgelegt hatte.
In der ausgezeichnet geschriebenen Streitschrift: »Afterphilologie.
Sendschreiben eines Philologen an Richard Wagner«, Leipzig 1872,
stellte er sich auf den von dem Gegner gewählten Boden und wies die
von diesem gemachten Einwände und Beschuldigungen zurück, worauf v.
Wilamowitz dann noch mit einer Duplik, »Zukunftsphilologie! Zweites
Stück, eine erwidrung auf die rettungsversuche für F. N.'s »gebürt der tragödie«, Berlin 1873, antwortete.

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