2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 2

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 2



Ein paar Mal den Pforten des Todes entwischt, aber fürchterlich
gequält,--so lebe ich von Tag zu Tage; jeder Tag hat seine
Krankengeschichte.« Mit diesen Worten schildert Nietzsche in einem
Briefe an einen Freund die Leiden, unter welchen er ungefähr 15 Jahre
zugebracht hat.
 
Umsonst verlebte er den Winter 1876-1877 in dem milden Klima von
Sorrent, wo er sich in Gesellschaft einiger Freunde befand: von Rom
war seine langjährige Freundin Malwida von Meysenbug (Verfasserin
der bekannten »Memoiren einer Idealistin« und Anhängerin R. Wagners)
zu ihm gekommen; von Westpreussen Dr. Paul Rée, mit dem ihn schon
damals Freundschaft und Gleichheit der Bestrebungen-verband. Dem
kleinen gemeinschaftlichen Hauswesen hatte sich auch noch ein junger
brustkranker Baseler, Namens Brenner, zugesellt, der jedoch bald darauf
starb. Als auch der Aufenthalt im Süden ohne günstige Wirkung auf seine
Schmerzen blieb, gab Nietzsche 1878 seine Lehrthätigkeit am Pädagogium
und 1879 seine Professur an der Universität endgiltig auf. Seitdem
führte er nur noch ein Einsiedlerleben, theils in Italien--meistens in
Genua--theils im Schweizer Gebirge, namentlich in dem kleinen Engadiner
Dorfe Sils-Maria, unweit des Maloja-Passes.
 
Sein äusserer Lebenslauf erscheint damit abgeschlossen und gleichsam
beendet, während sein Denkerleben erst jetzt recht eigentlich beginnt:
so dass uns der Denker Nietzsche, mit dem wir uns zu beschäftigen
haben, erst am Ausgang dieser Lebensereignisse vollkommen deutlich
entgegentritt. Trotzdem werden wir auf alle Schicksalswendungen und
Erlebnisse, die hier nur kurz skizzirt worden sind, bei Gelegenheit
der verschiedenen Perioden seiner Geistesentwicklung noch ausführlicher
zurückkommen müssen. Sein Leben und Schaffen zerfällt in der Hauptsache
in drei ineinander übergreifende Perioden, die je ein Jahrzehnt
umfassen:
 
Zehn Jahre, 1869--1879, dauerte Nietzsches Lehrthätigkeit in Basel;
diese philologische Wirksamkeit fällt der Zeit nach fast völlig
zusammen mit dem Jahrzehnt seiner Jüngerschaft Wagner gegenüber und
mit der Veröffentlichung derjenigen Werke, welche von der Metaphysik
Schopenhauers beeinflusst sind: sie währte von 1868 bis 1878, in
welchem Jahre er zum Zeichen seiner philosophischen Sinnesänderung
Wagner sein positivistisches Erstlingswerk: »Menschliches,
Allzumenschliches« übersandte.
 
Seit dem Anfang der Siebzigerjahre bestand seine Verbindung mit Paul
Rée, die im Herbst 1882 ihren Abschluss fand,--gleichzeitig mit der
Vollendung der »Fröhlichen Wissenschaft«, des letzten derjenigen Werke
Nietzsches, die noch auf positivistischer Grundlage ruhen.
 
Im Herbst 1882 fasste Nietzsche den Entschluss, sich zehn Jahre
lang aller schriftstellerischen Thätigkeit zu enthalten. In dieser
Zeit tiefsten Schweigens wollte er seine neue, dem Mystischen sich
zuwendende Philosophie auf ihre Richtigkeit prüfen und dann 1892 als
ihr Verkündiger auftreten. Diesen Vorsatz hat er nicht ausgeführt,
sondern gerade in den Achtzigerjahren eine fast ununterbrochene
Productivität entfaltet und ist dann noch vor Ablauf des von ihm
angesetzten Jahrzehntes verstummt: 1889 setzte ein gewaltsamer Ausbruch
seines Kopfleidens plötzlich aller weiteren Geistesarbeit ein Ziel.
 
Der Zeitraum aber zwischen der Niederlegung seiner Baseler Professur
und dem Aufhören aller geistigen Thätigkeit überhaupt umfasst wiederum
ein Jahrzehnt, die Zeit von 1879--1889. Seitdem lebt Nietzsche als
Kranker, nach einem vorübergehenden Aufenthalt in der Anstalt von
Professor Binswanger in Jena, bei seiner Mutter in Naumburg.
 
Die beiden diesem Buche beigegebenen Bilder zeigen Nietzsche
inmitten dieser letzten zehn Leidensjahre. Und gewiss ist dies die
Zeit gewesen, in welcher seine Physiognomie, sein ganzes Aeussere,
am charakteristischesten ausgeprägt erschien: die Zeit, in welcher
der Gesammtausdruck seines Wesens bereits völlig vom tief bewegten
Innenleben durchdrungen war, und selbst noch in dem bezeichnend blieb,
was er zurückhielt und verbarg. Ich möchte sagen: dieses Verborgene,
die Ahnung einer verschwiegenen Einsamkeit,--das war der erste, starke
Eindruck, durch den Nietzsches Erscheinung fesselte. Dem flüchtigen
Beschauer bot sie nichts Auffallendes; der mittelgrosse Mann in seiner
überaus einfachen, aber auch überaus sorgfältigen Kleidung, mit
den ruhigen Zügen und dem schlicht zurückgestrichenen braunen Haar
konnte leicht übersehen werden. Die feinen, höchst ausdrucksvollen
Mundlinien wurden durch einen vornübergekämmten grossen Schnurrbart
fast völlig verdeckt; er hatte ein leises Lachen, eine geräuschlose
Art zu sprechen und einen vorsichtigen, nachdenklichen Gang, wobei
er sich ein wenig in den Schultern beugte; man konnte sich schwer
diese Gestalt inmitten einer Menschenmenge vorstellen,--sie trug das
Gepräge des Abseitsstehens, des Alleinstehens. Unvergleichlich schön
und edel geformt, so dass sie den Blick unwillkürlich auf sich zogen,
waren an Nietzsche die Hände, von denen er selbst glaubte, dass sie
seinen Geist verriethen,--eine darauf zielende Bemerkung findet sich in
»Jenseits von Gut und Böse« (288): »Es giebt Menschen, welche auf eine
unvermeidliche Weise Geist haben, sie mögen sich drehen und wenden,
wie sie wollen, und die Hände vor die verrätherischen Augen halten
--als ob die Hand kein Verräther wäre!--.«[3]
 
Wahrhaft verrätherisch sprachen auch die Augen. Halbblind, besassen
sie dennoch nichts vom Spähenden, Blinzelnden, ungewollt Zudringlichen
vieler Kurzsichtigen; vielmehr sahen sie aus wie Hüter und Bewahrer
eigener Schätze, stummer Geheimnisse, die kein unberufener Blick
streifen sollte. Das mangelhafte Sehen gab seinen Zügen eine ganz
besondere Art von Zauber dadurch, dass sie, anstatt wechselnde, äussere
Eindrücke wiederzuspiegeln, nur das Wiedergaben, was durch sein Inneres
zog. In das Innere blickten diese Augen und zugleich,--weit über die
nächsten Gegenstände hinweg,--in die Ferne, oder besser: in das Innere
wie in eine Ferne. Denn im Grunde war seine ganze Denkerforschung
nichts als ein Durchforschen der Menschenseele nach unentdeckten
Welten, nach »ihren noch unausgetrunkenen Möglichkeiten« (Jenseits
von Gut und Böse 45), die er sich rastlos schuf und umschuf. Wenn er
sich einmal gab, wie er war, im Bann eines ihn erregenden Gesprächs zu
Zweien, dann konnte in seine Augen ein ergreifendes Leuchten kommen
und schwinden;--wenn er aber in finsterer Stimmung war, dann sprach
die Einsamkeit düster, beinahe drohend aus ihnen, wie aus unheimlichen
Tiefen,--aus jenen Tiefen, in denen er immer allein blieb, die er
mit Niemandem theilen konnte, vor denen ihn selbst bisweilen Grauen
erfasste,--und in die sein Geist zuletzt versank.
 
Einen ähnlichen Eindruck des Verborgenen und Verschwiegenen machte
auch Nietzsches Benehmen. Im gewöhnlichen Leben war er von grosser
Höflichkeit und einer fast weiblichen Milde, von einem stetigen,
wohlwollenden Gleichmuth,--er hatte Freude an den vornehmen Formen im
Umgang und hielt viel auf sie. Immer aber lag darin eine Freude an
der _Verkleidung_,--Mantel und Maske für ein fast nie entblösstes
Innenleben. Ich erinnere mich, dass, als ich Nietzsche zum ersten
Male sprach,--es war an einem Frühlingstage in der Peterskirche
zu Rom,--während der ersten Minuten das gesucht Formvolle an ihm
mich frappirte und täuschte. Aber nicht lange täuschte es an diesem
Einsamen, der seine Maske doch nur so ungewandt trug, wie Jemand, der
aus Wüste und Gebirge kommt, den Rock der Allerweltsleute trägt; sehr
bald tauchte die Frage auf, die er selbst in die Worte zusammengefasst
hat: »Bei Allem, was ein Mensch _sichtbar werden_ lässt, kann man
fragen: was soll es _verbergen_? Wovon soll es den Blick ablenken?
Welches Vorurtheil soll es erregen? Und dann noch: bis wie weit geht
die Feinheit dieser Verstellung? Und worin vergreift er sich dabei?«
 
Dieser Zug stellt nur die Kehrseite der Einsamkeit dar, aus welcher
Nietzsches Innenleben ganz herausbegriffen werden muss,--einer sich
stetig steigernden Selbstvereinsamung und Selbstbeziehung auf sich.
 
In dem Maasse, als sie zunimmt, wird alles nach Aussen gewandte Sein
zum Schein,--zum blossen täuschenden Schleier, den die Einsamkeitstiefe
nur um sich webt, um zeitweilig für Menschenaugen erkennbare Oberfläche
zu werden. »Tiefdenkende Menschen kommen sich im Verkehr mit Andern als
Komödianten vor, weil sie sich da, um verstanden zu werden, immer erst
eine Oberfläche anheucheln müssen.« (Menschliches, Allzumenschliches
II 232). Ja, man kann selbst Nietzsches Gedanken, sofern sie sich
theoretisch aussprechen, noch mit zu dieser Oberfläche rechnen, hinter
der, abgründig tief und stumm, das innere Erleben ruht, dem sie
entstiegen sind. Sie gleichen einer »Haut, welche Etwas verräth, aber
noch mehr verbirgt« (Jenseits von Gut und Böse 32); »denn«, sagt er
»entweder verstecke man seine Meinungen, oder man verstecke sich hinter
seine Meinungen« (Menschliches, Allzumenschliches II 338). Er findet
eine schöne Bezeichnung für sich selbst, wenn er in diesem Sinne von
den »Verborgenen unter den Mänteln des Lichts« redet (Jenseits von Gut
und Böse 44),--von denen, die sich in ihre Gedankenklarheit verhüllen.
 
In jeder Periode seiner Geistesentwicklung finden wir daher Nietzsche
in irgend einer Art und Form der Maskirung, und immer ist sie es,
welche die jeweilige Entwicklungsstufe recht eigentlich charakterisirt.
»Alles, was tief ist, liebt die Maske.... Jeder tiefe Geist braucht
eine Maske: mehr noch, um jeden tiefen Geist wächst fortwährend eine
Maske« (Jenseits von Gut und Böse 40).
 
»Wanderer, wer bist Du?-- -- --Ruhe Dich hier aus.-- -- --erhole
Dich!-- -- --Was dient Dir zur Erholung?-- -- --« »Zur Erholung? Zur
Erholung? Oh du Neugieriger, was sprichst du da! Aber gieb mir, ich
bitte-- --« »Was? Was? sprich es aus!--»Eine Maske mehr! Eine zweite
Maske!...« (Jenseits von Gut und Böse 278).
 
Und zwar wird es sich uns aufdrängen, dass in dem Grade, als
seine Selbstvereinsamung und grüblerische Selbstbeziehung auf
sich ausschliesslicher wird, auch die Bedeutung der jedesmaligen
Verkleidung eine tiefere wird, und das wirkliche Wesen hinter seiner
Aeusserungsform, das wirkliche Sein hinter dem vorgehaltenen Schein
immer weniger sichtbar zurückweicht. Schon in »Der Wanderer und sein
Schatten« (175) weist er auf die »Mediocrität als Maske« hin. »Die
Mediocrität ist die glücklichste Maske, die der überlegene Geist
tragen kann, weil sie die grosse Menge, das heisst die Mediocren,
nicht an Maskirung denken lässt--: und doch nimmt er sie gerade
ihretwegen vor,--um sie nicht zu reizen, ja nicht selten aus Mitleid
und Güte.« Von dieser Maske des Harmlosen an wechselt er sie bis zu
der des Grauenhaften, die noch Grauenhafteres hinter sich verbirgt:
»--bisweilen ist die Narrheit selbst die Maske für ein unseliges allzu
gewisses Wissen.« (Jenseits von Gut und Böse 270),--und endlich bis zu
einem täuschenden Lichtbild des göttlich Lachenden, das den Schmerz
in Schönheit zu verklären strebt. So ist Nietzsche innerhalb seiner
letzten philosophischen Mystik allmälig in jene letzte Einsamkeit
versunken, in deren Stille wir ihm nicht mehr folgen können, die uns
nur noch, wie Symbole und Wahrzeichen, seine lachenden Gedankenmasken
und deren Deutung übrig lässt, während er für uns bereits zu dem
geworden ist, als den er sich einmal in einem Briefe unterschreibt:
»Der auf ewig Abhandengekommene.« (Brief vom 8. Juli 1881 aus
Sils-Maria.)
 
Dieses innere Alleinsein, diese Einsamkeit ist in allen Wandlungen
Nietzsches der unveränderliche Rahmen, aus welchem sein Bild uns
anschaut. Mag er sich verkleidet haben, wie er will,--immer trägt
er »die Einöde und den heiligen unbetretbaren Grenzbezirk mit sich,
wohin er auch gehe«. (Der Wanderer und sein Schatten 387.) Und es
drückt daher auch nur das Bedürfniss aus, dass das äussere Dasein
seiner einsamen Innerlichkeit entsprechen möge, wenn er einem Freunde
schreibt: (Am 31 October 1880 aus Italien.)
 
»Als Recept, sowie als natürliche Passion erscheint mir immer
deutlicher die Einsamkeit und zwar die vollkommene,--und den Zustand,
in dem wir unser Bestes schaffen können, muss man hersteilen und viele
Opfer dafür bringen können.«
 
Den zwingenden Anlass aber, sein inneres Alleinsein so vollkommen wie
möglich zu einem äusseren zu machen, bot ihm erst sein _körperliches
Leiden_, welches ihn von den Menschen forttrieb und selbst den Verkehr
mit einzelnen seiner Freunde,--immer einen seltenen Verkehr zu
Zweien,--nur mit grossen Unterbrechungen möglich machte.
 
Leiden und Einsamkeit,--das sind also die beiden grossen Schicksalszüge
in Nietzsches Entwicklungsgeschichte, immer stärker ausgeprägt,
je näher man dem Ende kommt. Und sie tragen bis an das Ende jenes
wundersame Doppelgesicht, welches sie als ein äusserlich _gegebenes
Lebenslos_, und zugleich als eine rein psychisch bedingte, eine
_gewollte innere_ Nothwendigkeit erscheinen lassen. Auch sein
physisches Leiden, nicht minder als seine Verborgenheit und Einsamkeit,
reflectirte und symbolisirte etwas Tiefinnerliches--und dies so
unmittelbar, dass er es auch in seine äussere Schickung aufnahm wie
einen ihm zugedachten ernsten Freund und Wegegenossen. So schreibt er
einmal bei Gelegenheit einer Beileidsäusserung (Ende August 1881 aus
Sils-Maria): »Es jammert mich immer zu hören, dass Sie leiden, dass
Ihnen irgend etwas fehlt, dass Sie Jemanden verloren haben: während bei mir Leiden und Entbehrung _zur Sache_ gehören und nicht, wie bei Ihnen, zum Unnöthigen und zur Unvernunft des Daseins.

댓글 없음: