2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 1

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 1


Friedrich Nietzsche in seinen Werken
 
Author: Lou Andreas-Salomé
 
MOTTO:
 
»Der Mensch mag sich noch so
weit mit seiner Erkenntniss ausrecken,
sich selber noch so objectiv Vorkommen:
zuletzt trägt er doch Nichts davon,
als seine eigene Biographie.«
 
(Menschliches, Allzumenschliches I. 513.)
 
 
 
»Mihi ipsi scripsi!« ruft Friedrich Nietzsche in seinen Briefen
wiederholt nach Vollendung eines Werkes aus. Und gewiss hat es etwas
zu bedeuten, wenn der erste lebende Stilist dies von sich selber
sagt, er, dem es, wie keinem Zweiten, gelungen ist, für jeden seiner
Gedanken, und noch für die feinste Schattirung darin, den erschöpfenden
Ausdruck zu finden. Dem, der Nietzsches Schriften zu lesen weiss, ist
es denn auch ein verrätherisches Wort: es deutet die Verborgenheit
an, in welcher alle seine Gedanken stehen, die lebendige Hülle, die
sie vielgestaltig umkleidet, es deutet an, dass er im Grunde nur für
sich dachte, für sich schrieb, weil er nur sich selbst beschrieb, sein
eignes Selbst in Gedanken umsetzte.
 
* * * * *
 
Die »Bitte« in der »Fröhlichen Wissenschaft«, auf welche in dem
vorstehend facsimilirten Briefe Bezug genommen ist, lautet:
 
 
»Ich kenne mancher Menschen Sinn
Und weiss nicht, "Wer ich selber bin!
Mein Auge ist mir viel zu nah--
Ich bin nicht, was ich seh und sah.
Ich wollte mir schon besser nützen,
Könnt' ich mir selber ferner sitzen.
Zwar nicht so ferne wie mein Feind!
Zu fern sitzt schon der nächste Freund--
Doch zwischen dem und mir die Mitte!
Errathet ihr, um was ich bitte?«
 
(Scherz, List und Rache 25.)
 
 
 
Wenn es überhaupt die Aufgabe des Biographen ist, den Denker durch
den Menschen zu erläutern, so gilt dies in ungewöhnlich hohem Masse
für Nietzsche, denn bei keinem Andern fallen äusseres Geisteswerk und
inneres Lebensbild so völlig in Eins zusammen. Auf ihn trifft es ganz
besonders zu, was er in dem vorangestellten Briefe von den Philosophen
überhaupt ausspricht: dass man ihre Systeme auf die Personalacten ihrer
Urheber hin prüfen solle. Später hat er der gleichen Auffassung in den
Worten Ausdruck gegeben: »Allmählig hat sich mir herausgestellt, was
jede grosse Philosophie bisher war: nämlich das Selbstbekenntniss ihres
Urhebers und eine Art ungewollter und unvermerkter mémoires.« (Jenseits
von Gut und Böse 6.)
 
Dies war denn auch der leitende Gedanke in meinem in dem vorstehenden
Briefe erwähnten Entwurf zu einer Charakteristik Nietzsches, den
ich ihm im October 1882 vorlas und mit ihm durchsprach. Die Arbeit
enthielt im Umriss den ersten Theil des vorliegenden Buches und
einzelne Abschnitte des zweiten Theiles,--der Inhalt des dritten, das
eigentliche »System Nietzsche« war damals noch nicht geboren. Im Laufe
der Jahre erweiterte sich, im Anschlüsse an die rasch aufeinander
folgenden Werke, jene Charakteristik immer mehr, und Einzelnes daraus
ist bereits in besonderen Aufsätzen veröffentlicht worden.[1] Es
handelte sich für mich ausschliesslich darum, die Hauptzüge von
Nietzsches geistiger Eigenart zu schildern, aus denen allein seine
Philosophie und ihre Entwicklung begriffen werden können. Zu diesem
Zwecke beschränkte ich mich freiwillig sowohl nach der Seite der
rein theoretischen Betrachtungsweise, als auch hinsichtlich der rein
persönlichen Lebensbeschreibung. Beides durfte nicht zu weit geführt
werden, wenn die Grundlinien seines Wesens deutlich hervortreten
sollten. Wer Nietzsche auf seine Bedeutung als Theoretiker hin prüfen
wollte, auf das, was etwa die zünftige Philosophie aus ihm zu lernen
vermöchte, der würde sich enttäuscht abwenden, ohne zum Kern seiner
Bedeutung vorzudringen. Denn der Werth seiner Gedanken liegt nicht
in ihrer theoretischen Originalität, nicht in dem, was dialektisch
begründet oder widerlegt werden kann, sondern durchaus in der intimen
Gewalt, mit welcher hier eine Persönlichkeit zur Persönlichkeit
redet,--in dem, was nach seinem eigenen Ausdruck wohl zu widerlegen,
aber doch nicht »todtzumachen« ist. Wer andererseits von Nietzsches
äusserem Erleben ausgehen wollte, um sein Inneres zu erfassen, der
würde ebenfalls nur eine leere Schale in der Hand behalten, aus welcher
der Geist entwichen ist. Denn man kann von Nietzsche sagen, dass er
nach aussen hin eigentlich nichts erlebte:[2] all sein Erleben war ein
so tief innerliches, dass es sich nur im Gespräch, von Mund zu Mund,
und in den Gedanken seiner Werke kundthat. Die Summe von Monologen,
aus denen im Wesentlichen seine vielbändigen Aphorismensammlungen
bestehen, bilden ein einziges grosses Memoirenwerk, dem sein
Geistesbild zu Grunde liegt. Dieses Bild ist es, das ich hier zu
zeichnen versuche: das _Gedanken-Erlebniss_ in seiner Bedeutung für
Nietzsches Geisteswesen--das _Selbstbekenntniss_ in seiner Philosophie.
 
Obgleich Nietzsche seit einigen Jahren häufiger genannt wird als irgend
ein anderer Denker, obgleich viele Federn damit beschäftigt sind,
theils Jünger für ihn zu werben, theils gegen ihn zu polemisiren, so
ist er doch in den Grundzügen seiner geistigen Individualität nahezu
unbekannt geblieben. Denn seitdem die kleine, zerstreute Schaar seiner
Leser, die er stets besass, und die ihn wahrhaft zu lesen verstand,
zu einer grossen Schaar von Anhängern angewachsen ist, seitdem weite
Kreise sich seiner bemächtigt haben, ist ihm das Schicksal widerfahren,
welches jedem Aphoristiker droht; einzelne seiner Ideen, aus dem
Zusammenhang gelöst und dadurch beliebig deutbar, sind zu Stich- und
Schlagworten ganzer Richtungen gemacht worden, erklingen im Kampf von
Meinungen, im Streit von Parteien, denen er selbst völlig fern stand.
Wohl verdankt er diesem Umstand seinen raschen Ruhm, den plötzlichen
Lärm um seinen stillen Namen,--aber im Besten, durchaus Einzigartigen
und Unvergleichlichen, das er zu geben hat, ist er dadurch vielleicht
übersehen worden und unbeachtet geblieben,--ja in eine vielleicht noch
tiefere Verborgenheit zurückgetreten als vorher. Viele feiern ihn
zwar noch laut, mit der ganzen Naivetät gläubiger Kritiklosigkeit,
doch gerade sie gemahnen unwillkürlich an sein bitteres Wort: Der
Enttäuschte spricht: »Ich horchte auf Widerhall, und ich. hörte nur
Lob--« (Jenseits von Gut und Böse 99). Kaum Einer von ihnen ist ihm
wahrhaft nachgegangen,--fernab von den Andern und ihrem Tagesstreit
und allein in der Ergriffenheit seines eigenen Innern; kaum Einer hat
diesen einsamen, schwer ergründlichen, heimlichen und auch unheimlichen
Geist begleitet, der Ungeheures zu tragen wähnte und an einem
ungeheuren Wahn zusammenbrach.
 
Daher ist es, als stände er da inmitten derer, die ihn am meisten
preisen, wie ein Fremdling und Einsiedler, dessen Fuss sich in ihren
Kreis nur verirrte, und von dessen verhüllter Gestalt Keiner den Mantel
gehoben,--ja, als stände er da mit der Klage seines »Zarathustra« auf
den Lippen:
 
 
»Sie reden Alle von mir, wenn sie Abends ums Feuer sitzen,
aber Niemand--denkt an mich! Dies ist die neue Stille, die
ich lernte: ihr Lärm um mich breitet einen Mantel um meine
Gedanken.«
 
 
_Friedrich Wilhelm Nietzsche_ ist am 15. October 1844 als der
einzige Sohn eines Predigers in Röcken bei Lützen geboren, von wo
sein Vater später nach Naumburg versetzt wurde. Seine Schulbildung
empfing er in der nahegelegenen Schulpforta und ging dann als Student
der classischen Philologie an die Universität Bonn, wo damals der
berühmte Philologe Ritschl lehrte. Er studirte fast ausschliesslich
unter Ritschl, verkehrte auch persönlich viel mit ihm und folgte ihm
im Herbst 1865 nach Leipzig. In seine Leipziger Studienzeit fällt
Nietzsches erste persönliche Beziehung zu Richard Wagner, den er
1868 im Hause von dessen Schwester, der Frau Prof. Brockhaus, kennen
lernte, nachdem er sich schon früher mit seinen Werken vertraut
gemacht. Noch vor seiner Promotion berief 1869 die Universität
Basel den 24jährigen Nietzsche auf den Lehrstuhl des Philologen
Kiessling, der von dort an das Johanneum in Hamburg ging. Nietzsche
erhielt erst eine ausserordentliche, kurz darauf eine ordentliche
Professur für classische Philologie, und die Universität Leipzig
verlieh ihm den Doctorgrad ohne vorhergehende Promotion. Neben seinen
Universitätscollegien übernahm er den Unterricht des Griechischen
in der dritten (höchsten) Classe des Baseler Pädagogiums,--einer
Mittelanstalt zwischen Gymnasium und Universität,--an welcher noch
andere Universitätsprofessoren, wie der Culturhistoriker Jacob
Burckhardt und der Philologe Mähly, lehrten. Hier gewann er grossen
Einfluss auf seine Schüler; sein seltnes Talent, junge Geister an
sich zu fesseln und entwickelnd, anregend auf sie zu wirken, kam zu
voller Geltung. Burckhardt sagte damals von ihm: einen solchen Lehrer
habe Basel noch niemals besessen. Burckhardt gehörte zum engsten
Freundeskreise Nietzsches, zu dem noch der Kirchenhistoriker Franz
Overbeck und der Kantphilosoph Heinrich Romundt zählten. Mit den
beiden Letztem wohnte Nietzsche zusammen in einem Hause, welches nach
Veröffentlichung der »Unzeitgemässen Betrachtungen« in der Baseler
Gesellschaft den Beinamen: »Die Gifthütte« erhielt. Gegen Schluss
seines Baseler Aufenthalts lebte Nietzsche eine Zeit lang mit seiner
einzigen, fast gleichaltrigen Schwester Elisabeth zusammen, die später
seinen Jugendfreund Bernhard Förster heiratete und mit diesem nach
Paraguay ging. 1870 machte Nietzsche den deutschfranzösischen Krieg als
freiwilliger Krankenpfleger mit; nicht lange darauf traten die ersten
drohenden Anzeichen eines Kopfleidens hervor, das sich in periodisch
wiederkehrenden heftigen Schmerzen und Uebelkeiten äusserte. Will
man Nietzsches eigenen, mündlichen Aeusserungen Glauben schenken,
so war dieses Leiden erblicher Natur, und ist sein Vater demselben
erlegen. Neujahr 1876 fühlte er sich bereits so köpf- und augenkrank,
dass er sich im Pädagogium vertreten lassen musste, und von da ab
verschlimmerte sich sein Zustand derartig, dass er mehrere Male dem Tode nahe war.

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