2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 21

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 21



Zur Zeit seines Wagnerthums war Nietzsche als Jünger Schopenhauers
diesem seinem Meister in der bekannten Interpretirung und Modificirung
Kants gefolgt, laut welcher die Fragen nach den höchsten und letzten
Dingen ihre Beantwortung finden, zwar nicht durch den Verstand, sondern
durch die höchsten Eingebungen und Erleuchtungen des Willenslebens.
Später stimmte Nietzsche, unter heftigem Protest gegen diese Annahme
der Schopenhauerischen Metaphysik, der strengen Selbstbescheidung der
Erfahrungswissenschaft zu, welche sich mit dem Verstandeserkennen auf
den ihm zugänglichen Gebieten begnügt. Aber Nietzsche hielt diese
Zustimmung nur so lange aufrecht, als er mit Hilfe eines fanatischen
Intellektualismus sich aus dem bescheidenen Verstandeserkennen ein ihn
begeisterndes Wahrheitsideal zu schaffen vermochte, dem sich sein Wille
und Seelenleben blind unterwarf. Sobald sein Fanatismus sich erschöpft
hatte, sobald seine Begeisterung die intellektuellen Ziele und Werthe
nicht mehr in so über-schwänglich-idealer Beleuchtung sah, wurde er
derselben überhaupt überdrüssig und verlangte nach neuen Idealen. In
diesem Verlangen ging ihm nun innerhalb des Positivismus eine Einsicht
auf, die er bisher nicht beachtet hatte: nämlich die Einsicht in die
Relativität alles Denkens, die Zurückführung alles Verstandeserkennens
auf die rein praktische Grundlage des menschlichen Trieblebens, dem es
entstammt und von dem es dauernd abhängig ist.
 
Diesem Wege, der ihm von seinen eigenen philosophischen Genossen
vorgezeichnet war, brauchte er nur mit gewohnter Exaltation zu folgen,
um schliesslich zu seiner ursprünglichen Schätzung der Affekte
zürückzugelangen. Denn was für die Andern nur eine natürliche
Consequenz war, welche die moderne Erkenntnisstheorie zieht, und welche
die Methode und die Resultate der Erfahrungswissenschaft als solche gar
nicht berührt, daraus entnahm Nietzsche den Anstoss zu einem völligen
Gesinnungswechsel. Mit derselben äussersten Uebertreibung und demselben
Fanatismus, mit denen er das streng begriffliche Denken als höchstes
Wahrheitsideal angebetet hatte, verhöhnt er es jetzt als etwas Geringes
und Niedriges gegenüber den Trieben, die es in Wahrheit regieren.
 
Was sich inzwischen verändert hat, ist zwar nur seine _Stimmung_, nur
seine _Gefühlsauffassung_ der Sachlage, aber eben dies besagt für
Nietzsche Alles: es veisst ihn allmählich fort zu immer weitergehenden
Folgerungen und wird so schliesslich zum Ausgangspunkt für eine neue
Weltanschauung.
 
Dieser Verlauf ist typisch für die Entstehung aller Grundgedanken
in Nietzsches »Zukunftsphifosophie-«; ihm werden wir in seiner
Erkenntnisstheorie wie in seiner Morallehre, in seiner Äesthetik wie
in seiner letzten Mystik wieder begegnen und stets dieselben drei
Entwicklungsstufen daran wahrnehmen: zuerst das Anknüpfen an einzelne
letzte Consequenzen der modernen Erfahrungswissenschaft, dann ein
Umschlagen seiner Gemüthsstimmung in der Auffassung solcher Ergebnisse,
ihre Zuspitzung und Uebertreibung bis aufs Aeusserste, und endlich,
daraus fliessend, seine eigenen, neuen Theorien.
 
Hinsichtlich dieser sind aber zwei Seiten zu unterscheiden,
einestheils ihr thatsächlicher philosophischer Gehalt, anderntheils
Nietzsches rein seelische Wieder-Spiegelung in ihnen, indem er sich
in seinen Gedanken den Ausdruck für sein tiefstes Wesen schafft.
Diese Selbstwiederspiegelung führt uns zu dem Bilde Nietzsches
zurück, wie es im ersten Theile dieser Arbeit entworfen ist.
Der Gedankengehalt aber der neuen Lehre erweist sich als eine
kunstvolle Verbindung der beiden philosophischen Phasen in Nietzsches
Geistesentwicklung,--als ein Muster von zwei verschiedenen mit
genialer Hand ineinandergeflochtenen Geweben: der Schopenhauerischen
Willenslehre und der Entwicklungslehre der Positivistem
 
Für Nietzsches Erkenntnisstheorie, mit ihrer Bekämpfung der Bedeutung
des Logischen und ihrer Zurückführung desselben auf das schlechthin
Unlogische, kommt am meisten in Betracht sein Buch »Jenseits von
Gut und Böse«, das in einzelnen Abschnitten ebensogut heissen
könnte: »Jenseits von Wahr und Falsch«. Denn hier erörtert er am
ausführlichsten die _Unberechtigung der Werthgegensätze_ »wahr und
unwahr«, die mit der Einsicht in ihren Ursprung nicht minder hinfällig
werden, wie die Werthgegensätze »gut und böse«. »Das Problem vom Werthe
der Wahrheit trat vor uns hin,-- -- --Was in uns will eigentlich »»zur
Wahrheit««?-- -- --Gesetzt, wir wollen Wahrheit: _warum nicht lieber
Unwahrheit?_-- --« (1.) »Ja, was zwingt uns überhaupt zur Annahme,
dass es einen wesenhaften Gegensatz von »wahr« und »falsch« giebt?
Genügt es nicht, Stufen der Scheinbark eit anzunehmen-- --?« (34.) »In
welcher seltsamen Vereinfachung und Fälschung lebt der Mensch!-- -- --
erst auf diesem nunmehr festen und granitnen Grunde von Unwissenheit
durfte sich--die Wissenschaft erheben, der Wille zum Wissen auf dem
Grunde eines viel gewaltigeren Willens, des Willens zum Nicht-wissen,
zum Ungewissen, zum Unwahren! Nicht als sein Gegensatz, sondern--als
seine Verfeinerung«! (24.) Das »Bewusstsein« ist nicht »in irgend
einem entscheidenden Sinne dem Instinktiven _entgegengesetzt_,--das
meiste bewusste Denken eines Philosophen ist durch seine Instinkte
heimlich geführt und in bestimmte Bahnen gezwungen.« (3.) Alle Logik
ist letzten Endes nichts anderes als eine blosse »Zeichen-Convention«
(Götzen-Dämmerung III 3), alles Denken eine Art von »Zeichensprache
der Affekte«, da »wir zu keiner anderen »Realität« hinab oder hinauf
können als gerade zur Realität unserer Triebe--denn Denken ist nur ein
Verhalten dieser Triebe zu einander.« (Jenseits von Gut und Böse 36).
Und daraus folgt denn schon: »-- --_je mehr_ Affekte wir über eine
Sache zu Worte kommen lassen, _je mehr_ Augen, verschiedne Augen wir
uns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollständiger wird
unser »Begriff« dieser Sache, unsre »Objektivität« sein. Den Willen
aber überhaupt eliminiren, die Affekte sammt und sonders aushängen,
gesetzt, dass wir dies vermöchten: wie? hiesse das nicht den Intellekt
_castriren_?... (Zur Genealogie der Moral III 12).
 
Hier ist der Punkt, an welchem Nietzsches Auffassung plötzlich von
seiner ehemaligen abweicht und ihn zu der entgegengesetzten führt.
Hat er früher davor gewarnt, irgend einem Affekt zu trauen, weil
derselbe doch nur das »Enkelkind« alter vergessener und wahrscheinlich
irrthümlicher Urtheilsschlüsse sei, so beruft er sich jetzt auf die
uralte Gefühlsgrundlage, der alle Urtheilsschlüsse entstammen, und
degradirt diese so zu unselbständigen, abhängigen »Enkelkindern« des
Gefühls. Für beide Auffassungen findet er die gesuchte Begründung
noch in der positivistischen Weltanschauung, aber was dort friedlich
neben einander besteht,--die Relativität des Denkens und diejenige
des Affektlebens,-- --das trennt sich für ihn in zwei unversöhnliche
Gegensätze: auf der einen Seite steht der bis auf die Spitze getriebene
Intellektualismus, dem er sich bis dahin hingegeben, und durch den
er alles Leben dem Denken, alles Gemüth dem Verstände unterthan
machen wollte,--auf der anderen Seite eine ebenfalls auf das Höchste
gesteigerte Gefühlsexaltation, die sich für ihre lange Unterdrückung
rächt und in ihrem Lebensüberschwang sich nur genug thun kann in einem
fanatischen: »fiat vita, pereat veritas!«
 
Darum heisst es weiter: »Die Falschheit eines Urtheils ist uns noch
kein Einwand gegen ein Urtheil;-- --Die Frage ist, wie weit es
lebenfördernd, lebenerhaltend -- --ist;-- -- --Verzichtleisten auf
falsche Urtheile (wäre) ein Verzichtleisten auf Leben, eine Verneinung
des Lebens.« (Jenseits von Gut und Böse 4.) »Bei allem Werthe, der
dem Wahren, dem Wahrhaftigen,-- --zukommen mag: es wäre möglich,
dass dem Scheine, dem Willen zur Täuschung, und der Begierde ein
für alles Leben höherer und grundsätzlicherer Werth zugeschrieben
werden müsste. Es wäre sogar noch möglich, dass, _was_ den Werth
jener guten und verehrten Dinge ausmacht, gerade darin bestünde, mit
jenen schlimmen, scheinbar entgegengesetzten Dingen auf verfängliche
Weise verwandt, verknüpft, verhäkelt, vielleicht gar wesensgleich zu
sein.« (Jenseits von Gut und Böse 2.) »-- -- --wir sind von Grund
aus, von Alters her--_ans Lügen gewöhnt_. Oder, um es tugendhafter
und heuchlerischer, kurz angenehmer auszudrücken: man ist viel mehr
Künstler als man weiss.« (Ebendaselbst 192.) Und das Lebenerhaltendere
der Lüge ist es, das den Künstler hoch über den wissenschaftlichen
Menschen und dessen Wahrheitsforschung stellt. »--die Kunst, in der
gerade die Lüge sich heiligt, der Wille zur Täuschung das gute Gewissen
zur Seite hat,« (Zur Genealogie der Moral III 25), ist es auch, um
derentwillen jetzt plötzlich wieder die ehemals so geschmähten
Metaphysiker weit vornehmer und schätzenswerther erscheinen, als
die »Wirklichkeits-Philosophaster«, mit ihrer Genügsamkeit und
»Lappenhaftigkeit«. (Jenseits von Gut und Böse 10.)
 
An dieser erneuten Verherrlichung des Künstlerthums und selbst
der Metaphysik erkennt man, wie weit Nietzsche schon zu einem
neuen, entgegengesetzten Typus des Erkennenden durchgedrungen
ist, und wie weit er sich bereits von den positivistischen
»Wirklichkeits-Philosophastern« entfernt hat. Denn was diese als
eine unvermeidliche _Zugabe_ zum erkennenden Denken betrachten
und im Erkenntnissakt nach Möglichkeit zu _reduciren_ suchen: die
Abhängig-keitdes Denkens vom menschlichen Triebleben,--das gerade
bedarf, nach Nietzsche der höchstmöglichen Steigerung. Die Einsicht
in die Relativität alles Denkens, in die engen Grenzen, die der
Wahrheitserkenntniss gezogen sind, dien! ihm ausschliesslich zur
Proklamirung einer neuen Grenzenlosigkeit des Erkennens, die
demselben den absoluten Charakter wiedergeben soll. Weil Nietzsche
der absoluten Ideale bedurfte, um sie anbeten und an ihnen seine
Hingebung ausleben zu können, suchte er, sobald sein logisches
Wahrheitsideal allzu bescheiden zusammenschrumpfte, Abhilfe in
dessen Gegensatz, im Maasslosen des gesteigerten Affektlebens.
Ist er vorher davon ausgegangen, das Wahrheitsstreben von einer
letzten Illusion zu befreien, indem er es als relativ auffasste, so
öffnet er sich nun einen neuen Zugang zu neuen Illusionen: durch
Verlegung des Erkenntnissgebietes in das der Gefühlserregungen und
Willenseingebungen. Damit sind alle zurückhaltenden, einschränkenden
Dämme niedergerissen und rückhaltlos darf das Affektleben darüber
hinfluthen. Nirgends Gewissheit oder überall Gewissheit, das kommt
hier beinahe auf dasselbe hinaus; wo der Gedanke alle selbständigen
Erkenntnissrechte eingebüsst hat, da schweift er, als Spielzeug und
Werkzeug der ihn regierenden verborgenen Triebe bis in die fernsten
Fernen, bis in die tiefsten Tiefen. Ist Nietzsche ursprünglich aus
dem geheimnissvoll schimmernden Zaubergarten der Metaphysik in die
nüchterne Verstandeswelt empirischer Forschung eingetreten, so verliert
er sich jetzt in den Irrgarten einer Wildniss, die, ungelichtet
und undurchdringlich, diese Verstandeswelt umgiebt. Gerade der
Umstand, dass in ihr noch keine Wege gebahnt sind, dem Denken noch
keine Richtung gewiesen ist,--dass Alles in ihr noch herrenlos und
gesetzlos ist, und der Willensmachtspruch Raum hat für jegliches
Schaffen,--gerade dies Abenteuerlich-Gefährliche ist ihm Bürgschaft
für den richtigen Weg, denn es erscheint als die Richtung mitten ins
Innere des Lebens, mitten in seine Urkräfte hinein. »Räthsel-Trunkene,
Zwielicht-Frohe« nennt daher Zarathustra seine Jünger, »deren Seele mit
Flöten zu jedem Irr-Schlunde gelockt wird:--denn nicht wollt ihr mit
_feiger Hand einem Faden nachtasten_; und, wo ihr _errathen_ könnt, da
hasst ihr es, zu _erschliessen_.« (Also sprach Zarathustra III 6 f.)
»Auch im Erkennen fühle ich nur meines Willens Zunge und Werde-Lust
(Ebendaselbst II 8); »Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist!«
(Ebendaselbst I 43), denn das Leben spricht: »Auch du, Erkennender,
bist nur ein Pfad und Fusstapfen meines Willens: wahrlich, mein Wille
zur Macht wandelt auch auf den Füssen deines Willens zur Wahrheit!«(Ebendaselbst II 50)

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