2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 22

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 22


Nietzsche, der so lange Zeit hindurch, zur Beschwichtigung und
Zügelung seyier tieferregten Innerlichkeit und ihres Affektlebens,
eine kalte und nüchterne Denkweise benutzt hatte, erfuhr nun an sich
selber, was er früher einmal vorahnend und warnend, in »Menschliches,
Allzumenschliches (II 275), geschildert: »Hat man seinen Geist
verwendet, um über die Maasslosigkeit der Affekte Herr zu werden,
so geschieht es vielleicht mit dem leidigen Erfolge, dass man die
Maasslosigkeit auf den Geist überträgt und fürderhin im Denken und
Erkennenwollen ausschweift.[1] In einem solchen Verlangen wild
auszuschweifen, schafft er sich einen neuen Wahlspruch:»Nichts
ist wahr, Alles ist erlaubt!« (Zur Genealogie der Moral III. 24.)
und preist den Werth der Täuschung, der willkürlichen Fiktion, des
Unlogischen und »Unwahren«, als der im Grunde lebenfördernden,
willensteigernden Mächte. In der Vorstellung, dass ja in dem gesammten
Weltbilde, so wie wir es um uns aufgebaut haben, wir selbst als die
Schöpfer mit unserer psychischen Eigenart drinstecken, und dass unser
Erkennen letzten Endes doch nichts ist als eine »Anmenschlichung der
Dinge«, schwelgt er so lange, bis das Weltganze sich ihm zu einem
Traumbilde verflüchtigt, das sich der Einzelne willkürlich ersonnen
hat. »Warum dürfte die Welt, _die uns etwas angeht_--, nicht eine
Fiktion sein?« fragt er sich (Jenseits von Gut und Böse 34), mit dem
Hintergedanken: _und also durch einen Gewaltakt umzuschaffen sein_?
 
Hierauf bezieht sich ein kurzes interessantes Kapitel in der
»Götzen-Dämmerung« (IV), dessen Absicht aber nur im Zusammenhang mit
den übrigen zerstreuten Bemerkungen Nietzsches über diesen Gegenstand
ganz verständlich wird. Es ist überschrieben: »Wie die »wahre Welt«
endlich zur Fabel wurde. Geschichte eines Irrthums.« und enthält eine
Skizzirung des philosophischen Entwicklungsganges von den Alten bis zu
uns. Die alte Philosophie fasste schon, wenn auch erst in naiver Weise,
den Erkennenden und sein Weltbild, die Person und die Wahrheit, als
identisch; sie gipfelte in der Umschreibung des Satzes: »ich, Plato,
_bin_ die Wahrheit.« »Die wahre Welt«, im Gegensatz zur unwahren,
scheinbaren, in der die Unweisen leben, ist, »erreichbar für den
Weisen,--lebt in ihr, _er ist sie_.« Im Christenthum trennt sich die
Idee der »wahren Welt« fortschreitend von der Persönlichkeit, indem
sie sich entmenschlicht und sublimirt, als Zukunftsverheissung, als
Versprechen über den Menschen auffliegt. Endlich, durch eine Reihe
von metaphysischen Systemen hindurch, verblasst sie bei Kant zu einem
blossen Schatten, »unerreichbar, unbeweisbar, unversprechbar,«--bis sie
sich, mit der endgiltigen Abkehr von aller Metaphysik, völlig zu Nichts
verflüchtigt: »Grauer Morgen. Erstes Gähnen der Vernunft. Hahnenschrei
des Positivismus.« Damit steigt die bisher, als scheinbar und unwahr
gescholtene Welt im Preise, weil sie die einzig übrigbleibende ist:
»Heller Tag; Frühstück; Rückkehr des bon sens und der Heiterkeit;
Schamröthe Plato's; Teufelslärm aller freien Geister.« Aber mit der
Einsicht in die Entstehung der Fabel von der »wahren Welt« haben wir
zugleich die Entstehungsweise des Weltbildes unserer Erkenntniss
überhaupt eingesehen. Jetzt, wo der Glaube an eine mystische »wahre«
Welt hinter der scheinbaren, durch Täuschung und Irrthum entstandenen,
uns nicht mehr tröstet, was bleibt uns noch übrig? »Mit der wahren
Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft,« die ja nur als
deren Gegensatz möglich war. Wieder ist der Mensch auf sich selbst
zurückgeworfen als auf den _Selbstschöpfer aller Dinge_. Wieder ist die
alte Fassung: »Ich, Plato, bin die Welt,« möglich geworden und steht
als letzte Weisheit am Anfang aller Philosophie, nun aber nicht mehr in
der naiven, noch ungebrochenen Identificirung von Person und Wahrheit,
von Subjekt und Objekt, sondern als klar bewusste und gewollte
Schöpferthat Dessen, der sich selbst als den Weltenträger erkannt hat.
»Ich, Nietzsche-Zarathustra, bin die Welt, sie ist, weil ich bin,
sie ist, wie ich will.« Dieses Ergebniss wird nur angedeutet in den
geheimnissvollen Schlussworten: »_Mittag; Augenblick des kürzesten
Schattens; Ende des längsten Irrthums. Höhepunkt der Menschheit;
Incipit Zarathustra_.«
 
Hier lässt es sich schon deutlich verfolgen, wie sich neue und ins
Mystische überschlagende Gedanken Nietzsches mit Elementen mischen
und verknüpfen, die er noch der modernen Erkenntnisstheorie entnimmt.
Und damit ist bereits der Punkt erreicht, von dem aus sich seine
neue Lehre aufbaut, und bei dem es sich nicht mehr um eine blosse
Gefühlsübertreibung gewisser allgemeingiltiger Einsichten handelt. Denn
aus der Thatsache der Begrenztheit und Relativität alles menschlichen
Erkennens, und aus der der Priorität des menschlichen Trieblebens
gegenüber demselben formt sich ihm unvermerkt der neue Typus des
Philosophen: das überlebensgrosse Bild eines Einzelnen, dessen
Gewaltwille über wahr und unahr entscheidet, und in dessen Hand das
Verstandeserkennen der Menschen ein blosses Spielzeug ist. Man könnte
sagen: dasjenige, was den Geist zu strenger Selbstbescheidung zwingt,
was ihn von allen Seiten bedingt und beeinflusst, das personificirt
sich Nietzsche unter dem Bilde einer zügellosen Allmacht, die er
auf einen übermenschlichen Einzelnen überträgt. Ja, in ihm sollen
alle Triebe und Kräfte alles Menschenthums dermaassen entfesselt
und gesteigert gedacht werden, dass die Quintessenz des Lebens, der
Kraft-Extract des Ganzen, in ihm gleichsam Person geworden ist, sodass
er auch die Erkenntnissnormen umzuprägen und zu verrücken im Stande
wäre. Doch geschieht dies nicht in einem Act der Contemplation, sondern
in einer schöpferischen That, als Handlung und Befehl, der an die Welt
ergeht. »--_Die eigentlichen Philosophen aber sind Befehlende und
Gesetzgeber_: sie sagen »_so soll_ es sein!« sie bestimmen erst das
Wohin? und Wozu? des Menschen-- --,--sie greifen mit schöpferischer
Hand nach der Zukunft-- --. Ihr »Erkennen« ist _Schaffen_, ihr
Schaffen ist eine Gesetzgebung, ihr Wille zur Wahrheit ist--_Wille zur
Macht_.« (Jenseits von Gut und Böse 211.) Ihre Philosophie »schafft
immer die Welt nach ihrem Bilde, sie kann nicht anders; Philosophie
ist dieser tyrannische Trieb selbst, der geistigste Wille zur Macht,
zur »Schaffung der Welt«, zur causa prima« (Ebendaselbst 9). Die
»cäsarischen Züchter und Gewaltmenschen der Cultur« (Ebendaselbst 207)
sind es, mit deren Erläuterung und Beschreibung sich Nietzsches ganze
Zukunftsphilosophie beschäftigt, ja, in deren Bilde ihr gesammter
Inhalt besteht. In seiner Erkenntnisstheorie wird ihnen nur der Boden
bereitet, in seiner Ethik und Aesthetik wachsen sie aus diesem Boden
immer höher hinauf in eine religiöse Mystik, in der Gott, Welt und
Mensch zu einem einzigen ungeheuren Ueberwesen verschmelzen.
 
Es ist leicht zu sehen, inwiefern sich Nietzsche mit dem Bilde dieses
Schöpfer-Philosophen seinen ehemaligen metaphysischen Anschauungen
nähert, wie er aber dieselben zugleich durch seine späteren
wissenschaftlichen Theorien zu modificiren sucht. Die »idealen«
Wahrheiten der Metaphysik mit ihren erhebenden und tröstenden Deutungen
des Welträthsels nimmt er nicht wieder auf, aber indem er überhaupt
mit der Möglichkeit einer »Wahrheit« aufräumt, indem er die Skepsis
in das Gebiet des Erkennens hineinträgt und sich auf den Standpunkt
»Alles ist unwahr« stellt, schafft er sich Raum, um einen _Ersatz_
für jene verlorenen idealen Wahrheiten und Trostgründe herzustellen.
Durch einen Machtspruch, durch einen Willensakt wird in die Dinge die
Bedeutung hineingelegt, die sie an sich selbst nicht haben; aus dem
Wahrheits-_Entdecker_, als welcher der Philosoph bisher galt, ist er
gewissermassen zum Wahrheits-_Erfinder_ geworden, zu einem Ȇberreichen
des Willens« (Jenseits von Gut und Böse 212), der zwar Unwahrheiten und
Täuschungen ausspricht, aber dessen schöpferischer Wille sie wahr, d.
h. zu überzeugenden Wirklichkeiten, zu machen weiss. »Wer seinen Willen
nicht in die Dinge zu legen weiss, der legt wenigstens einen _Sinn_
noch hinein« (Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile 18). Damit kehrt er
sich gegen die Metaphysiker, aber wie sie nimmt er sich das Recht zu
einer Umdeutung und Umschaffung der Dinge auf Grund der über die blosse
Verstandeskraft hinausgehenden Eingebungen des Gemüths.
 
In dieser persönlich gedachten Ueberlegenheit des Affektlebens über das
Verstandesleben, in welcher schliesslich der Wahrheitsgehalt einer
Erkenntniss als unwesentlich erachtet wird gegenüber ihrem Willens- und
Gefühlsgehalt, spiegelt sich rückhaltlos Nietzsches Geistesart, sein
innerstes Wesen und Sehnen wieder. Nach dem langen Zwang im Dienste des
strengen Wahrheitserkennens war dies eine Reaktion, deren Seligkeit
ihn in einen Taumel der Mystik hineinriss. Seine eigene Seele gibt
er jenem übermenschengrossen Schöpfer-Philosophen, in dem des Lebens
Fülle und Ueberfülle sich drängt und schöpferisch nach Entlastung
durch den Gedanken verlangt,--es ist der »tropische« Mensch, auf den
die Worte passen, die wir bereits im ersten Theile dieses Buches auf
Nietzsches tieferregtes Innenleben angewendet haben: »die umfänglichste
Seele, welche am weitesten in sich laufen und irren und schweifen
kann;-- -- --die sich selber fliehende, die sich selber im weitesten
Kreise einholt; die weiseste Seele, welcher die Narrheit am süssesten
zuredet: die sich selber bebendste, in der alle Dinge ihr Strömen und
Wiederströmen und Ebbe und Fluth haben« (Also sprach Zarathustra III
82).
 
Aber noch weiter geht diese unwillkürliche und gewaltsame Reaktion
gegen die vorhergehende Geistesperiode, und geht die unbewusste
Selbstwiderspiegelung in den Theorien, bis hinein in das persönlichste
Empfinden Nietzsches. Denn in ihnen treffen wir auch auf jenen
unheimlichen Zug in Nietzsches Seelenleben, wonach er sich nur in
der Selbstopferung und Selbstvergewaltigung befriedigte und seiner
Exaltation genug that. Wie er sich zuvor zur Unterwerfung unter die
Forderungen eines strengen Intellektualismus gezwungen hatte, so zwingt
er jetzt umgekehrt den Verstand, den Trieb zu rein intellektuellem
Erkennen, unter den Machtwillen der Affekte. Hatte er zuvor seinen
seelischen Menschen vergewaltigt, so vergewaltigt er jetzt den
erkennenden Menschen in sich. Er ruht nicht eher, als bis der Triumph
des entfesselten Lebenswillens zu einer Selbstverhöhnung des Verstandes
wird: in unheimlicher Weise resultirt schliesslich die höchste
Erkenntniss aus einer Selbstpreisgebung alles logischen Erkennens,--der
Denker wird »heimlich durch seine Grausamkeit gelockt und vorwärts
gedrängt, durch jene gefährlichen Schauder der _gegen sich selbst_
gewendeten Grausamkeit«.--er muss als »Künstler und Verklärer der
Grausamkeit« walten (Jenseits von Gut und Böse 229). Der menschliche
Geist taucht zuletzt freiwillig hinab in seine Vernichtung, denn nur so
empfängt er die höchste Offenbarung,--er taucht hinab ins Grenzenlose,
Maasslose, das über ihm zusammenschlägt, denn nur so erfüllt er
sein Ziel. Wir werden in der ganzen letzten Philosophie Nietzsches,
in der Ethik wie in der Aesthetik, den durchgehenden Grundgedanken
wiederfinden: _dass der Untergang durch das Uebermass_ die Bedingung
einer höchsten Neuschöpfung sei, und daher mündet auch Nietzsches
Erkenntnisstheorie in eine Art schauerlich--persönlicher Mystik aus, in
der die Begriffe Wahn und Wahrheit unlöslich verkettet sind, und das
»Uebermenschliche« daher kommt als ein Blitz, der den Geist treffen und
tödten, als ein Wahnsinn, mit dem sein Wahrheitssinn geimpft werden
soll: »Wollte ich doch, sie hätten einen Wahnsinn, an dem sie zu Grunde
gingen!-- -- --Wahrlich ich wollte, ihr Wahnsinn hiesse Wahrheit!--
--Und des Geistes Glück ist diess: gesalbt zu sein und durch Thränen
geweiht zum Opferthier,--wusstet ihr das schon? Und die Blindheit des
Blinden und sein Suchen und Tappen soll noch von der Macht der Sonne
zeugen, in die er schaute,--wusstet ihr das schon?« (Also sprach
Zarathustra II 33).
 
Aber dieses letzte Mysterium kann uns, wie das ganze Bild des
Schöpfer-Philosophen überhaupt, nur fortschreitend, in der Ethik
und Aesthetik Nietzsches, völlig deutlich werden, indem es, von den
abstrakten Grundlinien aus, stets körperhaftere Züge gewinnt, bis es
endlich, als eine mystische Wesensverklärung Nietzsches selber, in
seiner persönlichen Einzelgestalt vor unseren Augen steht.
 
Dass erst die Ethik der Erkenntnisstheorie ihre rechte Erläuterung
und Begründung giebt, erhellt schon aus dem Charakter des Erkennenden
als des wahren Trägers des Lebenswillens,--des Erkennenden als des
Handelnden und Schaffenden. Es gilt daher im höchsten Grade von
Nietzsches Philosophie, was er von den Systemen der Philosophen
überhaupt aussagt: »dass die moralischen-- --Absichten-- --den
eigentlichen Lebenskeim ausmachten, aus dem jedesmal die ganze Pflanze
gewachsen ist« (Jenseits von Gut und Böse 6). Dieser enge Zusammenhang
des Philosophen mit dem Leben als solchem und mit dessen menschlichsten
und persönlichsten Zwecken soll ihn am entschiedensten von allen Denen
trennen, die das Leben anfeinden oder pessimistisch ansehen. Er soll
der geborene Lebens-Apologet sein und seine Philosophie eo ipso eine
Lebens-Apotheose, denn zu sich selbst kann das Leben nur immer wieder
»Ja« sagen. In Wirklichkeit jedoch ist fast immer das Gegentheil der
Fall gewesen (Götzen-Dämmerung II I). »Über das Leben haben zu allen
Zeiten die Weisesten gleich geurtheilt: _es taugt nichts_.... Immer und
überall hat man aus ihrem Munde denselben Klang gehört,--einen Klang
voll Zweifel, voll Schwermuth, voll Müdigkeit am Leben, voll Widerstand
gegen das Leben.« War doch dieser geschwächte Lebenswille eine Folge
der Verfeinerung und Sublimirung ihres menschlich-thierischen Wesens,
der intellektuellen und beschaulichen Eigenart ihrer Natur,--war
es doch, nach Nietzsches ehemaliger Auffassung, gewissermaassen
zugleich ihr _Adelszeichen_, das sie von den geistig rohen Menschen,
vom _Pöbel_, unterschied und zu ihrer Führerrolle berechtigte. Hier
hat sich nun die Auffassung dahin verändert, dass nicht mehr auf
die Lebensdurchgeistigung, sondern auf die Lebensschwächung der Nachdruck gelegt wird. 

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