2015년 11월 26일 목요일

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 6

Friedrich Nietzsche in seinen Werken 6



In der That ist eine rechte Nietzsche-Studie in ihrer Hauptsache
eine _religionspsychologische_ Studie, und nur insoweit als das
Gebiet der Religionspsychologie bereits aufgehellt ist, fallen
auch helle Streiflichter auf die Bedeutung seines Wesens, seines
Leidens und seiner Selbst-Beseligung. Seine ganze Entwicklung ging
gewissermassen davon aus, dass er den Glauben verlor, also von der
»Emotion über den Tod Gottes«,--dieser ungeheuren Emotion, die bis in
das letzte Werk hineinklingt, das Nietzsche, schon auf der Schwelle
des Wahnsinns verfasste,-- bis in den vierten Theil seines: »Also
sprach Zarathustra«. _Die Möglichkeit, einen Ersatz[12] »für den
verlorenen Gott« in den verschiedensten Formen der Selbstvergottung_
zu finden, das ist die Geschichte seines Geistes, seiner Werke, seiner
Erkrankung. Es ist die Geschichte des »_religiösen Nachtriebes im
Denker_«, der noch mächtig bleibt, auch nachdem der Gott zerbrach,
auf den er sich bezog, und auf den Nietzsches Worte Anwendung finden
können: (Menschliches, Allzumenschliches I 223): »Die Sonne ist
schon hinunter gegangen, aber der Himmel unseres Lebens glüht und
leuchtet noch von ihr her, ob wir sie schon nicht mehr sehen.« Man
lese darüber den ergreifenden Gefühlsausbruch des »tollen Menschen« in
der »Fröhlichen Wissenschaft« (125). »Wohin ist Gott?« rief er, »ich
will es Euch sagen! _Wir haben ihn getödtet_!--ihr und ich! Wir Alle
sind seine Mörder!-- -- -- -- -- --Hören wir noch nichts vom Lärm der
Todtengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der
göttlichen Verwesung?--auch Götter verwesen! Gott ist todt! Gott bleibt
todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller
Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, ist
unter unseren Messern verblutet,--wer wischt dies Blut von uns ab?
Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen?-- -- -- --_Ist nicht die
Grösse dieser That zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern
werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen_? Es gab nie eine grössere
That,--und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser That
willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!«-- --
 
Die Antwort auf diesen Ausbruch von Qual und Sehnsucht gab sich
Nietzsche in seiner letzten Schaffensperiode mit den Worten
Zarathustras (I Schluss): »Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass
der Uebermensch lebe!«--und sprach damit den innersten Seelengrund
seiner Philosophie aus.
 
Die Gottsehnsucht wird in ihrer Qual zu einem Drang der Gott-Schöpfung,
und dieser musste sich nothwendig in Selbstvergottung äussern.
Mit richtigem Blick erkannte Nietzsche im religiösen Phänomen die
ungeheure Auslebung des individuellsten Verlangens, den Willen zur
höchsten Selbstbeseligung. Dieser Individualismus, der als Kern in
allem Religiösen steckt, dieser »sublime Egoismus«, der in allem
Religiösen frei und naiv ausströmt, indem er sich auf eine von aussen
gegebene Lebens-oder Gottesmacht zu beziehen glaubt, wurde in ihm,
dem »Erkennenden«, auf sich selbst zurückgeworfen. Und so gelangt er
dazu, sich die ihm vom Verstände aufgedrungene Gottlosigkeit mit dem
vermessenen Schlüsse innerlich anzueignen: »_Wenn_ es Götter gäbe, wie
hielte ich's aus, kein Gott zu sein! Also gibt es keine Götter.« Diese
Worte stehen im zweiten Theil des »Also sprach Zarathustra« (6); an sie
lassen sich jene anderen anschliessen (55): »_Und Anbetung wird noch in
Deiner Eitelkeit sein_!« In ihnen ist die ganze Gefahr ausgesprochen,
die über dem »Einsamen« und »Einzelnen« schwebt, der sich spalten und
verdoppeln muss. »Einer ist immer zu viel um mich.-- -- --Immer Einmal
Eins--das gibt auf die Dauer Zwei!« (Also sprach Zarathustra I 76.)
 
Die Art, wie er sich zu dieser Zweiheit stellte, wie er sich gegen
sie zur Wehre setzte oder ihr nachgab, und worin er sie jedesmal
suchte,--das alles bedingt den Wandel seiner Erkenntniss, sowie die
Eigenart seiner verschiedenen Geistesperioden--bis endlich seine
Zweiheit ihm zu einer Hallucination und Vision, zu einer leibhaften
Wesenheit wurde, die seinen Geist verdüsterte, seinen Verstand
erstickte. Er vermochte nicht sich länger gegen sich selbst zu wehren:
Dieses war das dionysiche Drama vom »Schicksal der Seele« (Zur
Genealogie der Moral, Vorrede XIII) in Nietzsche selbst. Die Einsamkeit
des Innenlebens, in welcher der Geist über sich selbst hinausgelangen
will, ist nirgends tiefer und schmerzvoller als zum Schluss. Man könnte
sagen, die stärkste Mauer in dieser verhängnissvollen Selbstvermaurung
sei ein zarter, glänzender, göttlicher Schein, der sie umgaukelt, eine
Luftspiegelung, die ihm die eigenen Grenzen verwischt und verbirgt.
Jeder Gang nach aussen führt immer wieder in die Tiefe dieses Selbst
zurück, das sich schliesslich zu Gott und Welt, zu Himmel und Hölle
werden muss--jeder Gang führt es einen Schritt weiter in seine letzte
Tiefe und in seinen Untergang.
 
Diese Grundzüge von Nietzsches Eigenart enthalten die Ursachen des
zugleich _Raffinirten_ und _Exaltirten_, das auch dem Grossen und
Bedeutenden in seiner Philosophie beigemischt ist gleich einer
brennenden Würze. Am schärfsten wird es wohl von der unverdorbenen
Zunge junger und gesunder Geister herausgeschmeckt werden,--oder
auch von denen, die, im ruhigen Frieden glaubensvoller Anschauungen
geborgen, niemals den ganzen furchtbaren Kampf und Brand eines religiös
veranlagten Freigeistes am eignen Leibe erfahren haben. Aber es ist
auch dasjenige, was Nietzsche in so hohem Masse zum Philosophen unserer
Zeit hat werden lassen. Denn in ihm hat typische Gestalt gewonnen,
was sie in ihrer Tiefe bewegt: jene »Anarchie in den Instincten«
schöpferischer und religiöser Kräfte, die zu gewaltig nach Sättigung
begehren, um sich mit den Brosamen begnügen zu können, welche vom Tisch
der modernen Erkenntniss für sie abfallen. Dass sie sich nicht mit
ihnen begnügen können. aber ebensowenig ihre Stellung zur Erkenntniss
preisgeben,-- gleich unersättlich im leidenschaftlichen Verlangen
wie unermüdlich im Darben und Entbehren,--das ist der grosse und
erschütternde Zug im Bilde der Philosophie Nietzsches. Das ist es auch,
was sie in immer neuen Wendungen zum Ausdruck bringt:--eine Reihe von
gewaltigen Versuchen, dieses Problem moderner Tragik, das Räthsel der
modernen Sphinx zu lösen und sie in den Abgrund zu stürzen.
 
Aber deshalb ist es eben der _Mensch_ und nicht der _Theoretiker_,
auf den wir unsern Blick richten müssen, um uns in den Werken
Nietzsches zurechtzufinden,--und deshalb wird auch der Gewinn, das
Resultat unserer Betrachtung nicht darin bestehen, dass uns ein
neues theoretisches Weltbild in seiner Wahrheit aufgeht, sondern
das Bild einer Menschenseele in ihrer Zusammensetzung von Grösse
und Krankhaftigkeit. Zunächst scheint die philosophische Bedeutung
in Nietzsches Wandlungen dadurch abgeschwächt zu werden, dass sich
jedesmal genau derselbe innere Process abspielt. Aber sie wird vertieft
und verschärft, weil der Wechsel der Ansichten immer wieder auf das
Wesen übergreift. Nicht nur die äusseren Umrisslinien einer Theorie
sind jedesmal verändert, sondern die ganze Stimmung, Luft, Beleuchtung
wandelt sich mit ihnen. Während wir Gedanken einander widerlegen hören,
sehen wir Welten versinken, neue Welten emporsteigen. Gerade hierauf
beruht die wahre Originalität des Nietzscheschen Geistes: durch das
Medium seiner Natur, die Alles auf sich und ihre intimsten Bedürfnisse
bezieht, aber sich auch an Alles hingebend verliert, erschliessen sich
ihm jene inneren Erlebnisse und Ergebnisse von Gedankenwelten, die
wir sonst nur mit dem Verstände streifen, ohne sie jemals in ihren
Tiefen auszuschöpfen und ohne daher an ihnen schöpferisch zu werden.
Theoretisch betrachtet, lehnt er sich häufig an fremde Muster und
Meister an, aber das, worin diese ihre Reife, ihren Productionspunkt
haben, wird ihm nur zum Anlass, daran zu eigner Productivität zu
gelangen.[13] Die geringste Berührung, die sein Geist empfand, genügte,
um in ihm eine Fülle innern Lebens,--Gedanken-Erlebens, auszulösen.
Er hat einmal gesagt: »Es gibt zwei Arten des Genie's: eins, welches
vor allem zeugt und zeugen will, und ein andres, welches sich gern
befruchten lässt und gebiert.« (Jenseits von Gut und Böse 248.)
Zweifellos gehörte er der letzteren Art an. In Nietzsches geistiger
Natur lag--ins Grosse gesteigert--etwas Weibliches;[14] aber er
ist darin in einem solchen Masse Genie, dass es fast gleichgiltig
erscheint, woher er die erste Anregung empfängt. Wenn wir alles
zusammenlesen, was sein Erdreich befruchtet hat, dann haben wir einige
unscheinbare Samenkörner vor uns: wenn wir in seine Philosophie
eintreten, umrauscht uns ein Wald schattenspendender Bäume, umfängt
uns die verschwenderische Vegetation einer wildgrossen Natur. Seine
Ueberlegenheit bestand darin, dass er jedem Samenkorn, welches in sein
Inneres fiel, entgegenbrachte, was er selbst als das Kennzeichen des
echten Genies anführt: »den neuen, treibenden Fruchtboden mit einer
urwaldfrischen unausgenutzten Kraft.« (Der Wanderer und sein Schatten
118.)
 
 
[1] Eine zusammenfassende Charakteristik Nietzsches, in der zum ersten
Male die drei Perioden seiner geistigen Entwicklung unterschieden und
bestimmt charakterisirt sind, erschien in der Sonntags-Beilage der
Vossischen Zeitung 1891, Nr. 2, 3 und 4. Ausserdem brachte die »Freie
Bühne« eingehendere Ausführungen einzelner Punkte unter dem Titel »Zum
Bilde Friedrich Nietzsches, Jahrg. II (1891), Heft 3, 4 und 5, Jahrg.
III (1892), Heft 3 und 5; das Magazin für Literatur 1892, October, »Ein
Apokalyptiker«; Der Zeitgeist 1893, Nr. 20, »Ideal und Askese«.
 
[2] Was das Leben--, die sogenannten »Erlebnisse« angeht,-- wer von uns
hat dafür auch nur Ernst genug? Oder Zeit genug? Bei solchen Sachen
waren wir, fürchte ich, nie recht »bei der Sache«, wir haben eben unser
Herz nicht dort--und nicht einmal unser Ohr!« (Zur Genealogie der
Moral, Vorrede III.)
 
[3] Eine ähnliche Bedeutung legte er seinen selten kleinen und
feinmodellirten Ohren bei, von denen er sagte, sie seien die wahren
»Ohren für Unerhörtes«. (Zarathustra I 25.)
 
[4] »Giebt es--eine Vorneigung für das Harte, Schauerliche, Böse,
Problematische des Daseins aus Wohlsein, aus überströmender Gesundheit,
aus der Ueberfülle selbst?------Giebt es vielleicht--eine Frage für
Irrenärzte--_Neurosen der Gesundheit_?« (Versuch einer Selbstkritik zur
neuen Ausgabe der »Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik« IV u.
IX.)
 
[5] Vgl. auch »Die fröhliche Wissenschaft« 253, »Eines Tages erreichen
wir unser Ziel--und weisen nunmehr mit Stolz darauf hin, was für lange
Reisen wir dazu gemacht haben. Wir kamen aber dadurch so weit, dass wir
an jeder Stelle wähnten, zu Hause zu sein.«
 
[6] Daher nennt er die Ueberzeugungen _Feinde der Wahrheit_:
»Ueberzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen.«
(Menschliches, Allzumenschliches, I 483).
 
[7] Durch diesen Trieb entwickelte er sich mehr, als er es selbst wahr
haben wollte, zu jenem »Don Juan der Erkenntniss«, den er (Morgenröthe
327) folgendermassen schildert: »Er hat Geist, Kitzel und Genuss an
Jagd und Intriguen der Erkenntniss--bis an die höchsten und fernsten
Sterne der Erkenntniss hinauf!--bis ihm zuletzt Nichts mehr zu erjagen
übrig bleibt, als das absolut _Wehethuende_ der Erkenntniss, glefich
dem Trinker, der am Ende Absinth und Scheidewasser trinkt. So gelüstet
es ihn am Ende nach der Hölle,--es ist die letzte Erkenntniss, die
ihn _verführt_. Vielleicht, dass auch sie ihn enttäuscht, wie alles
Erkannte! Und dann müsste er in alle Ewigkeit stehen bleiben, an die
Enttäuschung festgenagelt und selber zum steinernen Gast geworden, mit
einem Verlangen nach einer Abendmahlzeit der Erkenntniss, die ihm nie
mehr zu Theil wird!--denn die ganze Welt der Dinge hat diesem Hungrigen
keinen Bissen mehr zu reichen.«
 
[8] »Die Instincte bekämpfen _müssen_--das ist die Formel für
décadence: so lange das Leben _aufsteigt_, ist Glück gleich Instinct«,
sagt er (Götzen-Dämmerung, Das Problem des Sokrates 11), und
unterscheidet so den Dekadenten von der geborenen Herrennatur.
 
[9] Nietzsche fasst hier, nebenbei bemerkt, Goethe durchaus anders
auf als einige Jahre später (in der Götzen-Dämmerung). Hier sieht er
noch in ihm den Antipoden seiner eigenen, unharmonischen Natur--später
hingegen einen ihm tief verwandten Geist, der nicht harmonisch war,
sondern sich durch Ausgestaltung und Hingabe seiner selbst zum
Harmonischen _umschuf_.
 
[10] Vgl. auch Jenseits von Gut und Böse 224: »wir-- -- --sind erst
dort in unsrer Seligkeit, wo wir auch am meisten--in Gefahr sind.«
 
[11] »Versuch einer Selbstkritik«, in der neuen Ausgabe der »Geburt der
Tragödie aus dem Geiste der Musik« XI.
 
[12] Siehe in der Fröhlichen Wissenschaft (Scherz, List und Rache 38)
über die menschliche Bestimmung als erfüllt in der Gottschöpfung des Menschen:

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