2015년 11월 24일 화요일

Pitt und Fox 32

Pitt und Fox 32



Fox war und konnte jetzt alles; er hatte sehr viel gelesen, sehr viel
herumgehorcht und viel erfahren, manches Schwierige aus gedruckten
Abhandlungen auswendig gelernt. -- Ja du lieber Gott, die Menschen
führen immer das Wort »Kunst« im Munde, was ist denn nun eigentlich
Kunst? Er nagelte den andern mit seinen Augen fest, und dann wurde mit
scheinbarer intensiver Anspannung des Geistes irgendeine komplizierte
Definition geboren, die er tags zuvor gelesen und memoriert hatte. Er
schriftstellerte, es erschienen hier und da in den Blättern in der Tat
Artikel von ihm, mit seinem vollen Namen gezeichnet. Früher schon hatte
er politische Broschüren erscheinen lassen, diese aber alle anonym,
denn: -- Na, Sie können sich ja denken! Man zweifelte an seiner
Autorschaft, aber gelegentlich, wenn Freunde ihn besuchten, ließ er sie
einen Blick in die dunkle kleine Kammer tun: Da lagen die Broschüren
stoßweise, verstaubt, und er sagte bedauernd: Ja, vom Schriftstellern
wird man nicht reich, wenn man Talent hat. -- Die Broschüren hatte er
alle aus irgend einem Lagerraum, wo sie vergessen lagen, aufgekauft. Er
schrieb auch Essays über veraltete, altmodische Schriftsteller, die er
ausgrub auf Bibliotheken; sie erschienen zwar nicht gedruckt, aber die
Manuskripte lagen bei ihm zu Hause, und er las sie vor; sie klangen gut,
merkwürdig echt war darin der Stil der Zeit getroffen. Allerdings hatte
er alles eigentlich abgeschrieben aus irgend einem verschollenen Buch,
das niemand kannte. Seine Bemühungen, sich im Ansehen der Menschen
aufrecht zu erhalten und es immer noch zu steigern, waren allmählich ins
Groteske gewachsen und bedurften viel mehr Nachdenken und Aufwand als
seine früheren gelegentlichen Mystifikationen. Und da Fox im Grunde
eigentlich schwerfällig und faul war, so kostete ihn dies Treiben viel
Sorge und Selbstdisziplin. Er wurde ein Opfer seiner selbst.
 
Fox galt auch als guter Rezitator; es war bekannt, daß er einst
Schauspielstunde gehabt hatte und daß sein Lehrer ihm beim Abschied
sagte: Wenn _Sie_ nicht zur Bühne gehen, mach ich meine Unterrichtsbude
zu! -- Na, zur Bühne war er nicht gegangen, und im Vortrag der Gedichte
vermied er streng alles was an die Bühne erinnerte. Nicht scharf genug
konnte er die Unsitte der meisten Schauspieler verurteilen, die die
Gedichtform mit der dramatischen verwechseln, beim Vortrag mit den
Händen agieren und wie auf der Bühne Mimik treiben: Wie unendlich fein
hatte schon Goethe diesen Unterschied präzisiert! Auf _den_ Bahnen galt
es fortzuschreiten, da galt es wieder anzuknüpfen. Unwillkürlich geriet
Fox, wenn er so redete, in die Spuren seines Bruders, dessen Gedanken
er, getaucht in die Farbe seiner eigenen Sprache, wiederholte. Er konnte
dies ohne jede Gefahr, von Pitt hatte hier niemand eine Ahnung, niemand
war dabei gewesen, wenn er ihm seine Gedichte vortrug. Fox übte sich
auch im Aufstellen barocker Behauptungen, wie sie zuweilen von den
Lippen seines Bruders kamen. Bei Pitt waren sie ein künstlerisches
Spiel, er glaubte selbst nicht an sie, hielt sie aber, wenn man dann
opponierte, mit allen Mitteln der Dialektik aufrecht; diese fehlten Fox
nun gänzlich. Die Einwände, die man ihm entgegenwarf, nahm er nicht wie
Bälle, denen man geschickt ausweichen, denen man durch ein einziges Wort
eine neue Richtung geben, die man parieren und auf den Angreifer
zurückschlagen kann, sondern sie lagen da wie dicke Holzklötze, über die
seine Füße stolperten. Aber das schadete nichts: Mit einer Handbewegung,
wie Pitt sie liebte, wenn er seine Worte an mindere Leute verschwendete,
bis er selber ungeduldig wurde, schnitt er die Gegenrede ab und
verschanzte sich hinter eine vielsagende Miene, die bei ihm ganz von
selber dazu kam. Wie er noch mit Pitt zusammen war, ging sein ganzes
Bestreben dahin, selbständig neben seinem Bruder zu erscheinen, seinen
Einfluß zu verleugnen. Nun zehrte er sehr von der Vergangenheit, suchte
er seinen Bruder auch in seinen Äußerlichkeiten zu kopieren, verband er
dessen Sonderlichkeiten mit dem Pompe seiner eigenen Persönlichkeit, und
niemand sah das unscheinbare kleine Schiff, das diesen stolzen
Dreimaster in seinem Fahrwasser hinterherzog. Zuweilen war es, als wenn
die Maske plötzlich rutschte: So sagte er, ehe er seine Militärzeit
antrat, einmal mit kapriziös leidender Stimme: Dienen ist doch schlimmer
als tot sein! -- Nanu, Sintrup, rief einer, ich denke du willst es
mindestens bis zum Hauptmann bringen? -- Da sah ihn Fox erst unsicher
an, dann sammelte er sich und antwortete im schneidigst
zurechtweisenden, kurzen Tone: Na ja?!
 
Fox war gern gesehen in seinen Kreisen. Er zählte nun schon zu den alten
Semestern, zu den sehr alten sogar, denn sein Examen hätte er eigentlich
seit langem machen müssen, und Herr Sintrup wies in seinen Briefen
darauf hin, Pitt säße doch nun längst in »Amt und Würden«. Fox tröstete
dann immer mit dem Hinweis auf seine glänzende Karriere und auf die
wahnsinnig vorzüglichen Anlagen seines Kopfes. Und zunächst ließ sich
auch Herr Sintrup noch trösten, da er alles glaubte und ja auch
gedruckte und ungedruckte Bestätigungen dieser Talente erhielt. -- Aber
Fox brauchte enorm viel Geld, so daß Herr Sintrup sich oft fragte, wo
das noch hinauswolle. In den vornehmen Wirtshäusern war er ein gern
gesehener und bestbedienter Gast, dem es nicht darauf ankam eine ganze
große Gesellschaft freigiebig zu bewirten, wenn er in Laune war. Mit
Stolz sah er die Spitze seiner Nase sich braun färben und erklärte
denen, die den Grund nicht wußten, mit bedauernder Stimme, das käme vom
vielen Burgundertrinken, was auch der Fall war. Manchmal machte er sich
selber Sorgen um seine vielen großen Geldausgaben, und in der Erwägung,
daß man stückweise teurer einkauft als wenn man en gros bestellt, ließ
er sich zuweilen ganze Lieferungen kommen und legte sich auch aus
demselben Grunde einen Weinkeller an. Bezahlt wurde wenig oder nichts
von diesen Dingen, denn man kannte ihn als einen guten, sichern Kunden.
Überall erweckte er den Anschein größter Vertrauenswürdigkeit, und er
selber hielt sich für eine Art Ehrenmitglied der menschlichen
Gesellschaft. --
 
An festgesetzten Tagen der Woche besuchte ihn jetzt regelmäßig ein
Fräulein, welches in seiner übrigen Zeit einem durchaus einwandfreien,
anständigen Gewerbe nachging. Sie war jung und ziemlich hübsch, und
bezog ein monatliches Gehalt von ihm für ihre Toiletten, die stets
niedlich und sauber waren. Sie liebte Fox nicht gerade, aber sie hatte
ihn doch recht gern. Er fragte sie nie nach ihrer Vergangenheit, hatte
ihr aber angedroht, wenn er den Schein eines Verdachtes merke, so werde
Entsetzliches geschehen. Er habe von seiten seiner mütterlichen Familie
korsisches Blut in den Adern, sie solle es nicht in Wallung bringen! --
 
Sie verehrte ihn sehr, und da sie nicht viel Temperament besaß, ward es
ihr nicht schwer sein Gebot zu halten. -- Mädchen mit Temperament,
pflegte Fox zu sagen, sind nicht mein Fall; viel besser so eine, die
abwartet, wie man selbst gestimmt ist! Die haben keine Launen und man
kann immer auf sie rechnen; wenn man sich mal trennt, geschieht es ohne
Aufregung und Geschrei. -- Fox war dieser Dame zwar nicht absolut treu,
aber sie bestand auch nicht darauf, nachdem sie ihn erst darum gebeten
hatte und mit den kurzen Worten abgefertigt wurde: Männer sind einmal
polygam! was sie nicht verstand und sich erklären ließ.
 
Es gehörte zu Fox' Ehrgeiz, die Mädchen, die er liebte, zu sich
heraufzuziehen, ja er sah es sogar als seine soziale Pflicht an. -- Jede
Woche bekam das Fräulein ein neues Buch von seinem Regal, bis zum
nächstenmal mußte sie es durchgelesen haben und angeben können was darin
stand. Auch führte er sie in die Musikliteratur ein, indem er ihr Lieder
vorsang und wohl auch dieses oder jenes Musikstück vorspielte, das er
noch von seiner Gymnasiastenzeit her auswendig konnte. -- Er hatte jetzt
Singstunden genommen, seinem Programm der allseitigen Ausbildung
folgend. Er sang mit vielem Gefühl, und war es ein Volkslied, so wollte
das Fräulein unbefangen einstimmen, was er ihr aber, sich langsam auf
dem Klavierstuhl drehend, mit einem ausdrucksvollen Blick verbot. Dann
setzte er ihr den Unterschied auseinander zwischen Kunstgesang und
Naturgesang: Jedes für sich allein sei schön, aber beide zusammen
bildeten eine unerträgliche Einheit. Und sie nickte mit dem Kopf und
sagte, sie begreife alles. Wenn Fox sich dann auf seinem Stuhle
zurückdrehte und den Erlkönig von Schubert sang, so stand das Fräulein
leise auf, ging zu dem kleinen Schränkchen im andern Winkel des Zimmers
und entzündete eine Kerze, die sie dort brennen ließ. War Fox mit seinem
Liede fertig, drehte er sich wieder langsam mit seinem Stuhle, diesmal
nach der andern Seite, starrte das Licht, noch halb im Reiche der Musik,
aber doch wie etwas Bekanntes, Selbstverständliches an, erhob sich, nahm
es und verschwand, und kam nach einigen Minuten wieder, während deren
das Fräulein still seine Rückkehr erwartete und solange einfach die
Augen schloß. --
 
Selbst diesem Fräulein gegenüber war ihm sein eigentlicher und eigener
Wert nicht genügend, doch wandte er ihr gegenüber niemals komplizierte
Mittel an, um sich zu heben, sondern arbeitete nur mit groben, die ihren
Zweck vollständig erfüllten, denn sie glaubte alles, ohne sich jedoch
wesentlich dafür zu interessieren. Wenn sie so am Tisch saßen, und er
ihr von seinen grundlegenden Arbeiten auf diesem und jenem Gebiete
erzählte, nickte sie eifrig und dann immer unmerklicher mit dem Kopfe,
und erst wenn die Worte kamen: Ich kann dir sagen, mein neues Werk wird
wie eine Bombe einschlagen! wurde sie für einen Augenblick lebendiger,
da er bei dem Worte »Bombe« auf den Tisch schlug, was sie jedesmal etwas
zusammenfahren ließ, obgleich sie es ja eigentlich schon wußte.
 
Ist sie wohl etwas indolent? dachte er manchmal. Er gab sich dies im
Grunde zu, auch sah er, daß es ihm wohl nie gelingen würde sie zu sich
heraufzuziehen, aber das schadete auch nichts: Goethes Frau hatte auch
weit unter dem Olympier gestanden, mit dem er sich übrigens in keiner
Weise vergleichen wollte -- und dieses Fräulein würde er ja überdies
niemals heiraten, was sie auch ganz genau wußte und nicht erstaunlich
fand.
 
So hatte er Monate und Jahre ein breites und durch nichts verbittertes
Dasein geführt, als ihm sein Vater eines Tages mitteilte, er habe starke
geschäftliche Einbuße erlitten, es sei die höchste Zeit, daß Fox an sein
Examen denke. Er habe ihn nun lange genug erhalten und sei mit seiner
Geduld zu Ende. -- So sah er sich denn genötigt, sich von einem jener
eigens für diesen Zweck vorhandenen Individuen für das Examen einpauken
zu lassen. Ihm brummte der Kopf bei diesem Pauken, das Fräulein mußte
ihn überhören, und wenn etwas nicht stimmte, so hatte sie die Schuld.
Nach solchen Lernereien fühlte er dann das Bedürfnis sich auszuspannen.
Diese Ausspannungen wurden sehr häufig. Die leichteren Weine wirkten
nicht mehr, er trank ganz schwere; und auch die spülte er fast wie
Wasser hinunter; am nächsten Morgen war er dann untauglich zu jeder
Arbeit, und doch mußte er immer wieder trinken; der Wein war das einzige
was einigermaßen half gegen die Last der Arbeit und die düsteren Ideen,
die allmählich in ihm aufzusteigen begannen. Er fühlte, daß das gute
Leben ein für allemal ein Ende haben werde, zumal auch seine Gläubiger
in immer größerer Zahl anfingen sich zu regen und schließlich dreist und
dreister wurden. -- Fast ununterbrochen rauchte er die schwersten
Zigarren; seine Hände begannen zu zittern, sein Blick bekam etwas
Glasiges. Der Geist des Weines, eine schwirrende Fülle von Paragraphen,
der blaue Rauch des Tabaks, das alles wirbelte in ihm durcheinander. Das
Examen kam heran, ging über ihn, ließ ihn zurück, und Fox war
durchgefallen!
 
Andern Tags saß Herr Sintrup im Sofa und studierte die Kursberichte. Da
wurde ihm ein sonderbarer Brief überbracht; das Kuvert war unfrankiert,
zerrissen, und mit dem Bemerk versehen: Von der Post verschlossen. Die
Buchstaben der mangelhaften Adresse waren verklext und tanzten auf und
nieder, und ebenso sah es auf dem Briefbogen aus, auf dem irgendeine
Flüssigkeit halb klebrig eingetrocknet schien. -- Aus einem
Entrüstungsruf fiel Herr Sintrup in den andern: Diese Schande, diese
Gemeinheit, diese Schamlosigkeit! Frau Sintrup trat verschlafen ein, und
nun hörte sie es: Fox war durchgefallen, und damit nicht genug: In der
Betrunkenheit hatte er diesen Brief geschrieben, in vollkommenster
Betrunkenheit! Als einen Witz teilte er seine Schande mit! Seine Schande und seine Schulden!

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