2015년 11월 24일 화요일

Pitt und Fox 34

Pitt und Fox 34


Ernst, ohne nach rechts und links zu sehen, kam er endlich wieder aus
seinem Separatzimmer heraus, dessen Schlüssel nachdrücklich und schwer
sich im Schlosse gedreht hatte, und die Kellner, die nichts von allem
begriffen, sahen ihm nach als wenn er verrückt geworden wäre.
 
An das Examen wurde nun überhaupt nicht mehr gedacht, Herr Sintrup war
verzweifelt, aber Fox schrieb ihm ganz gelassen, es könne ihm doch ganz
egal sein, was er tue, denn er lebe ja nun nicht mehr von seinem Gelde;
er berief sich außerdem auf Pitt, der ja ebenfalls jetzt sein Leben
genieße, seinen Referendar an den Nagel gehängt habe und auf Reisen
gegangen sei.
 
Traurig und bekümmert war Herr Sintrup: was sollte nur aus seinen Söhnen
werden! Und er selber arbeitete sich für diese Söhne ab, für nichts und
wieder nichts! Er war doch auch noch nicht mit dem Leben fertig! Es
regte sich in ihm eine Bitterkeit gegen das Schicksal. Seine
Geschäftsreisen wurden häufiger und endeten immer häufiger mit
ungeschäftlichen Abschlüssen. Sollte er am Ende noch einmal heiraten?
Mausi hatte ihm selbst gesagt: Traure mir nur nicht nach, das hat gar
keinen Zweck und ist kindisch. Der Mensch lebt und stirbt, und was liegt
denn schließlich an einem Menschen? Ehe er da war, hat ja doch niemand
an ihn gedacht, also was kann da so Besondres dran sein! -- Ja, das
hatte Mausi gesagt und ihn darauf hingewiesen, daß er ihr ja auch
während ihres langen Zusammenlebens nicht immer treu war. Sollte er
wieder heiraten? -- Vorläufig nahm er eine Hausdame, und alsbald gingen
die bedenklichsten Munkeleien über ihn und diese Dame um, die von
auswärts kam, voll und beinah üppig, und deren musternde Augen mehr als
Hausfrauentugenden spiegelten. Man begann sich leise von diesem Hause
zurückzuziehen, und nur einige Junggesellenfreunde frequentierten es
seither mehr, interessiert den neuen Zustand prüfend.
 
Fox erfuhr von diesen Dingen durch alte Schulfreunde, die es für ihre
moralische Verpflichtung hielten ihm alles mitzuteilen. Aber er berührte
diese Fragen niemals, schon deshalb nicht, weil er jetzt so gut wie ganz
außer Korrespondenz mit seinem Vater war, und dann: Männer haben Männern
in solchen Dingen nicht dreinzureden.
 
Pitt war auf Reisen, Fox fand, er müsse auch Reisen machen. Aber während
Pitt vernünftig Geld ausgab, berechnend, wie lange er mit ihm reichen
werde, gab Fox es in unsinniger Weise aus, zumal er nicht allein reiste.
Das Fräulein hatte erst gedacht es käme mit, aber Fox setzte ihr
auseinander, daß da noch andere warteten, und daß sie noch längst nicht
an die Reihe käme. -- Da sagte sie, sie könne sich nur dann dazu
verstehen, die Beziehungen mit ihm weiterzuführen, wenn es in der
Zwischenzeit genau so wäre, als wenn Fox am Orte bliebe, das heißt, wenn
sie ihre Unterstützung weiter von ihm empfinge. Das fand er
selbstverständlich, nachdem er im ersten Gefühle dagegen opponieren
wollte. --
 
Nach ein paar Monaten war er schon wieder da: Die Menschen sind
verschieden, sagte er zum Fräulein, mein Bruder gondelt weiter in der
Welt herum; _ich_ sage mir, zu Hause ist es doch am besten; man hat sein
festes Heim und -- also ich habe mich wirklich nach dir gesehnt --
direkt nach dir gesehnt! So etwas im besten Sinne Anspruchloses wie dich
gibt es doch nicht wieder! Ich bin dir immer treu geblieben, seelisch
treu geblieben, von Anfang bis zu Ende, wahrhaftig'n Gott! Jetzt leben
_wir_ aber mal schön fidel zusammen, was? Er faßte das Fräulein um die
Taille, und sie sagte: Drücke mich doch nicht so, Robert. -- Von seinem
Vornamen Fox wußte sie gar nichts. --
 
Es bildete sich jetzt ein Kreis von Existenzen um ihn, der ihm
schmeichelte und von ihm profitierte. Fox hielt lange Reden über Studium
und Bildung, und wenn er fragte: ist das nicht glänzend, was? nickten
jene mit eifrigen Worten und sahen dabei zerstreut auf die Likörflasche,
auf den Wein, auf die Zigarren, denn ihr Interesse war durch Entbehrung
noch viel mehr auf diese Genüsse gerichtet als bei Fox, der alles aus
dem vollen nahm. Sie getrauten sich anfangs nicht immer wieder selbst
von neuem zuzugreifen, verloren aber im Laufe der Zeit alle
Schüchternheit, und den Übergang zu rücksichtslosem Sichaneignen
bildeten sie, indem sie irgend einen Satz mit augenscheinlicher
Geisteskonzentration sagten und dabei wie in Zerstreutheit mit der Hand
in die Luft langten, bis sie den ersehnten Gegenstand ergriffen fühlten.
-- Sie umgaben Fox wie ein Stab, und er sagte manchmal zu dem Fräulein:
Wirklich, es kommt nicht darauf an, daß der Mensch bei Ministern
verkehrt, den eigentlichen Adel, den Geistesadel, findet man auch
anderwärts! Ich wundere mich, wo auf einmal so viele echte einfache
Bescheidenheit herkommt in meinem Bekanntenkreise, so viel neidloses
Anerkennen eines andern, der mehr bedeutet als sie selbst -- ich meine
mich damit.
 
Fox wurde allmählich ausgesogen. Man zehrte von seiner Freigebigkeit,
ließ es nicht genug sein von den Wirkungen seines Geldes zu leben,
sondern bat ihn um direktes Geld. Er gab immer und bekam nie etwas
zurück. Oft nahm er sich vor nein zu sagen, aber er vermochte es nicht.
Dies Gefühl, in die Westentasche zu greifen und dort vornehm mit dem
losen Gold zu klimpern, es hervorzuholen wie wenn es Pfennige wären und
es von oben in eine ausgestreckte leere Hand zu legen, war zu angenehm,
es war zu schön, zu denken, daß der andere dächte: Ja, der hat's gut,
dem macht es nichts ein paar Goldstücke weniger zu haben. -- Immerhin
konnte Fox sein gutes Leben mit diesem Gelde eine gute Weile weiter
fristen, obgleich er sehr viel ausgab, aber dann begann die Zeit der
Sorgen wieder. Er berechnete, wie lange er sich noch halten könne; dann
erhielt Pitt einen Brief: Er habe gewiß etwas Geld für seinen Bruder
übrig, und wirklich schickte ihm Pitt eine größere Summe, obgleich er
sich sagte, daß es dann mit seinem eigenen Wohlleben schneller zu Ende
gehen werde. Aber er dachte: dies Geld würde vielleicht für ein halbes
Jahr länger reichen, nehmen wir an, es läge schon in der Vergangenheit.
-- Fox hielt sich noch ein paar Monate und dann begannen die früheren
Jämmerlichkeiten wieder. Schulden hatte er schon längst wieder gemacht,
zu einer Zeit noch, wo er alles hätte bar bezahlen können, und, so wie
damals, begannen die Gläubiger jetzt sich zu regen, erst einzeln, dann
immer mehr. Es gelang ihm neue Anleihen zu machen, die er zum Teil dazu
verwendete, alte zu begleichen. Schließlich brachte er in diese ganze
Tätigkeit ein wohlüberlegtes System: Einer mußte immer den andern
substituieren. Alle bildeten ein in sich geschlossenes Ganzes, das sich
in sich selbst verschob, das leise hin und her schwankte, da Fox den
Schwerpunkt bald hier-, bald dorthin verlegte. Aber allmählich brachen
von dieser Scholle, auf der er selber trieb, einzelne Stücke ab, sie
wurde kleiner und kleiner, man weigerte sich, ihm weiter zu borgen.
 
Was soll nur werden! dachte er nun öfter und öfter. Seinen Vater
nochmals um Unterstützung anzugehen erschien ihm zwecklos, zumal er
nicht recht wußte, ob er mit ihm eigentlich gebrochen habe oder nicht.
Waren die Gläubiger das erstemal schon zudringlich und dreist, so
stürzten sie sich nun auf ihn wie losgelassene Hunde. Jeder wollte
derjenige sein, der aus dem allgemeinen Ruin noch sein Teilchen Habe
herausriß. Fox' Manipulationen wurden fieberhaft und sinnlos. Er
schickte Blumensträuße, wie wenn seine Lieferanten Primadonnen wären.
Stück für Stück verkaufte er von seinen Sachen, was nur irgend zu
verkaufen war. Zuletzt wanderte seine goldene Uhr und sein Brillantring,
das alte Familienerbstück, ins Versatzamt. Endlich entschloß er sich
doch an seinen Vater zu schreiben; das schlimmste was die Folge sein
konnte, war eine Weigerung. Er bat um weitere Unterstützung für ein Jahr
und um Begleichung seiner Schulden; dafür wollte er dann auch sicher das
Examen machen und das Geld nur als geliehen betrachten. Herrn Sintrups
Antwort war ein Wutschrei. Kaum kannte Fox diese wilde Handschrift
wieder, die sonst stets denselben kaufmännischen, kulanten Duktus
führte. Wie Ohrfeigen klatschten ihm die Worte um den Kopf. Am Schluß
des Briefes stand: Entweder ich stecke dich als Lehrling in ein Geschäft
in irgend einem Orte, wo dich und mich niemand kennt, und dann zahle ich
deine Schulden, oder du bleibst wo du bist, gehst hin wo du magst, und
dann will ich nie wieder das geringste von dir hören.
 
Aus dem Gefühl der Zerschmetterung, das Fox zu Anfang ausschließlich
beherrschte, löste sich allmählich eine tiefe Entrüstung heraus, die
sich in seiner Antwort in eine kalte, höfliche Reserve umwechselte: Auf
den Lehrjungenstand verzichte er, im übrigen erlaube er sich, über seine
Pläne Stillschweigen zu bewahren, da er bei seinem Vater kein Interesse
voraussetze und, selbst wenn solches bestände, sich nicht in der Lage
sähe es zu befriedigen. Diesen Brief schickte er eingeschrieben und nahm
sich vor, eine etwa eintreffende Antwort uneröffnet zurückzuschicken. Er
wollte seinem Vater schon zeigen was ein stilvolles Benehmen ist! Aber
es kam keine Antwort, und nun dachte er: Da steckt nur die Person
dahinter, die jetzt im Hause ist! Ohne sie wäre der Alte ganz anders! --
 
Was blieb nun übrig? Fliehen? Wohin? Wahnsinnig erschien ihm dieser
Ausweg. -- Aber -- rief er plötzlich, liegt nicht auch im Wahnwitz oft
ein Sinn, ein tiefer Sinn sogar, der sich nur nicht leicht enthüllt?
Wenn ich jetzt fortgehe von hier, ist das wahnsinnig? _Muß_ nicht irgend
etwas erfolgen, wo ich auch bin? Und besser anderswo, wo man mich nicht
kennt, als hier, in dem verfluchten Neste! Es fiel ihm auch ein, daß in
Romanen oft Wendepunkte eintreten, wo niemand weiß wie es nun weiter
geht, und wo dann doch etwas passiert. War das nicht im grünen Heinrich
so? Und er selbst war gar nicht einmal mehr grün! Aber er fühlte: Er
stand an einem Wendepunkte seines Lebens, im Brennpunkte seiner
Entwicklung, das Leben selbst packte ihn nun mit seinen Klauen. Seine
»Bekenntnisse« wollte er später schreiben; war Rousseau nicht auch
einmal Kellner gewesen oder so was? -- Er wollte sich jedem Dienste
unterwerfen, die härteste Arbeit übernehmen, -- immer schon mit der
Gewißheit, daß ihn dann später das Leben um so glänzender entschädigen
müsse.
 
Als das Fräulein ihn am Freitag besuchen wollte, war er nicht mehr da;
seine Hauswirtin erzählte unter Tränen, wie sie am letzten Feiertag über
Land gegangen sei, und als sie heimkam, war der saubere Herr mit Koffern
und Habseligkeiten verschwunden. Sie habe sofort an seinen Vater einen
Eilbrief geschrieben, aber Herr Sintrup habe geantwortet, sein Sohn sei
mündig und er selbst hafte für nichts mehr was ihn beträfe. -- Das
Fräulein antwortete nicht viel und ging noch einmal in sein Wohnzimmer,
um nachzusehen, ob er nichts zurückgelassen habe was sie noch irgendwie
gebrauchen könne, aber selbst die Likörflasche, die immer im Winkel
neben dem Klaviere stand, selbst die hatte Fox nicht vergessen: Dick,
leergetrunken stand sie da, und wie sie die Nase daran hielt, duftete
ihr ein recht trauriger, abgestandener Geruch entgegen.
 
 
Intermezzo.
 
Fräulein Nippe saß im Stadtgarten, auf der kleinen Bank neben der
Marmorgruppe: »Venus, Amor die Flügel beschneidend.« Auf ihrem Schoß lag
»Waldmeisters Brautfahrt« aufgeschlagen, aber sie las wenig darin, bei
jedem fernen Schritte durchzuckte es sie unruhig, -- bald mußte er
kommen! --
 
Wie heilig hatte sie ihre Rolle gespielt, im Schicksal Lottes und Herrn
Könneckes! Und was war nun der Dank dafür? Sie fühlte sich abgesetzt,
ihre Rolle war ausgespielt, man brauchte sie nicht mehr. Und sie war
doch innerlich noch so jung, ihr Herz verlangte noch nach Liebe. --
 
Es nahten Schritte. Sie besah schnell noch einmal ihre Fingernägel und
nahm dann »Waldmeisters Brautfahrt« mit nachlässiger Eleganz zwischen
die Finger. Ein junger Mann; sie umfaßte schnell die Erscheinung:
Soigniert, proper, adrett. -- O Gott, wenn er das doch wäre! Ob er das
wohl war? Er kam näher, er schien nicht überrascht als er sie sah, und
erst, als in ihren unverwandten Blick etwas wie eine leise Beschwörung
trat, schien er zu stutzen, doch er ging vorbei und warf nur einen
flüchtigen, etwas verwunderten Blick auf sie zurück. -- Ob er es dennoch
war? Hatte er vielleicht nur den Mut nicht, sie anzureden? War er zu
schüchtern? -- Sie zog eine Offerte aus der Tasche und räusperte sich
laut. Aber die Gestalt verschwand langsam in dem Grün. »Herr von
mittleren Jahren« hieß es auf dem Papier. -- Nein, ihr schnelles,
impulsives Herz hatte ihr wieder einmal einen Streich gespielt, dies war
kein Herr von mittleren Jahren, oder vielmehr: Leider war der Herr von
mittleren Jahren nicht dieser junge Mann. Und sie hatte sich in den wenigen Augenblicken schon in diese Gestalt eingelebt, sie sah ihn schon in Gedanken auf irgendeiner Hotelterrasse Kaffee trinkend, sich gegenübersitzen, und hinter ihnen erhoben sich blaue Berge.

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