2015년 11월 24일 화요일

Pitt und Fox 36

Pitt und Fox 36



Als sie sich auf den Rückweg machte, begegnete ihr wieder jener junge
Mann, den sie zuerst gesehen, diesmal mit einem Mädchen am Arm. --
Unsauberes Pack! dachte sie; die Unsittlichkeit macht sich am hellen
Tage breit! In diesem Satze entdeckte sie einen Reim, und nun reimte sie
bewußt weiter, und dachte: So entstehen Gelegenheitsgedichte! --
 
Sie erkundigte sich in den nächsten Tagen wirklich bei jenem Chef, der
Bescheid lautete günstig, so günstig, daß sie sich beinah ärgerte. Hatte
sie doch gehofft, ihn zu entlarven! Aber nein: Sie sah doch nun, es war
ein guter Mann, und wenn sie ihn auch nicht heiraten wollte -- zu
kränken brauchte sie ihn auch nicht. Er hatte ihr Vertrauen gezeigt, er
war vor ihr auf die Knie gesunken -- oder war er _nicht_ vor ihr auf die
Knie gesunken? nun, jedenfalls hätte er es tun können -- und wenn er sie
später auch beleidigt hatte -- umso größer würde sie dastehen, wenn sie
sich einfach, vornehm benahm. Sie wollte hingehen zu ihm, sie wollte ihm
sagen, daß sie nur Freundschaft für ihn empfände, sie würde ihm beide
Hände reichen, er würde beide Hände küssen, und dann -- dann ging sie
wieder. -- Sie schrieb ihre Postkarte und war am nächsten Tage in Herrn
Feihses Wohnung, die mit allem »Kongfohr« ausgestattet war, wie sie,
sich umblickend, bemerkte. -- Er rückte ihr sogleich den besten Sessel
hin, mit zitternden Händen, ach Gott, wie war der Mann erregt! auch
damals zitterten seine Hände! -- und dann wollte er sich sogleich daran
machen, Kaffee zu kochen. Sie nahm ihm aber das Geschäft ab. So blieb er
in seinem Lehnstuhl sitzen und verfolgte jede ihrer Bewegungen. Wie
weltdamenmäßig sie den kleinen Finger hob, als sie jetzt die Tasse zum
Munde führte! Kaffee, sagte sie, sei die einzige Freude, die ihr das
Leben biete. Sie könne Kaffee trinken bis sie umfalle. Seine Augen
ruhten stets mit einem stillen, fragenden Blick auf ihr. Sie sah ein
wenig verlegen auf dies Gesicht, das da so unverwandt und gerade auf sie
blickte, mit einem so sprechenden, stummen Ausdruck! Heute war er ganz
anders als damals, wo er immer so geschäftsmäßig redete. Und nun
erzählte er, wie er schon als Kind die Kümmernis des Lebens kennen
lernte; aus ganz kleinen Verhältnissen stamme er, als Knabe habe er
Streichhölzer verkauft an Straßenecken; er selber habe früh die Pflicht
gehabt, für die jüngeren Geschwister zu sorgen, aus denen dann aber auch
später lauter tüchtige Leute geworden wären. Sein höchster Wunsch, wie
er klein war, sei gewesen, sich einmal photographieren zu lassen: Er
habe sich das Essen am Munde abgespart, bis er den halben Silbergroschen
zusammen hatte; das kleine Jahrmarktsbildchen besitze er heute noch. --
Zeigen Sie es mir, sagte Fräulein Nippe weich, es interessiert einen
doch, die Wurzeln von dem zu kennen, was wir jetzt als Baumkrone vor uns
sehen! --
 
Halb in Dankbarkeit, halb noch in Nachsinnen verloren, begab er sich zu
einem kleinen Eckschrank im äußersten Winkel des Zimmers, und zwar --
hinkte Herr Feihse, so wie es ihm das Angemessene und Natürliche war.
Fräulein Nippe sah erst voll Verwunderung seine Hüfte jenseits des
großen Tisches, den er halb umkreiste, abwechselnd auftauchen und wieder
verschwinden, dann machte sie ihrem Erstaunen in klaren Worten Luft. --
Herr Feihse blieb im selben Augenblick stehen, errötete bis an die
Haarwurzeln und sah aus wie ein ertappter ehrlicher Mensch, den der
Hunger zwang, Brot zu stehlen. --
 
Denken Sie nicht schlecht von mir! sagte er endlich, indem er zurückkam,
denken Sie nicht, ich hätte es _immer_ vor Ihnen verheimlichen wollen!
Es war nur für den Anfang! Ich weiß ja nicht, ob ich sonst irgendwelche
_guten_ Eigenschaften habe, aber ich dachte mir: wenn sie gleich zu
Anfang _diese_ hier bemerkt, so ist es wahrscheinlich von vornherein
verfehlt! Besser, sie lernt erst andere kennen. Wenn Sie aber daraufhin
_gehen_ wollen und _nicht wiederkommen_ -- -- dann gehen Sie! Es ist mir
zwar schmerzlich, aber ich habe im Leben genug Püffe bekommen; einer
mehr oder weniger schadet nichts! Fräulein Nippe hielt es für angemessen
zu betonen, daß sie auf Nichthinken keinen Wert lege: der Körper mag im
Staube kriechen, wenn nur die Seele Flügel hat! --
 
Sie konnte sich diese Worte leicht gestatten, denn ihr Vorsatz, Herrn
Feihse nicht zu heiraten, verdichtete sich noch. Er aber faßte ihre
Worte ganz anders auf, und nun trat das ein, was Fräulein Nippe visionär
voraus gesehen: Er küßte ihr zwar nicht beide Hände, aber wenigstens
doch eine. -- Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen! Sie finden für alles
einen so schönen und dichterischen Ausdruck! Dann setzte er hinzu, sein
Schaden habe schon öfter bei einer Ehe, die er zu schließen gedachte, zu
seinen Ungunsten den Ausschlag gegeben. Noch nie habe er eine Dame
kennen gelernt, die so vorurteilslos sei wie Fräulein Nippe. -- Sie
wollte entgegnen, aufklären, aber sie schwelgte so sehr in der
Vorstellung, die er von ihr hatte, daß sie es nicht vermochte. --
 
Sehen Sie, erzählte er, Sie würden nicht das geringste bemerken, wenn
ich damals gut geheilt worden wäre! Aber lieber Gott, woher sollten
meine armen Eltern das Geld nehmen! Auf dem Glatteis bin ich gefallen,
damals in der Neujahrsnacht, wie ich als Knabe meine Streichhölzer
verkaufte, zitternd vor Kälte, daß ich sowieso nicht fest auf meinen
Beinen stand. Wenn da außerdem noch ein Betrunkener kommt und einen
anrennt -- -- -- ja ja, ich habe eine harte Schule durchgemacht! --
Fräulein Nippe tat dieser Mann leid. Sie sah ihn teilnahmsvoll an und
dachte: Heute kommt doch viel mehr Herz raus als damals auf der Bank!
Man kann doch den Menschen niemals ansehen, was in ihnen steckt! Ein
eigenartiger, interessanter Mensch ist er auf alle Fälle! -- Und er
erzählte weiter, wie er sich später vom Lehrling an in einem kleinen
Seifengeschäfte langsam, langsam emporgearbeitet habe: Aber
Unehrlichkeit, falsches Wesen duldete ich nie und nimmer! Dadurch habe
ich die Menschen viel vor den Kopf gestoßen, dadurch habe ich meine
besten Freunde verloren; ich verstehe nun mal nicht zu schmeicheln! Das
haben Sie ja selbst auch schon bemerkt; ja ich tue noch viel bärbeißiger
als ich bin. Es ist mir das ein Prüfstein für die Menschen! Aber die
Menschen wollen nun einmal nicht die Wahrheit hören. So bin ich
allmählich ganz vereinsamt. Sehen Sie, wie ich mich abends in meinen
Mußestunden beschäftige! -- Er hinkte, sich etwas zusammennehmend, auf
das Eckschränkchen zu und brachte ein Schächtelchen zurück, das lauter
kleine geschnitzte Knochengegenstände enthielt. -- Das ist ein
Geduldspiel! erläuterte er, und damit spiele ich jeden Abend den Gott
werden läßt, und freue mich wie ein Kind daran. Ich möchte ja so gern
manchmal was anderes tun -- Sie lächeln über meine Einfachheit! -- zum
Beispiel gern einmal ein gutes Buch lesen, aber wer _nennt_ mir denn ein
gutes Buch?! Es fehlt mir die geistige Anregung! Und dann: _wenn_ ich
ein Buch lese, so möchte ich mich auch gern darüber aussprechen, andere
Meinungen hören und aus ihnen lernen. Sehen Sie, so geht es mir! -- O,
Bücher lese ich genug! sagte Fräulein Nippe lebhaft; was halten Sie zum
Beispiel -- nun, sagen wir mal: -- Ach bitte! unterbrach sie Herr
Feihse, fragen Sie mich nicht! Ich müßte mich wahrscheinlich vor Ihnen
schämen! -- -- Zum Beispiel -- nun, sagen wir mal -- -- der Kampf um
Rom! Den kennen Sie doch! -- Er schüttelte den Kopf. -- Nicht?! Aber
Faust, das kennen Sie doch natürlich! -- Wo der Teufel drin vorkommt?
Ja, ich habe wenigstens davon gehört! -- Oder -- Hasemanns Töchter! Herr
Feihse bewegte etwas ungeduldig den Kopf. -- Aber jetzt passen Sie mal
auf, jetzt nenne ich was ganz Leichtes, wenn Sie _das_ nicht kennen ...
Herr Feihse war rot geworden und sagte erregt: Haben Sie mich denn nicht
verstanden? Lassen Sie doch die Fragen! Was soll denn das eigentlich?
Bin ich hier in einem Examen? Wollen Sie mit Ihren Kenntnissen prunken?!
-- Unter andern Umständen wäre Fräulein Nippe einfach aufgefahren. Aber
sie hatte einen viel besseren Blitzableiter: Oho! dachte sie, ich lasse
das Barometer einfach wieder sinken! und sie machte ein so eisiges
Gesicht, wurde so einsilbig, daß Herr Feihse traurig, aber mit fester
Stimme sagte: Ich sehe, wir passen nicht zueinander! -- Und, wie das
erstemal, lenkte Fräulein Nippe auch jetzt wieder ein. -- Falls Sie noch
einmal wiederkommen, sagte Herr Feihse zum Abschied, indem er sie still
ansah, so bringen Sie mir doch mal so ein Buch mit! Ich bin dankbar,
wenn ich von Ihnen lernen kann! Sie wollte antworten, daß es wohl besser
wäre, sie sähen sich nicht wieder. Aber schließlich: wenn sie wiederkam,
so verpflichtete sie das ja zu gar nichts! Und sie hätte so gern gehört,
was er über Hasemanns Töchter dachte. --
 
Sie kam auch wieder, sie lasen Hasemanns Töchter mit geteilten Rollen,
sie fand Gelegenheit zu belehren, ihr überlegenes Wissen anzubringen,
hinzudeuten auf Größeres: die echte Kunst sei noch etwas ganz anderes;
dies hier sei so wie die kleinen Hügel am Gebirge, ehe die eigentlichen,
die Riesen kämen: Shakespeare als die gewaltigste Zacke inmitten eines
niedrigeren, aber immer noch erhabenen Getümmels. Und sie begann
herzusagen, was sie noch von ihrer Desdemona wußte. Herr Feihse war
entzückt und konnte nicht genug betonen, eine wie goldne Jugendlichkeit
sie sich bewahrt habe, eine wie große Frische und Lebendigkeit des
Interesses! Auch ihr sehe man es ja mit Deutlichkeit an, daß das Leben
nicht liebevoll mit ihr verfuhr, aber sie habe sich den jugendlichen
Kern keusch und rein bewahrt!
 
Er nahm nun leise einen andern Ton an, einen Ton, gemischt aus Verehrung
und chevaleresker Höflichkeit und einem leise neckischen Elemente, das
mit besonderer Prägnanz in seiner Anrede zutage trat: Fräulein
Desdemona! so nannte er sie, erst nur scherzhaft und gelegentlich, bis
sie ihn bat, sie doch immer so zu nennen. Sie lasen dann das Werk
zusammen, und nun wollte er, daß sie ihn auch Othello nennen solle; aber
sie erklärte, dies sei zu plump, und außerdem: Es wäre eine schlechte
Vorbedeutung! Sie sah ihn halb kokett von der Seite an. In letzter Zeit
hatte sie derartige Andeutungen öfter gemacht. Dann wieder, wenn _er_
sich solche Andeutungen erlaubte, ging sie mit einem Gesichte, als
verstände sie sie nicht, darüber hinweg, mit einem Ausdruck, als habe er
eine Zweideutigkeit gesagt, die sie offiziell ignoriere. Herr Feihse
wußte schließlich nicht was er denken sollte. -- Will sie mich nun oder
will sie mich nicht? So fragte er sich oft, wenn sie ihn verlassen
hatte. Kennen gelernt hatten sie sich eigentlich genügend; und wenn sie
ihn fragte: Er würde mit einem reinen und lauteren Ja antworten! -- Oft
nahm er sich vor, sie geradezu und ehrlich zu fragen, aber immer wich
sie aus. Schließlich ertrug er dies nicht länger: Fräulein Desdemona --
er zwang sich zu dieser scherzhaften Anrede -- Fräulein Desdemona! Wir
kennen uns nun schon lange genug und haben Vertrauen zueinander
gewonnen! Ich wiederhole jetzt endlich die Frage, die ich schon einmal
-- damals auf der Bank im Parke -- an Sie richtete: Wollen Sie die Meine
werden? Ich werde Sie auf Händen tragen! -- In diesem Augenblick zog
Fräulein Nippe ein Tüchlein aus der Tasche, das sie zu einer kleinen
Kugel zusammenpreßte und zum Munde führte, indem sie mit dem Ausdruck
eines scheuen Rehes auf Herrn Feihse blickte, während ihr linker Arm
anzudeuten schien, daß hier ihres Bleibens nicht sei. -- Bleiben Sie,
Fräulein Nippe, bleiben Sie! Sie haben nun genügend Zeit gehabt zur
Überlegung, all die Wochen hindurch; Ihr Entschluß muß gefaßt sein!
Bitte, jetzt ist es an Ihnen! -- Fräulein Nippe streckte zagend ihr
Tüchlein vor: Was soll ich tun -- man drängt mich -- man bestürmt mich
-- Ich bestürme Sie nicht und ich bedränge Sie nicht! sagte er in einem
so ruhigen, sachlichen Tone, daß ihre poetische Stimmung wieder zu
verschwinden drohte. O schweigen Sie, o schweigen Sie! bat sie mit
halblauter Stimme, überlassen Sie mich ganz der Wonne dieses
Augenblickes! -- Also Sie lieben mich?! Er tat einen Schritt vorwärts.
Sie streckte abwehrend den Arm aus, er wollte ihn ergreifen, aber sie
zog sich schnell in den äußersten Winkel des Zimmers zurück. -- Lassen
Sie mich, lassen Sie mich! Ich kann Ihnen jetzt unmöglich antworten! --
Aber _wann_ werden Sie mir denn endlich antworten? -- In -- in drei
Tagen! Ehe die Mitternacht des dritten Tages anbricht, haben Sie meine
Antwort! Dann zog sie sich zurück, mit einem stumm-beredten, rätselhaften Blick verschwand sie.

댓글 없음: