2015년 11월 24일 화요일

Pitt und Fox 40


Was waren das auch für Geschöpfe! Er erkannte da einen Herrn wieder, der
die Bonvivantrollen spielte. Am ersten Mittag hatte der mit ihm am
selben Tisch gegessen, einzig und allein ein Ragout fin, -- nichts,
nichts weiter. Und am selben Nachmittag hatte er ihn schon aus dem
Fenster eines schnell gemieteten Zimmers schauen sehen. -- Und die
Damen, von denen war überhaupt nicht zu reden; wie Schneidermädchen, die
sich billig und auffallend herausstaffiert haben, zogen sie über die
Straßen; seine Partnerin, die Donna aus Charleys Tante, begegnete ihm
abends auf dem Markte, ganz allein stand sie da, vom Wirtshaus zum Café,
vom Café zum Wirtshaus sehend. Das war doch höchst fragwürdig! und als
er an ihr vorbeischritt, zwinkerte sie und hakte ihren kleinen Finger in
den seinen.
 
Alle nannten sich du, ihn selbst nannten sie auch du, er konnte nichts
dagegen tun.
 
Die Aufführung von Charleys Tante nahte heran. Fox hatte seine Rolle
gründlich gelernt, die Zeigefinger in die Ohren gebohrt, wie ein
Schuljunge. Die Frau Direktor spielte mit großer Kraft einen
einleitenden Galopp auf dem Klavier, dann zog ihr Mann den Vorhang auf,
indem er sich, ihn in Bewegung zu setzen, an den Strick hängte. Fox
hatte nicht das geringste Lampenfieber. Durch das kleine Loch im Vorhang
sah er, ehe das Stück begann, in den Zuschauerraum, und empfand nichts
weiter als Verachtung vor dieser kleinbürgerlichen Menge, die da unten
Bier trank und rauchte und sich freute auf die Unterbrechung ihres
stumpfsinnigen Einerleis.
 
Als er nun selbst auf die Bühne trat, erhob sich hier und da ein
Klatschen, da man ihn erkannte; der hagere Offizial und der Vater des
Gretchens, die inzwischen an ihren Stammtischen genügend geneckt waren,
versuchten zu zischen, was nur den Applaus anwachsen ließ. Fox aber, wie
ein großer, berühmter Gast, trat vor und verneigte sich dankend. Zurück!
flüsterte der Direktor, halb ängstlich, halb erfreut, Sie stören das
Ensemble! Und wie nun Fox, im Augenblick wie zerstreut, auf die
Mitspielenden sah, als wolle er sagen: Ach, Ihr seid ja auch noch da,
Euch hatte ich total vergessen! -- brach der Applaus von neuem los. --
Bis zu dem Moment der Verkleidung hielt sich das Publikum ruhig, aber
als er dann anfing, sich als Dame hin und her schieben zu lassen, als er
halb ungeschickt über seine Kleider stolperte und sich endlich fast nur
noch wie in einem Zustand der Notwehr befand, gereizte Blicke um sich
werfend wie ein Kater, der sich von Hunden bedrängt sieht, war der
Erfolg vollkommen. Man nahm das, was in Wahrheit Unfähigkeit war, für
raffinierte Kunst, und die Stammtischgäste aus dem Wirtshaus sagten: ja
ja, so auftreten wie der damals kann auch nur ein ganz genialer Mensch!
-- Fox durfte sich am Schluß viele Male verneigen. Die Frau Direktor
sprach ihm ihre Anerkennung aus, sagte mit Emphase, sie habe mit ihrer
Prophezeiung recht gehabt und zog seinen Kopf, ehe er es verhindern
konnte, an ihren Busen, der ungelüftet roch. -- Diese Theaterleute,
dachte er mit einem parenthetischen: Pfui Teufel -- wissen doch nie die
Grenze einzuhalten. -- Charleys Tante wurde sofort wiederholt, und dann
ging es an neue Stücke.
 
Fox übernahm jede Rolle mit einem verschluckten Proteste, er spielte
sie, wie wenn man ihm einen ekelhaften Gegenstand zur Untersuchung
übergeben hätte, gegen dessen Berührung er sich zuvor mit seinen roten
Glacéhandschuhen bewaffnete, ehe er mit steifem Finger bald hier, bald
da hineinstieß. Anfangs erreichte er damit immer wieder die erste
Wirkung, aber schließlich fand man ihn langweilig. Einmal zischte sogar
einer, worauf Fox mitten im Satze abbrach und in den Saal hineinstarrte,
als wolle er den Zischer rügen. Herr Steinert suchte ihn nun mehr in
Chargenrollen zu beschäftigen und begann einzusehen, daß er an Fox keine
gute Kraft gewonnen habe. Fox war damit ganz zufrieden, betonte Herrn
Steinert gegenüber, er sei ja auch eigentlich »Held«, und hier falsch am
Platze, und hegte keinen Groll gegen den jungen Mann, den Herr Steinert
das nächstemal probeweise als Lumpaci Vagabundus herausstellte. Aber
auch in seinen Chargenrollen sprach Fox genau so wie vorher, und während
einer Aktpause in Wilhelm Tell bekam er Vorwürfe vom Direktor, er solle
sich mehr zusammennehmen, mehr wirkliches Feuer und patriotische
Leidenschaft entwickeln. Herr Steinert spielte selbst den Wilhelm Tell
und riß alles mit fort im Taumel seiner Rede. Frau Ida aber spielte,
abgesehen von ihrer Mechtildrolle, noch eine andere, indem sie sich als
alter Attinghausen im Rollstuhl hereinschieben ließ, ohne daß das
Publikum den Betrug bemerkte, da der Theaterzettel einen anderen Namen
aufwies. -- Mensch, sagte Herr Steinert nach der Vorstellung zu Fox, Sie
spielen immer wieder als Charleys Tante, das geht nicht, es geht
wirklich nicht! -- Aber Fox ließ dies nicht auf sich sitzen. Voll
Antipathie starrte er auf dieses schwarzäugige Gesicht mit dem blonden
unechten Germanenbart darunter: Schaffen Sie doch erst mal andere
Dekorationen! In Ihrem Tell ist ja auch alles genau so wie in Charleys
Tante! Wo bleibt denn da die Illusion?! Und die Kostüme sind ja auch
immer dieselben! Ihre Berta von Bruneck zum Beispiel ist doch wieder
nichts weiter als die Nichte von der Tante, und wenn sie sich auch ein
grünes Umschlagetuch umhängt -- für mich ist das noch lange kein
Jagdkleid! Die Hälfte der Personen fehlt überhaupt ganz und gar, weil
Sie keine genügende Anzahl von Kräften haben; was können Sie da vom
einzelnen verlangen! Intrigen gibt es bei mir nicht, sagten Sie damals
zu mir, als ich bei Ihnen eintrat; das verstehe ich jetzt vollkommen.
Das bißchen Personal hockt ja hier zusammen wie eine kleine Familie im
Regen, ohne Obdach! Jeder ist auf die Hilfe des Nachbars angewiesen, und
einen Intriganten im wirklichen Sinne des Wortes besitzen Sie überhaupt
nicht! Der Geßler wurde zum Beispiel vom Bonvivant gegeben! -- Das
verstehen Sie nicht! Das zeigt nur wieder, daß Sie sich in die
Verwandlungsmöglichkeiten der einzelnen Kräfte nicht hineinzuversetzen
vermögen, und das ist es ja, was ich Ihrem eigenen Talent vorwerfe!
Außerdem: Die Charakterrolle wurde nicht vom Bonvivant gegeben, sondern
eine Bonvivantrolle zufällig vom ersten Intriganten; das schadet nichts,
absolut nichts, ich liebe es, meine Leute untereinander zu vermischen,
auf die Weise erzielt man Allseitigkeit der Ausbildung! -- Gemischt sind
sie wahrhaftig genug! sagte Fox, und ärgerte sich, daß der Direktor dies
nicht mehr zu hören schien, denn er hatte sich abgewendet, war auf einen
Stuhl geklettert und hatte eigenhändig eine vergessene Gasflamme
ausgedreht, und jetzt schrie er den Diener an: Die Beleuchtung
verschlinge sowieso ein Heidengeld, und ob er meine, die Bühne solle
heut abend noch einmal als Tanzsaal benutzt werden. --
 
Überall herrschte ein ganz entsetzliches Sparsystem. Zum Schminken, An-
und Auskleiden gab es für Herren und Damen nur je einen einzigen kleinen
Raum, nur die Damen hatten einen Spiegel, den Frau Steinert jeden Abend
mit nach Hause nahm, da er ihr Privateigentum war, das sie morgens bei
der Toilette benötigte. -- Feste Kostüme, deren einzelne Bestandteile
man nicht trennen durfte, schien es nicht zu geben. Wie in einem
Trödelladen war alles durch- und übereinander gehäuft, jeder suchte sich
heraus, was ihm nötig oder erstrebenswert erschien, und namentlich gab
es da einen alten roten Samtmantel mit unechtem Goldbrokat, der unter
den Damen ein ernstliches Zankobjekt bildete, während die Herren schon
tagelang vor einer bestimmten Aufführung ein schwarzes Atlaswams zu
»belegen« pflegten, das einst bessere Zeiten gesehen zu haben schien.
Nur der Direktor besaß einige Kostüme, die niemand in Bruchstücken für
sich selbst verwenden durfte.
 
»Ich komme gleich, ich muß nur noch mal in den Saal«; dies Wort, das Fox
häufig nach den Vorstellungen um sich herum hörte, verstand er anfangs
nicht. Allmählich begriff er den Sinn: Gegen ein kleines Trinkgeld ließ
der Kellner die Tische unten nach der Vorstellung noch einige
Zeit unabgedeckt, und bei der spärlichen Beleuchtung der
Sicherheitsstearinlampe am Türeingang huschten die dunklen Gestalten der
Künstler und Künstlerinnen von Tisch zu Tisch, nach Bierresten und wohl
auch nach halb aufgegessenen Brötchen und Fleischteilen spähend, und
unter ihnen tat sich eine Dame ganz besonders hervor, welche »die
appetitliche Giftmischerin« genannt wurde, weil sie nicht, wie die
andern, jeden Rest für sich austrank, sondern alles in einen einzigen
Bierseidel zusammengoß, da sie dieses appetitlicher fand. Zuweilen kam
es mit dem Kellner zu Szenen, da man ihm vorwarf, die besten Reste
tränke er schon vorher selbst. Hier regelte sich auch die Nachfrage des
einzelnen nach Tabak; ein Nichtraucher konnte einen Schluck Bier
eintauschen gegen ein Zigarrenende, das er selbst verschmähte. Fox fand
dieses Unwesen empörend: Lieber hätte er gehungert und gedürstet, als
daß er da hinabgestiegen wäre!
 
Mit den Künstlern und Künstlerinnen war es ähnlich wie mit den Kostümen:
Manchmal schienen zwei ein Ganzes zu bilden, bis sich plötzlich beide
Teile mit einem dritten oder vierten vereinigt fanden. Es war unmöglich,
in dem Knäuel der Möglichkeiten etwas Bestimmtes, Bleibendes
festzustellen. -- Fox blieb auf die Dauer hiervon nicht unberührt; er
schenkte seine Zuneigung einer jungen Dame, die ihm noch ganz passabel
erschien, wie er sich ausdrückte, verbot ihr aber, jemals »verhindert«
zu sein. -- Alle Damen waren manchmal verhindert, das wußte jeder,
niemand fand etwas daran.
 
Nur der Direktor und seine Familie führten ein streng in sich
abgeschlossenes Leben. Was es mit ihm und seiner Frau auf sich hatte,
wußte Fox nun auch. Frau Steinert war ursprünglich die Witwe eines
Theaterdirektors, der ihren Jahren angemessen gewesen war. Schon zu
dessen Lebzeiten hatte Herr Steinert, der unter ihm ans Theater gekommen
war, sich erfolgreich um die Gunst des Kindes, ihrer Tochter, bemüht.
Der Direktor starb, und nun machte Herr Steinert der Witwe den
Vorschlag, er wolle die Tochter heiraten und gleichzeitig die
Direktionsstelle des Vaters übernehmen. Da aber deutete ihm die Mutter
an, der Weg zu jener Stelle ginge nur über sie selber. So entschloß er
sich dazu, sie zu ehelichen. Aber Frau Steinert konnte es nicht
verhindern, daß er auch ihrer Tochter weiter in Treue zugetan blieb.
Anfangs entrüstet, fand sie sich allmählich damit ab, da er sie selber
durchaus nicht vernachlässigte, die erste Zeit wenigstens, und sie in
ihrer Tochter das jugendliche Ebenbild ihrer selbst erblickte. Und mit
einem gewissen Rechte betonte sie allen Menschen gegenüber das innige
Zusammenleben der kleinen Familie. Erst in den letzten Jahren waren die
ehelichen Beziehungen erkaltet, und Frau Steinert rächte sich auf ihre
Weise: Sie war eine kluge Frau und hatte sich mit jener Ehe, wie sie es
nannte, nicht übers Ohr hauen lassen. In allen obersten Entscheidungen
blieb das Vorrecht ihr, und dieses Recht übte sie nun rücksichtslos aus;
ihr Mann war dem Namen nach Direktor, in Wirklichkeit war sie die erste.
--
 
Wie sie Fox damals erblickte, war es wie ein Sonnenstrahl in ihr
alterndes Herz gefallen, und Fox, der ihr zu Dank verpflichtet war, da
sie von Anfang an sein Talent durchschaute und auch sein Engagement
durchsetzte, begegnete ihr stets mit Ritterlichkeit. Wenn sie allein
waren, streichelte sie zuweilen seine Hand und nannte ihn »mein
Söhnchen«, was er sich, wenn auch widerwillig, gefallen ließ. -- Er war
stets der erste, der seine Gage ausbezahlt bekam, und wenn er die
letzten Tage fast gehungert hatte, so entschädigte er sich nun gleich
durch doppelte Ausgaben, so daß seine Kasse nach vierzehn Tagen schon
wieder auf dem Nullpunkt angekommen war. Dann gab es einen Vorschuß, den
die Frau Direktor, wie sie mit bedeutender Stimme sagte, nur ihm
bewilligte. -- Wirklich eine vornehme Frau! dachte er. Sie lud ihn auch
manchmal zu sich ein, wenn sie allein war, und setzte ihm sehr viel
Likör vor, den sie selber gerne trank. Sie klagte ihm auch nach und nach
ihr Leid, wie sie im Grunde eigentlich allein stehe. Er dachte: arme
Frau! und da er sich zu ihr auf das Sofa hatte setzen müssen, und sie
ihm wie schutzbedürftig die Hand entgegenhielt, nahm und drückte er sie,
konnte seine eigene dann aber nicht mehr zurückziehen, da sie sie
festhielt. -- Ich würde Ihnen ja gern Ihre Gage erhöhen, wenn Sie das
wünschen, für Sie tue ich alles was Sie wollen, wenn Sie nur ein wenig
Mitleid mit mir haben! Sie war ihm nahe gerückt und jetzt lehnte sie den
Kopf an seine Schulter. Fox befreite sich sanft, aber eindrucksvoll von
ihr, stand auf und sagte in vollkommenem Kavalierton: Gnädige Frau, Sie
sind schonungsbedürftig! Wollen Sie nicht ein wenig ruhen? Gestatten
Sie, daß ich Sie deshalb verlasse. -- Sie begriff die Lage sofort. --
Jawohl, ich bin schonungsbedürftig, sagte sie in ihrer langsamen
Sprechweise, nachdem sie ihn mit einem sinnenden Blick gemustert hatte,
Sie haben recht und ich bin Ihnen dankbar, daß Sie gehen wollen, man
sagt das seinen Gästen nicht gern selbst. Leben Sie wohl -- nun, heute abend sehen wir uns ja auf der Bühne.

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