2015년 11월 24일 화요일

Pitt und Fox 44

Pitt und Fox 44


Mit diesem Abend trat in Fräulein Elsa eine Wandlung ein. Sie fühlte
sich nicht mehr ganz sicher vor den Augen ihrer Mutter, wenn Pitt
zugegen war, horchte unwillkürlich selbst mit feinerem Ohr, wenn er
etwas sagte, um zu hören ob es wahr sei was Egon behauptet hatte. Er
dagegen fühlte ihre neue Unsicherheit auch ihm selbst gegenüber, sie
überschüttete ihn plötzlich mit Geschenken, und bei irgendeiner
Kleinigkeit, die er gar nicht böse gemeint hatte, fuhr sie verletzt in
die Höhe, daß er sie ganz erstaunt ansah. --
 
Sie wurde launisch und unberechenbar. Manchmal tat sie ganz intim, dann
plötzlich, irritiert durch seine Gleichmütigkeit, schien sie kalt und
abweisend. Einmal schickte sie ihm einen großen Blumenstrauß, und auf
ihrer Karte stand: wegen gestern. Er wußte nicht was das zu bedeuten
hatte, ahnte nicht einmal, ob sie meine, daß er sie oder daß sie ihn
gekränkt habe, und antwortete ihr infolgedessen gar nicht. Als er sie
wiedersah, war sie verschlossen und still, antwortete nur durch große
fragende Blicke, wenn er etwas sagte, und wollte ihn dadurch zwingen,
selbst von dem Blumenstrauße zu reden anzufangen. Er dachte aber gar
nicht daran; so bezwang sie sich schließlich mit dem Gedanken: Geduld,
Geduld, ich kriege ihn doch noch! Und dann redete sie wieder in ihrer
früheren Art.
 
Er hatte jetzt jedesmal, wenn er von der Redaktion nach Hause kam,
Furcht, es könne irgendeine Nachricht von Fräulein Heine auf seinem
Tische liegen, was auch meistens der Fall war. Denn schließlich verging
kaum ein Tag, ohne daß sie sich irgendwie fühlbar bemerklich machte. Er
konnte sie überhaupt kaum noch sehen. Wenn er ihre trockene Stimme im
Vorplatz hörte, überlief ihn schon ein irritiertes Gefühl, und die
Abneigung steigerte sich mit jedem Tage. Wenn er zu Hause in einem Buche
las, schob sich zwischendurch ihr Bild in seine Gedanken, und eine
nervöse Unruhe ergriff ihn. Dann konnte er nicht anders als alle
Augenblicke von seinem Buch auf durch das Fenster auf den Platz vor
seinem Hause sehen, zu jener Ecke hinüber, aus der sie herauskommen
mußte, wenn sie zu ihm auf Besuch ging. Und richtig! Irgendwann war jene
Ecke nicht mehr leer, bewegte sich da ein rotes Kleid, und oben saß ein
Kopf drauf, der suchend auf sein Fenster blickte. Und die Wirkung ihrer
Augen, selbst in die Ferne, durch die Fensterscheiben hindurch, war eine
latente Raserei in ihm. Dann pfiff sie womöglich noch ein Signal, das
sie sich ausgedacht hatte, und endlich stand sie vor ihm. Mit Wut im
Herzen konnte er doch nicht anders als höflich sein. Was war dies für
ein höchst abscheulicher Zustand! Den Verkehr einfach abbrechen -- das
konnte er nur dann, wenn er seine Redaktionsstelle aufgab. Diesen
Gedanken schob er immer wieder zurück. Aber immer heftiger meldete er
sich wieder, zumal Fräulein Heine kürzlich -- wie zum Scherz, aber mit
sehr nervösem Tonfall -- darauf zurückkam, daß er doch eigentlich seine
Stelle nur ihr zu verdanken habe. Wenn er auch wußte, daß sie die
Drohung, die hierin versteckt schien, niemals wahr gemacht haben würde,
um ihrem Charakter keine Blöße zu geben, so wurde die Situation für ihn
dadurch doch noch peinlicher. Er fühlte, daß es über kurz oder lang zu
einer Entscheidung kommen mußte. Vorerst hielt er noch eine Zeitlang
aus. Mehrmals kränkte er Fräulein Heine, aber sie überwand die
Kränkungen, freilich jedesmal schwerer. Eine große Erbitterung war
allmählich in ihr aufgewachsen, sie fühlte, daß es doch nicht so leicht
war, Pitt Sintrup zu gewinnen, und je mehr sie sich in das Gefühl ihrer
eigenen Liebe hineingeredet hatte, um so verletzlicher wurde sie gegen
jede kleinste Äußerung seiner Gleichgültigkeit. Es bedurfte schließlich
nur eines geringsten Anlasses, um alles, was sich in ihr angesammelt
hatte, zum Überlaufen zu bringen. -- Dieser Anlaß kam.
 
Sind Sie heute abend frei? telephonierte sie eines Tages. -- Nein, sagte
er. -- Wohin gehen Sie? -- Eine kurze Pause folgte: In die Oper. -- Das
trifft sich ja herrlich, gerade wollte ich Sie für die Oper einladen!
Also holen Sie mich Punkt sieben bei mir ab! Sie sitzen mit in unserer
Loge.
 
Du willst ins Theater? fragte ihr Bruder Egon sie am Abend; mit wem? --
Mit Herrn Sintrup. -- Er pfiff etwas verächtlich durch die Zähne. -- Was
soll das?! -- Gar nichts. -- Nein, bitte, rede. -- Er wollte nicht, sie
drängte immer heftiger, schließlich sprach er alles von seinem Herzen
herunter, und schloß mit den Worten: Merkst du es denn nicht, daß dieser
Mensch nach deiner Hand schlägt, wenn er sie fühlt?! -- Sie wurde sehr
rot und erregt, behauptete, es sei nicht wahr, was er da rede, kehrte
ihm endlich den Rücken und ging schnell hinaus.
 
Während sie sich umzog, hörte sie immer jene letzten Worte ihres
Bruders. All ihre Bitternis war durch sie verstärkt, verschärft. Es war
so, als sei erst nachdem es ein anderer aussprach, alles wahr und
wahrhaftig, was sie doch auch vorher nicht vor sich selber abgeleugnet
hatte. -- Ich will ihm schon zeigen, daß ich Stolz besitze, er soll sich
nur in acht nehmen, so dachte sie, während sie die Schuhe wechselte, und
wenn er es zu weit treibt -- heftig riß sie die Schnürbänder auseinander
-- dann fliegt er einfach! Sie hatte die Schuhe ausgezogen und warf sie
während ihrer letzten Worte in die Ecke, etwas verwirrt ihrem Fluge
nachsehend, da sie das gedoppelt sah, was sich ihr zugleich als
bildliche Einheit präsentierte. -- Jedenfalls, dachte sie beruhigter,
hat er für heute abend zugesagt, das ist doch schon etwas! Sie trat noch
schnell zum Waschtisch und suchte aus all den Kristallflaschen ein
Veilchenparfum heraus, denn Pitt hatte einmal gesagt, er rieche Veilchen
besonders gern. Oder hatte er das nur aus Widerspruchsgeist behauptet,
da sie selber sagte, sie habe sich Veilchen »übergerochen«?
 
Sie sah nach der Uhr. Pitt mußte eigentlich schon da sein.
Wahrscheinlich war er im Salon. Aber dort war er nicht; die Uhr ging
weiter, und schließlich saß sie da in Hut und Mantel, um Zeit zu sparen,
da es sowieso schon zu spät wurde. Egon spottete; sie tat als höre sie
das nicht. Sie überlegte, ob sie Pitt im Wagen entgegenfahren solle;
dachte aber: Nein, ich will ihn hier erwarten und das Maß seiner
Verspätung genau feststellen! Und nun wünschte sie fast, daß dieses Maß
recht beträchtlich würde, und mit ihm auch der Grad ihres Ärgers, den
sie immer stärker anwachsen fühlte und doch nicht in die leere Luft
hinein äußern konnte. Egon hatte recht! Pitt zeigte geflissentlich, daß
ihm nichts daran lag, mit ihr zusammenzukommen. Sie saß noch eine
Zeitlang da, dann dachte sie auf einmal: Vielleicht konnte er aus irgend
einem Grunde wirklich nicht herkommen! Sitzt schon längst in unserer
Loge und wartet da auf mich! -- Sie fuhr sogleich zum Theater, aber die
Loge war leer und dunkel, und auf der Bühne wurde schon längst gesungen
und gespielt. Sie gab sich Mühe auf die Musik zu hören, aber fortwährend
irrten ihre Gedanken ab. -- Wenn er nun plötzlich krank geworden war?
Dieser Gedanke schoß auf einmal in ihr auf. Dies war ja nicht
wahrscheinlich, aber immerhin nicht unmöglich. Sie erhob sich und
verließ die Loge, ließ sich eine Droschke kommen und fuhr zu Pitts
Wohnung. Wenn er nun ganz gesund war, sich verwundert nach ihr umdrehte
und sich nichtssagend entschuldigte? Der Wagen hielt, schnell sah sie zu
seinem Hause empor; sein Fenster hatte Licht.
 
Pitt saß in seinem Zimmer, beim Schein der Lampe. Vor ihm lag ein Brief
von Fox. Der bat, gewisse von ihm geschriebene Artikel in irgend welchen
Zeitschriften unterzubringen und das Geld sofort an ihn zu senden. Mit
Fox mußte es ziemlich schlimm stehen. Der war nun längst beim Theater.
Durch einen plötzlichen, abenteuerlichen Sprung hatte er sich
herausgerettet aus allen Widerwärtigkeiten, er hatte eine Tat gezeigt;
und wenn sie auch augenscheinlich etwas Verkehrtes war: Wenigstens hatte
er sich frisch in eine neue Lebenswoge gestürzt und es darauf ankommen
lassen, ob sie ihn tragen würde. Pitt selbst aber saß eingeschlossen in
einem ganz engen Kreise, in der dumpfigsten Atmosphäre, und wußte doch
nicht, wie er sich aus ihr befreien sollte. -- Und wenn er jetzt
wirklich seine Redaktionsstelle aufgab, was wurde dann aus ihm? Was
blieb ihm? Sollte er doch in seine juristische Laufbahn zurückkehren?
War das nicht noch immerhin das beste? -- -- -- Er hielt die Augen lange
geschlossen. Bäume tauchten vor ihm auf, und Felder, und auf einmal sah
er jene zwei Knaben wieder, blond, in weißen Leinenhemden und im
Schurzfell, wie er sie einst im Traum gesehen -- -- aber dann war es
Elfriede, deren Bild alles andere verdrängte. Er hatte sie aufgegeben,
endgültig aufgegeben. -- Eine große Leere war in ihm, nur gefüllt vom
Nebel der Erinnerung. -- -- Hatte er denn nichts, gar nichts, das
_wirklich_ war, das mit ihr zusammenhing? Er dachte lange nach, dann
ging er an sein Bücherbrett, holte ein altes, philosophisches Werk, trug
es an seinen Platz und begann es zu durchblättern. Wenn jenes Andenken
noch da war, mußte er es zwischen diesen Seiten finden. Klein, schmal,
vergilbt fand er es wirklich. Es war eine Blume, die ihm Elfriede einst
im Scherz aufs Buch warf, als sie ihn lesend in der Laube fand, draußen
auf dem Gute. -- Er nahm sie, hielt sie sinnend in den Händen, strich
mit den Fingerspitzen über ihre Blätter hin und dachte: Sie ist
wirklich, sie ist greifbar, so greifbar wie die festeste Gegenwart --
und doch gehört sie der Vergangenheit. -- Wieder schloß er, in
Erinnerung verloren, seine Augen: Gegenwart und Vergangenheit mengten
sich zu einem dritten, das nicht das eine noch das andere war, das
zeitlos dahin schwebte und ihn mit sich nahm. --
 
Es läutete. Draußen klang die erregte Stimme Fräulein Heines, und die
seiner Wirtin. Pitt schob die Blume in das Buch zurück und schloß es.
Gleich darauf trat Fräulein Heine ein, fast ohne anzuklopfen. Sie hielt
den Blick auf ihn gerichtet, seine Augen erschienen groß und sonderbar
leuchtend im Lampenschein, wie er jetzt ruhig zu ihr hinsah.
 
Also wirklich! Da sind Sie wirklich! sagte sie. -- Wie können Sie sich
unterstehen mich auf solche Weise zu behandeln? Mich durch dieses
Geschöpf da draußen abfertigen zu lassen? Ich frage: wie können Sie sich
unterstehen?! Sie war dicht zu ihm herangetreten und sah ihn mit
brennenden Augen an. Halt! rief sie, als er den Mund zu einer Antwort
öffnete, überlegen Sie sich vorher was Sie sagen wollen; ich will keine
Lüge hören.
 
-- Es ist auch nicht meine Absicht zu lügen, sagte er, indem er ihr
formell einen Stuhl anwies. -- Antworten Sie mir überhaupt nicht! fuhr
sie fort, etwas ernüchtert durch seine Ruhe, aber immer noch sehr
heftig: Wenn Sie mich nicht ins Theater begleiten wollten, weshalb sagen
Sie mir das nicht? Weshalb machen Sie da eine ganze Komödie? -- Wer sagt
Ihnen denn, fragte Pitt dagegen, daß ich nicht irgendeine dringende
Abhaltung gehabt habe, weshalb fragen Sie nicht zu allererst nach meinen
Gründen, sondern nehmen blindlings den an, der Ihnen am nächsten liegt?
 
-- Also doch! rief sie erleichtert, o, dann ist alles anders, dann ist
alles in Ordnung. Aber nun reden Sie auch, bitte, damit ich mein altes
Gefühl zu Ihnen zurückgewinnen kann! -- Ihr altes Gefühl? fragte Pitt;
Sie haben ja vollkommen recht mit Ihrer Vermutung, ich wollte Ihnen nur
zeigen, daß man in solchen Fällen sachlicher zu Werke geht. -- Es
überlief sie kalt. -- Ich dächte, fuhr er fort, es wäre deutlich zu
ersehen gewesen, als Sie mich fragten, ob ich diesen Abend etwas vor
habe: daß ich Ihnen auszuweichen strebte, indem ich sagte ich ginge in
die Oper, ich sei _nicht_ frei. Statt dessen zwingen Sie mich in Ihre
Pläne hinein -- --
 
Konnten Sie denn nicht später noch einmal telephonieren, fragte sie, daß
Sie _wirklich_ verhindert seien? -- Das habe ich mir ebenfalls überlegt,
aber, entschuldigen Sie, daß ich das ausspreche: Ich fürchtete, auch
_diese_ Absage sei Ihnen nicht erkennbar genug. -- Das heißt: Sie halten
mich für unfeinfühlig, ja -- sprechen wir das Wort aus: für dickfellig?!
-- Pitt zog die Luft ein, hob die Augenbrauen, als dächte er angestrengt
nach, dann wandte er den Kopf zu ihr zurück und sagte höflich: Menschen
haben kein Fell. -- Das war zu viel. Sie fühlte eine plötzliche Wut in
sich aufkochen, aber sie bezwang sich: Und das ist der Dank für alles,
was ich für Sie getan habe! Vom ersten Moment an wo ich Sie sah, habe
ich stets nur Gutes für Sie empfunden und es in allen meinen Handlungen
geäußert! Ich weiß, daß ich gelegentlich zu weit ging -- Sie haben mir
das auch zuweilen mit humorvoller Derbheit angedeutet, was ich Ihnen
gerne verzieh, da ich gerade dieses scheinbar Harte in Ihnen liebe; aber
dieses hier ist nicht mehr derb: dies ist plebejisch! -- Ich fand das
andere auch schon ziemlich plebejisch! warf er halb bedauernd ein. --
Nein, dies ist anders, ganz anders, und ich verlange, daß Sie Ihr Wort
zurücknehmen. -- Ja sind wir denn Kinder? fragte er erstaunt: Ich bleibe
bei allem was ich -- oder vielmehr Sie selbst gesagt haben und will endlich Klarheit schaffen zwischen mir und Ihnen.

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